Geberverhalten

Mythos NRO-Überlegenheit

Aktuelle Forschung deutet darauf hin, dass Nichtregierungsorganisationen aus Geberländern weder gezielter noch effizienter Entwicklungshilfe leisten als staatliche Entwicklungsorganisationen. Nichtstaatliche Organisationen scheinen sich vielmehr an den staatlichen Institutionen ihres Landes zu orientieren. Sie haben oft gar nicht den Ehrgeiz sich vor allem dort zu engagieren, wo klassische Entwicklungszusammenarbeit zwischen Staaten besonders schwierig ist.


[ Von Peter Nunnenkamp ]

Es ist einfach, den Geiz und die Eigennützigkeit der staatlichen Geber zu beklagen. Kishore Mahbu­bani hat das in der E+Z/D+C, Ausgabe 2/2008 getan. Doch er hatte dazu auch die Möglichkeit: Diese Geber liefern nämlich genau die Daten, die die Kritiker brauchen, um die Mängel der offiziellen Entwick­lungshilfe (ODA) aufzuzeigen. Bei Nichtregierungsorganisationen (NROs) ist das anders. NRO-Hilfe ist zwar quantitativ von Bedeutung, über ihre Verteilung ist aber wenig bekannt, geschweige denn, dass ihre Wirksamkeit analysiert wäre. Das liegt vor allem an der Schwierigkeit, an ausreichend detaillierte Daten zu kommen. NROs scheinen kein Interesse an kritischen Analysen zu haben, die ihr Image als bessere Geber trüben könnten.

Es wird häufig angenommen, dass NROs sehr gezielt Hilfe leisten. Ihre Nähe zu den Armen wird gepriesen, weil sie korrupte Empfängerregierungen umgehen und direkt mit Zielgruppen zusammenarbeiten können. Daher orientiere sich ihre Hilfe enger an den Bedürfnissen der Armen, und sei weniger in Gefahr, zu versickern. Zudem werde NRO-Hilfe nicht von den wirtschaftlichen und politischen Interessen der Geberregierungen beeinflusst, wie etwa die Exportförderung oder Unterstützung politischer Allianzen.

Sogar die Geberregierungen scheinen diese positive Einschätzung zu teilen. Ein bedeutender Teil der ODA fließt über NROs. In einigen Geberländern erreicht dieser Anteil etwa 20 Prozent. Insgesamt vergaben die NROs aus OECD-Ländern in den Jahren 2005 und 2006 jeweils fast 15 Milliarden Dollar. Diese Summe lag über der bilateralen ODA jedes individuellen Geberlandes, ausgenommen der USA.

Kritiker meinen jedoch, dass die positive Einschätzung der NRO-Hilfe weitgehend ideologisch begründet ist. Auch NROs wollten keine Fehlschläge riskieren und gingen daher den Weg des geringsten Widerstandes. Statt zu versuchen, staatliche Instanzen zu übertreffen, orientieren sich NROs demnach lieber an den entwicklungspolitischen Richtlinien ihrer Regierungen. Für diese These spricht auch die Tatsache, dass viele NROs finanziell abhängig sind, weil ihre Hilfe von staatlichen Geldgebern unterstützt wird.


Beispiele Schweden und Schweiz

Solche Kritik ist bislang allerdings kaum durch empirische Forschung untermauert. Denn NROs unterstützen Wissenschaftler nur selten, wenn sie Daten erheben. Das gilt vor allem für deutsche Organisationen. Aus zwei relativ kleinen Geberländern hingegen – Schweden und die Schweiz – liegen einigermaßen belastbare Daten vor, die den Vergleich von NROs und staatlichen Entwicklungsorganisationen anhand von drei Fragestellungen erlauben:
– Zielen NROs stärker als staatliche Instanzen auf die Länder ab, wo Hilfe am nötigs­ten ist?
– Engagieren sich NROs besonders dort, wo von staatlicher Entwicklungshilfe von Regierung zu Regierung keine Erfolge zu erwarten sind, weil es die politischen und institutionellen Rahmenbedingungen nicht zulassen?
– Sind NROs weniger eigennützig als staatliche Entwicklungsorganisationen, die häu­fig wirtschaftliche und politische Ziele verfolgen?

Die bisherigen Resultate der Forschungen vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, der Konjunkturforschungsstelle des Swiss Economic Institute in Zürich und der Radboud-Universität in Nijmegen stützen eine skeptische Sicht auf die NROs. Die Antwort auf die erste Frage ist ein klares „Nein“, wenn man die Bedürftigkeit der Empfänger am durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen misst. Länder mit einem geringeren Durchschnittseinkommen haben also nicht etwa mehr von der Hilfe schweizerischer NROs profitiert als von deren staatlicher Hilfe. Die schwedischen NROs verteilten ihre Mittel fast gleichmäßig auf Länder mit ­niedrigem und höherem Einkommen – im Gegensatz zur Regierung. Das ärmste Viertel aller Länder erhielt nur 27 Prozent der schwedischen NRO-Gelder, das reichste Viertel mit 22 Prozent kaum weniger.

Schweden und die Schweiz weisen interessante Unterschiede auf, was den Einfluss der lokalen institutionellen Rahmenbedingungen auf die Hilfe betrifft. In beiden Ländern allerdings unterscheiden sich staatliche und nichtstaatliche Hilfe nicht sehr stark voneinander. Vielmehr verhielten sich NROs in beiden Ländern ganz ähnlich wie die jeweilige Regierung. Diese Parallelität steht im Gegensatz zu den Empfehlungen der Weltbank. Danach sollten sich staatliche Geber auf Länder mit vergleichsweise guter Regierungsführung konzentrieren, um die Wirksamkeit von ODA zu erhöhen. NROs würden vor allem in Ländern mit schlechter Regierungsführung gebraucht. Trotz dieser Empfehlungen mieden die schwedischen NROs „schwierige“ Empfängerländer genau so wie die schwedische Regierung. Schweizer NROs engagierten sich zwar stärker in solchen Ländern – unterschieden sich darin aber nicht von ihrer Regierung.

Wirtschaftliche und politische Eigen­interessen ihrer Länder spielten für das Handeln der schwedischen und schweizerischen NROs keine wesentliche Rolle. Allerdings vergaben schweizerische NROs genau wie ihre Regierung mehr Hilfe an Länder, deren Abstimmungsverhalten in den UN mit der Schweiz auf einer Linie lag. Länder mit relativ großer ökonomischer Bedeutung, etwa als Exportmärkte, erhielten dagegen weder aus Schweden noch aus der Schweiz mehr NRO-Hilfe. Auch in dieser Hinsicht unterschied sich die NRO-Politik kaum vom jeweiligen Regierungsvorgehen.

Andere OECD-Länder

Die ODA Schwedens und der Schweiz gilt im internationalen Vergleich als altruistisch. Zu den OECD-Ländern, die dafür bekannt sind, dass sie ihre Entwicklungspolitik nicht selbstlos betreiben, gehören Frankreich, die USA und Japan. Möglicherweise setzen sich in solchen Fällen die NROs stärker von der Regierungslinie ab. Um NRO-Hilfe näherungsweise auf breiterer Ebene zu beurteilen, hat unser niederländischer Co-Autor Dirk-Jan Koch Daten von 60 NROs aus 13 OECD-Ländern erhoben. Diese Organisationen vergaben im Jahr 2005 zusammen rund 5,7 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe. Das war fast so viel wie die ODA-Summe der vier skandinavischen Länder.

Die Repräsentativität dieser Stichprobe kann man bezweifeln. Zudem beziehen sich die Zahlen nur auf ein Jahr. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass die sieben deutschen NROs, die Teil dieser Gruppe waren, die ärms­ten Länder bei der Verteilung ihrer Hilfsgelder benachteiligten, statt sie bevorzugt zu behandeln: Gemessen an der Pro-Kopf-Hilfe gehörten Botswana, Kapverden, Namibia und Swaziland zu den Top Ten – alles Staaten mit überdurchschnittlichem Einkommen.

Die gesamte Gruppe aller 60 NROs gewährte zwar mehr Hilfe an bedürftigere Länder. Aber auch der OECD-Querschnitt lässt nicht erkennen, dass NROs verstärkt dort tätig sind, wo staatliche Hilfe ungeeignet erscheint. Auch diese Erhebung deutet vielmehr darauf hin, dass sich NROs damit zufriedengeben, die Vergabepolitik staatlicher Geber zu reproduzieren. Es lässt sich zudem ein Herdenverhalten von NROs beobachten: sie engagieren sich bevorzugt dort, wo schon andere NROs aktiv sind.

Fazit

NROs bieten kein Patentrezept für gezielte und damit wirksamere Hilfe. Sie scheinen sich nicht einmal besonders zu bemühen, einen stärkeren Fokus auf die Hilfe für die Ärmsten zu legen, um sich so von staatlicher Entwicklungshilfe abzugrenzen. Wenig geneigt waren NROs auch, sich verstärkt in Ländern zu engagieren, wo die Herausforderungen wegen schlechter Regierungsführung besonders hoch sind.

Die Grenzen der NRO-Hilfe spiegeln sich auch in der ausgeprägten Neigung, der staatlichen Vergabepolitik zu folgen, statt eigene Akzente zu setzen und neue Pfade zu beschreiten. Insbesondere wenn NROs von staatlichen Geldern abhängig sind, dürften ihre Möglichkeiten für unabhängige Entscheidungen begrenzt sein. Es besteht dann ein starker Anreiz, Risiken durch konformes Verhalten zu minimieren und notfalls in der Menge unterzutauchen. Damit vertiefen NROs die Kluft zwischen den so genannten „aid darlings“ der staatlichen Geber und jenen Empfängerländern, die eher stiefmütterlich behandelt werden („aid orphans“).