Zivilgesellschaft

Verschlüsselung gegen Verfolgung

Facebook, Twitter und Co. wurden während der arabischen Revolutionen als Wunderwaffen für Regierungskritiker und Aktivisten gefeiert. Doch wiederholte Festnahmen von Bloggern und der NSA-Skandal verdeutlichten kürzlich auch die Schattenseiten des Internets. Kann Facebook noch als Ort für freie Meinungsäußerung gelten, wenn staatliche Überwachung immer ausgefeilter wird? Spielt Twitter in Revolutionen überhaupt noch eine Rolle, wenn Selbstzensur um sich greift? Von Eva-Maria Verfürth
Demonstration auf den Philippinen 2012. ZUMA Press/picture alliance/dpa Demonstration auf den Philippinen 2012.

Noch jedenfalls scheint die Ära nicht vorüber: „Das Internet war sehr wichtig für uns, um unsere Aktionen zu organisieren“, berichtet Oksana Romaniuk aus der Ukraine aus der Zeit vor dem Sturz von Präsident Viktor Janokowitsch. Sie ist die Sprecherin von Reporter ohne Grenzen in der Ukraine. „Das Internet war eine Insel der freien Meinungsäußerung in Zeiten scharfer Zensur.“ Zwar habe nur etwa ein Drittel des Landes Internetverbindungen, doch weil das Fernsehen mittlerweile teils vom russischen Staatssender kontrolliert werde, wachse die Bedeutung des Internets weiterhin.

Auch für äthiopische Aktivisten ist das Internet ein zentrales Kommunikationsmedium, berichtet der Blogger Markos Lemma. Da die Internet-Nutzungsrate nur bei zwei Prozent liege, frage er sich aber, ob man von „Freiheit des Internets“ sprechen könne. Andererseits habe auch die größte Wochenzeitschrift in Äthiopien nur eine Auflage von 25 000 Exemplaren. Folglich zählt Lemma das Internet – abgesehen von den staatlichen Radio- und Fernsehsendern – zu den wichtigsten Informationsquellen für Äthiopier. Dabei bezieht er sich vor allem Facebook, denn viele User besuchten im Internet nur diese eine Plattform.

Allerdings ist Online-Aktivismus in Äthiopien längst auch gefährlich geworden. Als Lemma im Mai auf der Internetkonferenz re:publica in Berlin sprach, waren kurz zuvor sechs Blogger des Kollektivs „zone nine“ festgenommen worden. Unter dem Hashtag #FreeZone9Bloggers kochte die Empörung auf Social-Media-Kanälen hoch.

Davon, wie Regierungen versuchen, freie Meinungsäußerung im Internet einzuschränken, kann auch Reem Almasri von der jordanischen Medienplattform 7iber Dot Com ein Lied singen. „Ich möchte die Bedeutung des Internets für freie Meinungsäußerung in Jordanien nicht romantisieren“, sagt sie. Ihr Blog sowie 300 weitere Webauftritte wurden im vergangenen Jahr gesperrt, nachdem die Regierung ein Gesetz erlassen hatte, demzufolge auch Onlinemedien eine Lizenz brauchen. Für Almasri kam das wenig überraschend: „Es hat in Jordanien immer Zensur gegeben, bei Büchern und Filmen kennen wir das schon“, berichtet sie. „Wir wussten, dass auch die Internetzensur irgendwann kommen würde.“

„Die Regierung hat die Internetverbreitung anfangs stark unterstützt, weil sie Jordanien zu einem regionalen Zentrum für Informations- und Kommunikationstechnik machen wollte“, erklärt Almasri. Allein 2007 seien in Jordanien daher rund 200 Blogs und 400 Websites entstanden; die Internetnutzungsrate liege heute bei 70 Prozent. Lange habe die Regierung die Meinungsäußerung im Internet nicht eingeschränkt. Doch als der arabische Frühling in umliegenden Ländern ausbrach, wurden das neue Mediengesetze und andere repressive Gesetze erlassen.

Auch die Ukrainerin Romaniuk hat bereits Erfahrungen mit staatlicher Überwachung gemacht: Ihr Laptop wurde eines Tages gehackt – alle Bilder, alle Artikel waren weg. Ist das für sie ein Grund, dem Internet den Rücken zu kehren? „Social Media sind ein wichtiges Tool“, erklärt sie. „Aber wir müssen lernen, uns besser zu schützen.“

 

Sicherheit kann man lernen

Was Aktivisten und Regierungskritiker tun können, um sich besser zu schützen, weiß Maya Indira Ganesh vom unabhängigen Tatical Technology Collective. Dieses internationale Team aus Programmierern, Designern und Menschenrechtsaktivisten hat eine Initiative für Onlinesicherheit und Privatsphäre ins Leben gerufen: „Security in a box“.

Auf der Homepage zitiert „Security in Box“ zunächst Edward Snowden, den ehemaligen Mitarbeiter der National Security Agency (NSA) der USA, der aufgedeckt hat, wie weitgehend Washington weltweit Kommunikation überwachen lässt: „Gut eingesetzte Verschlüsselungssysteme gehören zu den wenigen Dingen, auf die man sich verlassen kann.“ Wie das geht, möchte Security in a Box Bürgern beibringen. Die Onlineplattform stellt die wichtigsten Informationen zu digitalem Datenschutz in 14 Sprachen zur Verfügung. Darüber hinaus bietet das Team von Tactical Tech Trainings zu Datensicherheit und Verschlüsselung an.

Die Nachfrage ist groß: rund 1,5 Millionen Besucher haben sich die Dokumente auf der Website voriges Jahr angesehen, wie Ganesh berichtet. Wer einmal in Sicherheitsmaßnahmen geschult sei, könne zudem auch Aktivisten im Ausland unterstützen, erklärt sie. Davon hätten Aktivisten in der Ukraine profitiert.

„Wir unterscheiden zwischen Ländern mit niedrigem, mittlerem und hohem Risiko“, berichtet Ganesh. Äthiopien zähle beispielsweise eher zu den Ländern mit hohem Risiko. Der Datenschutz sei dort kaum entwickelt, gleichzeitig sei das Internet aber für viele Bürger die einzige Plattform zur freien Meinungsäußerung. Mit digitalen Sicherheitsmaßnahmen lasse sich Verfolgung vermeiden, meint Ganesh. Obendrein ließen sich die Tools dazu nutzen, Korruption und Überwachung durch die Regierung aufzudecken: „Auch Regierungen hinterlassen digitale Spuren und Schatten im Netz, die man nachverfolgen kann.“

Man dürfte keine Kosten und Mühen scheuen, sich diese Kenntnisse anzueignen, ist Ganesh überzeugt. „Die Überwachung kommt ohnehin“, meint sie. „Und wir möchten nicht, dass Bürger Sicherheitsmaßnahmen erst ergreifen, wenn bereits etwas passiert ist.“

Roger Fischer vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung betont in diesem Zusammenhang, dass es „keinen fundamentalen Unterschied zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit online und offline“ gebe. Redefreiheit durchzusetzen sei jedoch ein langer Prozess. Zum Schutz von Aktivisten seien lokale Lösungen wichtig, die den Gegebenheiten vor Ort entsprechen.

Die besondere Herausforderung im Internet sieht Fischer darin, dass man zwar sicherlich überwacht werde, man aber kaum erkennen könne, wer genau es tue. Diese Sorge kennt auch die Jordanierin Almasri. Zensur und Überwachung durch die eigene Regierung sei man gewohnt; nun mischten auch noch die US-Geheimdienste mit. Glaube man dem Bericht des Weißen Hauses vom Dezember 2013, sei Jordanien das von der NSA am drittstärksten überwachte Land. Eva-Maria Verfürth