Kommentar

Balance der Macht

Seit Februar 2008 regiert eine große Koalition politischer Kontrahenten Kenia. Die Lage im Land ist relativ friedlich. Viel Vertrauen haben die Menschen aber nicht in die Führung.


[ Von Helmut Danner ]

Als Raila Odinga im November 2005 die Orange Opposition in Kenia gründete und sich die Partei Orange Democratic Movement (ODM) formierte, wurde der Boden für das Blutvergießen nach den Wahlen Ende 2007 geebnet. Odingas ODM stützte sich vor allem auf die Ethnien der Luo und Kalenjin, während die Party of National Unity (PNU) des Präsidenten Mwai Kibaki von den Kikuyu dominiert wird.

Die Wahlen führten zu einem Patt, woraufhin die ODM zu Massendemonstrationen aufrief. Im Januar und Februar 2008 wurde dann geplündert, gemordet, gebrandschatzt und vergewaltigt. Die Kalenjin vertrieben die Kikuyus vom Rift Valley, diese wiederum wehrten sich.

Ghanas Präsident John Kufuor versuchte zu vermitteln, dann schritt der frühere UN-Generalsekretär, Kofi Annan, ein. Ende Februar wurde eine Koalition gebildet, mit Kibaki als Präsidenten und Odinga als Premierminister – dieser Posten musste erst verfassungsmäßig eingerichtet werden.

Anfangs war die Koalition eine Zwangsehe, Kibaki und Odinga taten sich schwer miteinander. Odinga und seine Leute klagten, der Präsident konsultiere nicht, sondern entscheide eigenmächtig und behandle seinen Premier nicht angemessen. Auch über den Rang des Premiers gegenüber dem Vizepräsidenten gab es Streit – Odinga wollte höher gestellt sein. Erst seit Odinga Kibaki Anfang 2009 in sein Privathaus im Luo-Land einlud, wirkt ihr Verhältnis harmonischer.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Odinga vom Kalenjin-Flügel der ODM bereits weitgehend entfremdet. Er lasse sie im Stich nachdem sie für ihn gekämpft hätten, lautet deren Vorwurf.

Dank der Koalitionsregierung hat das Land nun Frieden. Allerdings hausen immer noch Menschen in Flüchtlingslagern, die erneute Angriffe der Nachbarn fürchten. Aber es gibt Fortschritte bei Straßenbau und Elektrifizierung, beim Gesundheitswesen auf dem Land, bei der Finanzierung kleiner Entwicklungsmaßnahmen und bei Infrastrukturanleihen der Zentralbank.

Die Koalitionsvereinbarung hat das Parlament und dessen Ausschüsse gestärkt. Es gibt allerdings praktisch keine Opposition, ODM und PNU machen alles unter sich aus. Aber immerhin spielen die Abgeordneten eine Rolle. Der Präsident hat etwas von seiner Übermacht verloren. Man kann von einem bescheidenen Zuwachs an „Demokratie” sprechen – auch wenn die kenianische Realität vom Idealmodell noch weit entfernt ist. Staatliche Institutionen – Parlament, Gerichte, Sicherheitskräfte und Ministerien – dienen weitgehend den Eliten und deren Erhalt von Macht, Ansehen und Geld.

Wichtig ist auch die persönliche Straffreiheit. „Impunity” charakterisiert die derzeitige Koalitionsregierung. Zwei Jahre nach den Ausschreitungen werden die Täter noch immer nicht gerichtlich verfolgt. Das Parlament hat ein lokales Tribunal abgelehnt.

Mündlich hat die Regierung Kooperation mit dem ICC (International Criminal Court) zugesagt – verzögert das aber bisher. Eine Verfolgung der Haupttäter wurde verweigert. Der politische Wille fehlt. Die meisten Kenianer trauen bereits mehr dem ICC als der eigenen Gerichtsbarkeit, das Vertrauen in Kibakis und Odingas politische Führung schwindet.

Präsident und Premier sind in einer prekären Lage. Sie wünschen Stillstand, was weder die Mehrheit der Kenianer noch die internationale Gemeinschaft akzeptieren. Zwar waren sie selbst keine aktiven Täter, aber eben doch Mitwisser und Befürworter der Gewalt. Der Waki-Bericht benennt die Haupttäter – und sechs davon sind heute Mitglieder des Kabinetts. Spitzenpolitiker schützen Parteifreunde und Stammesangehörige, die Verbrechen begangen haben.

Einmischung der USA, der EU oder auch des Afrikaners Kofi Annan ärgert die Kenianer. Zugleich sehen sie aber die Tatenlosigkeit der eigenen Politiker. Annan hatte die Umsetzung der vereinbarten Justiz- und Landreformen angemahnt, die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit – immerhin wurde daraufhin ein neuer Verfassungsentwurf vorgelegt. Für die Anhänger von Kibaki und Odinga bleibt aber die Balance der Macht die wichtigste Frage.