Friedensarbeit
Zwischen Scharia und Staatsräson
Von Peter Hauff
Lokale Akteure müssen selbst bestimmen, unter welchen Umständen sie für eine politische Wende und für Menschenrechte kämpfen wollen, argumentiert Abdullahi Ahmed An-Nacim. In einem Aufsatz für die wissenschaftliche Zeitschrift „Die Friedens-Warte“ blickt der in den USA lehrende, aus dem Sudan stammende Rechtswissenschaftler auf die arabischen Aufstände von 2011 zurück. An-Nacim empfiehlt, Islamisten selbst dann in die politische Willensbildung einzubeziehen, wenn sie gegen Menschenrechte eingestellt sind. Das müsse innerhalb von Gesetzen geschehen, die für alle Bürger gelten.
Spannungen zwischen dem Regelwerk des Islam und einem postkolonialen Staat könnten durch klare Trennung zwischen Scharia und Staat gelöst werden, meint An-Nacim: Glaubensnormen sollen schließlich vor Sünde schützen, öffentliche Gesetze aber vor Unrecht. Diese Trennung zu regeln, ohne Politik und Islam gegeneinander auszuspielen, sei die eigentliche Herausforderung.
Kein generelles Recht auf Demokratie
Der deutsche Völkerrechtler Niels Petersen erörtert im selben Heft, ob denn die staatenübergreifende Charta der Vereinten Nationen überhaupt ein Recht auf Demokratie einschließt. Er schreibt zwar allen Menschen ein Recht zu, für Demokratie zu kämpfen, nicht aber auf Demokratie als Staatsform. Systemwandel dürfe außenpolitisch nur erzwungen werden, wenn
– der UN-Sicherheitsrat kollektives Handeln seiner Gemeinschaft genehmigt,
– die UN-Charta militärische Einzelgänge von Staaten erlaubt oder
– bei Intervention auf Einladung einer Regierung, wie 1997 bei dem Einmarsch Nigerias nach dem Putsch in Sierra Leone.
Mehrdad Payandeh von der Universität Düsseldorf hinterfragt im Anschluss ganz konkret die Legalität der Militärintervention in Libyen. Bis heute gilt die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats als Grundlage für den erzwungenen Regimewechsel. Doch bezweifelt der Autor, dass solche Interventionen generell rechtens sind. Über den Fall Libyen hinaus bleibe fraglich, welche Akzeptanz internationale Friedenstruppen langfristig erwarten können, sollten sich Einsätze nach Resolution 1973 wiederholen.
Der Arabische Frühling überraschte die Europäische Union. Die beklagenswerte Nationalisierung der EU-Politik sei bis heute nicht überwunden, meint Annette Jünemann. Die Hamburger Professorin brandmarkt die EU-Mittelmeerpolitik seit 1995. Sie achtete weniger auf Demokratie als auf das Prestige der EU-Mitglieder und deren ökonomische Interessen, heißt es in ihrem Aufsatz.
Nach dem Kalten Krieg erhoben EU-Politiker zwar in den 1990er Jahren „demokratischen Frieden“ zur Leitlinie. Doch seit dem Anschlag auf das World Trade Center im November 2001 ließe die Union sich von wirtschaftlicher und politischer „Stabilität“ leiten – etwa wenn sich Tunesiens alte Nomenklatura bei Privatisierungen bereicherte. Viele EU-Mitgliedsstaaten machten sich im Anschluss zu Komplizen von US-Geheimdiensten und arabischen Behörden. Deshalb müssten Europäer heute behutsam für Bürger- und Menschenrechte eintreten, schreibt die Autorin.
Terrorabwehr statt Hilfe für Demokraten
Jünemann bezweifelt, dass die EU als politischer Block dazugelernt hat. Sie begründet das mit Europas „strukturell bedingten Handlungslogiken“. Für Demokratieförderung im Ausland bräuchten EU-Mitgliedsländer nämlich stärkere Institutionen in Brüssel, wofür sie sich aber nicht einsetzten. Auch Europas Migrationspolitik sei voll ungelöster Widersprüche, urteilt die Politikwissenschaftlerin: „Ertrunkene Bootsflüchtlinge sind Teil unseres europäischen Alltags geworden und werden von Medien kaum mehr skandalisiert.“
Peter Hauff