Editorial
Weniger ist mehr
Das Thema Tierhaltung ist vielschichtig und kontrovers. Wer welche Position vertritt, hängt maßgeblich vom jeweiligen Blickwinkel ab. Eine intensive industrielle Massentierhaltung wie in den reichen Nationen betrieben, hat ganz andere Folgen als eine extensive Weidewirtschaft von Hirtenvölkern oder Kleinbauern. Ein Ernährungsexperte aus Europa hat ganz andere Sorgen als ein Experte aus China oder Indien.
In westlichen Industrieländern hat die Lust nach viel und billigem Fleisch zu vielen Missständen geführt mit negativen Folgen für Mensch, Tier und Umwelt. Zu viel Fleischkonsum kann zu Übergewicht führen und erhöht das Risiko für Herzinfarkt, Diabetes und Krebs. Zudem stören sich viele Menschen daran, dass Tiere in großen Mastanlagen unter unwürdigen Bedingungen gehalten werden. Dass Hühner und Schweine auf so engem Raum nicht ständig krank werden, kann nur durch den Einsatz von Antibiotika verhindert werden. Je mehr Dosen von einem Medikament verabreicht werden, desto eher entstehen aber resistente Erreger. Der massenhafte Antibiotika-Einsatz in der Viehhaltung hat deshalb dazu beigetragen, dass heute viele Krankenhäuser in der reichen Welt mit multiresistenten Keimen zu kämpfen haben – und dass immer mehr Patienten, denen kein Antibiotikum mehr helfen kann, sterben müssen.
Durch die Massentierhaltung fällt auch eine enorme Menge an Gülle an, deren Entsorgung Böden, Grundwasser, Flüsse und Seen verschmutzt. Zudem wirkt sich die Fleischeslust der Industrieländer auch in Schwellen- und Entwicklungsländern negativ aus. Für die großen Mengen an benötigtem Tierfutter werden etwa in Brasilien Millionen von Hektar an Tropenwäldern abgeholzt, um neues Ackerland für Soja zu gewinnen.
Die westlichen Industrienationen produzieren mittlerweile so viel Fleisch, dass sie es sich leisten können, vom Huhn nur noch die Filetstücke zu essen. Die anderen Hühnerteile dienen dann praktischerweise als Exportgut und zerstören in Afrika Märkte, von denen Kleinbauern abhängen. Sie können mit den billigen Preisen für EU-subventionierte Hühnerteile nicht mithalten.
Die Bürger der Schwellenländer – allen voran China – schicken sich an, ebenso eifrige Fleischesser zu werden wie Europäer und Nordamerikaner. Wohin das führten kann, wurde eben beschrieben. Allerdings sind die sozialen Verhältnisse dort noch anders. Während sich in der EU und den USA fast alle Menschen täglich Fleisch leisten können, gilt dies nicht für die Armen Chinas oder Indiens. Diese Bevölkerungsgruppen bekommen in der Regel zu wenig tierische Proteine, während sich ihre wohlhabenden Landsleute bereits Fleisch im Übermaß leisten können. Es wäre sinnvoll, die Ungleichheit im Nahrungsmittelkonsum auszugleichen.
Ein Ansatz dies zu erreichen, liegt darin, Kleinbauern und Hirten in ländlichen Regionen zu unterstützen, die dann ihre Produkte auch auf lokaler Ebene vertreiben könnten.
In Europa und den USA wird die heutige Fleischproduktion zunehmend kritisch gesehen und immer mehr Menschen reduzieren ihren Verbrauch oder verzichten sogar ganz auf Fleisch. Um die Bedingungen tiefgreifend zu verändern, müssen aber noch viel mehr Menschen weniger Fleisch konsumieren und Fleisch muss wieder teurer werden. Das Ernährungsziel von Schwellen- und Entwicklungsländern sollte nicht sein, dass alle Bürger möglichst viel Fleisch auf dem Teller haben, sondern dass alle möglichst gutes Fleisch in Maßen genießen können.
Sabine Balk ist Redakteurin von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit /
D+C Development and Cooperation.
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