WTO

Grundlegende Reform nicht in Sicht

Die Welthandelsorganisation (WTO) muss dringend reformiert werden. Die vorliegenden Reformvorschläge dienen jedoch vor allem den Interessen der Industrieländer. Die Entwicklungsländer sollten gemeinsam eigene Vorschläge in die Debatte einbringen.
Regionale Gemeinschaften stellen ihre eigenen Handelsregeln auf, westafrikanische Länder handeln zum Beispiel zunehmend untereinander mit Strom: Übertragungsleitungen in Abidjan, Elfenbeinküste. Legnan Koula/picture-alliance/dpa Regionale Gemeinschaften stellen ihre eigenen Handelsregeln auf, westafrikanische Länder handeln zum Beispiel zunehmend untereinander mit Strom: Übertragungsleitungen in Abidjan, Elfenbeinküste.

Die Eskalation von Handelskonflikten, etwa zwischen den USA und China, hat die Diskussion um die Zukunft der WTO neu beflügelt. Die Lage ist ernst: US-Präsident Donald Trump hat bereits mit Austritt gedroht und missachtet offen die Prinzipien der Organisation, die das multilaterale Handelssystem garantieren soll – etwa indem er Strafzölle gegen wichtige Handelspartner verhängte. Außerdem blockiert die US-Regierung die Ernennung neuer Mitglieder für das WTO-Streitschlichtungsorgan, dem damit Ende 2019 die Lähmung droht.

Dass sich traditionelle Befürworter und Nutznießer des WTO-Systems, vor allem die USA, nun abwenden, verleiht der schon länger laufenden Reformdebatte eine neue Dringlichkeit. Die EU und Kanada haben jüngst Reformvorschläge vorgelegt. Speziell für Entwicklungsländer bieten diese jedoch wenig Vorteile. Sie zielen größtenteils auf Begrenzung des Schadens für westliche Industriestaaten ab, der sich aus der Blockade des multilateralen Systems ergibt. Im globalen Süden werden sie daher auf Widerstand stoßen.

Im Bereich der Streitschlichtung enthalten die Reformen Zugeständnisse an die USA, gehen aber auch über die US-Forderungen hinaus. Die US-Kritik richtet sich speziell gegen die Tendenz der WTO-Berufungsinstanz, in der Streitschlichtung übers Ziel hinauszuschießen und die Rechte und Pflichten der Mitgliedsstaaten außerhalb des unmittelbaren Streitgegenstands zu definieren. Dieser juristische Aktivismus soll eingeschränkt werden. Andererseits plant die EU aber, die Berufungsinstanz mit mehr Ressourcen auszustatten und die Zahl der Richter zu erhöhen, was der US-Position zuwiderläuft. Die weitreichendsten Vorschläge zielen aber auf eine Reform des Sonderstatus von Entwicklungsländern, die Erweiterung des WTO-Regelwerks und die Ausweitung von Verhandlungen im multi­lateralen Rahmen ab.

Die EU kritisiert die unzureichende Differenzierung zwischen Entwicklungsländern und fordert, speziell China den Entwicklungsstatus abzuerkennen. Aktuell beanspruchen zwei Drittel der WTO-Mitglieder – inklusive China – diesen Status. Damit profitieren sie von Ausnahmen bei Zollkürzungen, längeren Übergangsfristen und finanzieller Unterstützung. Zwar könnte eine stärkere Abstufung oder regelmäßige Überprüfung des Entwicklungsstatus für Entwicklungsländer Vorteile bieten, da diese bisher im Exportwettbewerb mit Schwellenländern wie China benachteiligt sind. Heikel ist die vorgeschlagene Reform aber, weil sie den Mitgliedsstaaten das Recht auf Selbsteinstufung nehmen würde.

Ähnliches gilt für Vorschläge zu Regeln gegen marktverzerrende Subventionen, Staatsunternehmen und erzwungene Technologietransfers, die das veraltete WTO-Regelwerk nicht enthält. Auch diese Maßnahmen richten sich hauptsächlich gegen China, dem die EU, USA und Japan marktverzerrende Praktiken vorwerfen. Entwicklungsländer, deren Exportprodukte mit den chinesischen konkurrieren, könnten auch hier mit profitieren. Das Hauptinteresse liegt jedoch bei den Industriestaaten. Außerdem würde der entwicklungspolitische Spielraum der WTO-Mitglieder weiter eingeschränkt, und viele Entwicklungsländer verweigern sich der Diskussion dieser Themen. Stattdessen fordern sie, zuerst im Rahmen der Doha-Runde für frühere Zugeständnisse, etwa die Schaffung von Regeln zum Schutz geistigen Eigentums im Rahmen der vorangehenden Uruguay-Runde, entschädigt zu werden. Auch China wird es ablehnen, sich in Zukunft in der WTO zu rechtfertigen.

Insgesamt zielen die bisherigen Vorschläge nicht auf eine grundlegende Reform der WTO ab, sondern doktern an den Symptomen fundamentaler Spannungen im Handelssystem herum. Weil multilaterale Diplomatie komplex und langwierig ist, sind viele WTO-Mitglieder über die vergangenen Jahre auf bilaterale und regionale Abkommen ausgewichen. Die EU und die USA haben diesen Trend maßgeblich vorangetrieben und damit zugleich die Schwächung der WTO in Kauf genommen.

Für Entwicklungsländer ist dieses Vorgehen wenig nützlich. Zwar betonen die Reformvorschläge die Notwendigkeit, eine in Untergruppen erzielte Handelsliberalisierung an alle WTO-Mitglieder weiterzugeben. Doch Entwicklungsländer sitzen meist nicht mit am Verhandlungstisch und üben somit keinen Einfluss auf die Regelsetzung aus. Ihre Interessen, zum Beispiel der Abbau von Agrarsubventionen, werden nicht diskutiert und die Bildung von Verhandlungskoalitionen erschwert.

Eine Aktualisierung des multilateralen Regelwerks ist dringend geboten, steht aber erst am Anfang und muss fundamentale Interessenskonflikte überwinden. Wenn es nicht nur um Schadensbegrenzung gehen soll, sondern darum, die WTO langfristig zukunftsfähig zu machen, führen die aktuellen Reformvorschläge nicht weit genug. Sie spiegeln eher die Partikularinteressen weniger einflussreicher Staaten wider.

Entwicklungsländer müssen auf diese Diskrepanz zwischen Schadensbegrenzung und Modernisierung hinweisen und sie mit eigenen Reformvorschlägen überwinden. Viel dieser Kritik am bestehenden System ist bekannt, die aktuelle Situation bietet jedoch die Chance, existierende und neue Vorschläge mit neuer Dringlichkeit zu präsentieren. Dies kann mit der Frage beginnen, was Entwicklungsländer sich von einem funktionierenden Streitschlichtungsorgan erhoffen. Die dringenden Reformen bieten etwa die Möglichkeit, die – von Entwicklungsländern wenig genutzte – Streitschlichtung anwendungsfreundlicher zu gestalten. Entwicklungsländer sollten auch eine stärkere Vertretung ihrer Interessen in multilateralen Verhandlungen fordern, um diese langfristig in das multilaterale System einzubetten.


Fabian Bohnenberger promoviert am King’s College London zu multilateraler Handelspolitik.
fabian.bohnenberger@kcl.ac.uk
Twitter: @BohnenbergerF

Clara Weinhardt ist Dozentin für International Relations an der Hertie School of Governance und Non-Resident Fellow am Global Public Policy Institute.
c.weinhardt@hertie-school.org
Twitter: @claraweinhardt

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