Truckerinnen in Mexiko
Die Last des Klischees
Das Bild des rauen, einsamen und emotional unzugänglichen Frauenhelden hinter dem Steuer prägte jahrzehntelang das Berufsbild des Lkw-Fahrers in Mexiko. Tausende von Kilometern unter schwierigen Bedingungen zurückzulegen und dabei Hitze, Schlafmangel, Hunger und Gewalt auf der Straße zu ertragen, galt als Ausdruck von „Männlichkeit“ – ganz der widerstandsfähige und unabhängige Versorger. Die Branche gehört zu den am stärksten von Männern dominierten in ganz Mexiko.
Diese Vorstellung von Maskulinität birgt jedoch tiefe Konflikte. Armando Liceaga, Psychologe des Transportunternehmens Transportes Esteban (TES), sagt, hinter dieser Fassade verberge sich eine ungelöste emotionale Spannung: Viele Lkw-Fahrer sehnten sich danach, um Hilfe zu bitten oder sich verletzlich zu zeigen, aber ihnen fehlten die Mittel, dies auszudrücken. Seiner Erfahrung nach ist es nicht ungewöhnlich, dass Männer zwei oder mehr Familien an verschiedenen Orten des Landes unterhalten. Dies sei eine dysfunktionale Weise, Erleichterung von schweren Arbeitstagen zu suchen, die geprägt sind durch das Fehlen enger Bindungen oder die Entfernung von den Lieben.
Laut René López Pérez existiert in Mexiko nach wie vor latent ein Modell hegemonialer Männlichkeit, das auf Autorität, Unabhängigkeit und Unterdrückung von Emotionen basiert. Er ist Forschungsleiter bei GENDES, einer auf Männlichkeitsstudien spezialisierten Organisation. „Von klein auf wird Männern beigebracht, jegliche Verletzlichkeit zu leugnen und sehr kompetitiv zu sein. Diese Form der Sozialisierung passt zu den Anforderungen der Transportbranche: strapaziöse Arbeitstage, lange Isolation, allein getroffene Entscheidungen und Risikotoleranz“, sagt der Experte.
Arbeitsteilung nach Geschlechtern
Lange Zeit waren Frauen wegen dieses Modells aus dem Spiel. Die tief in der mexikanischen Kultur verwurzelte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung beschränkte sie auf die Bereiche Pflege, Hausarbeit und das Emotionale. Dagegen bemächtigten sich Männer der Bereiche, die körperliche Kraft, Risikobereitschaft und handwerkliche Fähigkeiten erforderten. Die wenigen Frauen, die sich trauten, in diese Branchen einzusteigen, stießen auf eine doppelte Hürde: den mangelnden Zugang zu einer fachlich-technischen Ausbildung – und eine Unternehmenskultur, die sie als Anomalie betrachtete.
Nach der Covid-19-Pandemie eröffnete der Mangel an Lkw-Fahrern und das Streben der Frauen nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit neue Möglichkeiten: Der Frauenanteil in der Branche wuchs. Laut INEGI, der mexikanischen Statistikbehörde, machten im Jahr 2023 Frauen etwa 45 % der Gesamtbeschäftigten aus, aber nur knapp 21 % der Beschäftigten im Bereich Transport, Post und Lagerung. Dieses Verhältnis spiegelt sowohl den Rückstand in diesem Bereich wider als auch das Potenzial für Inklusion.
Paola Moncada, Vorsitzende der Asociación de Mujeres Operadoras (Vereinigung der Fahrerinnen), erinnert daran, dass vor nur vier Jahren weder die Berufsschulen noch die Unternehmen in Mexiko über die notwendige Infrastruktur und Mentalität verfügten, um Frauen in die Branche zu integrieren. Die vorherrschenden Vorurteile hätten in Frauen vor allem ein potenzielles Risiko und eine mögliche Ablenkung gesehen. Ein großer Teil der Frauen, sagt Moncada, habe sich aber sehr lernwillig gezeigt und damit bewiesen, dass sie die gesellschaftlichen Erwartungen nicht nur erfüllen, sondern übertreffen konnten. Heute verdienten manche dieser Frauen bis zu dreimal so viel wie zuvor in traditionellen Frauenberufen und hätten damit ihre Lebenssituation verbessert.
Anhaltende Schwierigkeiten
Erhebliche strukturelle Hindernisse bestehen allerdings fort. Dazu zählen der Mangel an sicheren Rastplätzen, Gewalt auf der Straße, Diskriminierung in vielen Unternehmen und der Widerstand einiger Kollegen, die die Anwesenheit von Frauen als Bedrohung empfinden. Darüber hinaus scheint die Einbeziehung von Frauen teils eher eine Frage des Images zu sein als ein echtes Bekenntnis zur Gleichstellung – etwa wenn sich an der Unternehmenskultur oder schlechten Arbeitsbedingungen nichts Wesentliches ändert.
Auch wenn Frauen in der Transportbranche weiterhin klar in der Minderheit sind, haben sie in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass über Geschlechterrollen neu gedacht wird. Während immer mehr Lkw-Fahrer ihre Kolleginnen akzeptieren, empfinden andere den Wandel eher als Verlust: Wenn sie nicht mehr die alleinigen Versorger sind und den Zugang zu ihrem Beruf mit Frauen teilen müssen – was bedeutet es dann noch, ein Mann zu sein?
Forscher René López Pérez vermutet, dass der Wandel von vielen Männern eher als Bedrohung wahrgenommen werde. Ihre traditionelle Vormachtstellung zu verlieren, ohne einen gesunden Anpassungsprozess zu durchlaufen, könne Widerstand, Ressentiments und sogar Gewalt auslösen.
Vor diesem Hintergrund gilt es nicht nur, die Ausbildung und Eingliederung von Frauen voranzutreiben, sondern auch Räume zu schaffen, in denen Männer ihre Rolle neu definieren können – sei es beruflich oder auch in ihrem Verhalten. Letztendlich geht es auch darum, den Männern beizubringen, mit Frauen gleichberechtigt zu kooperieren und sich dabei verletzlich zeigen zu dürfen, ohne Angst haben zu müssen, ihren Wert zu verlieren.
Inklusion, Respekt und neue Vorbilder
Don Urbano López Román, Lkw-Fahrer mit mehr als 30 Jahren Erfahrung auf der Straße, verkörpert diesen Wandel auf greifbare Weise. „Meine Tochter fährt jetzt ihren eigenen Sattelzug; ich habe es ihr selbst beigebracht“, sagt er nicht ohne Stolz. „Ich habe große Bewunderung für Frauen, die sich trauen, einen Sattelzug zu fahren. Was wirklich zählt, sind Respekt und gute Vorbereitung, nicht das Geschlecht.“ Seine Einstellung ist Beweis dafür, dass Wandel möglich ist.
Auch jenseits des Transportsektors sind Frauen noch in vielen Bereichen unterrepräsentiert oder kämpfen gegen Vorurteile. Alternative Männlichkeitsmodelle werden dringend gebraucht. Es lohnt sich jedoch, noch einen Schritt weiterzugehen und nicht nur die Männlichkeit, sondern auch die Geschlechterrollen, die uns definieren, zu überdenken. In einer Welt mit vielfältigeren Identitäten und ohne sexistische Rollenbilder würde es Gewalt gegen Lkw-Fahrerinnen – oder Frauen in anderen Berufen – nicht mehr geben.
Montserrat Bustos Cardona ist Reporterin, Fotografin und lokale Produzentin in Mexiko.
montserratbustosc@gmail.com