Traditionelle Heiler
Die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen
In Kambodscha herrschten jahrzehntelang Krieg, politische Unruhe und Instabilität. Das Land hat in den vergangenen 40 Jahren einiges durchgemacht, immer noch haben die Menschen mit ihrer schmerzvollen Vergangenheit zu kämpfen. Zugleich sind sie mit Armut, Arbeitslosigkeit, politischen Spannungen und Klimawandel konfrontiert. Das Gesundheitssystem ist nach wie vor fragil und muss weiter entwickelt werden; die Möglichkeiten, Menschen mit psychischen Störungen angemessen zu betreuen, sind ungenügend (siehe Kasten).
Die Transkulturelle Psychosoziale Organisation Kambodscha (TPO) bietet Kambodschanern mit psychischen Problemen in Phnom Penh und Dorfgemeinden auf dem Land Hilfe an. TPO wurde 1995 als Partnerorganisation einer niederländischen Nichtregierungsorganisation gegründet und ist seit 2000 als unabhängige kambodschanische Organisation registriert. Der Ansatz von TPO ist es, westliche Medizin mit Glauben, traditionellen Praktiken und Bräuchen zu vereinen. TPO hat eine Klinik in Phnom Penh, zudem schult es Partnerorganisationen. Die Organisation will für das Thema psychische Probleme und Störungen sensibilisieren und setzt sich landesweit für Hilfsangebote ein. Ihre Arbeit unterstützt mitunter auch Konfliktlösung, Friedensbildung und soziale Gerechtigkeit.
Der TPO-Geschäftsführer und Psychiater Chhim Sotheara betont, dass es sehr wichtig ist, kulturelle Aspekte bei der psychosozialen Behandlung miteinzubeziehen. Dazu gehört auch, zu verstehen, wie Angehörige bestimmter Kulturen Symptome psychischer Störungen wahrnehmen und beschreiben. Unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche „Leidenssprachen“, sagt er. TPO versucht, für diesen Aspekt besonders bei lokalen Gemeindeverantwortlichen ein Bewusstsein zu schaffen. Der Organisation ist sehr daran gelegen, diesen Persönlichkeiten wie auch anderen Gemeindemitgliedern Einblicke in medizinisches und psychologisches Wissen zu verschaffen, will aber umgekehrt auch von ihnen lernen.
Bei der TPO erarbeitet ein multi-professionelles Team gemeinsam kulturell angemessene Maßnahmen. Zu den Mitarbeitern gehören Psychiater, Krankenschwestern, Psychologen, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter und paramedizinische Fachkräfte. Traditionelle Heiler werden zusätzlich geschult. Sie spielen eine zentrale Rolle in der kambodschanischen Gesundheitsversorgung und müssen unbedingt einbezogen werden.
Diese Heiler werden älter und ihr wertvolles Wissen ist nirgends dokumentiert. Junge Leute interessieren sich wenig dafür, diese Profession zu erlernen, vor allem deshalb, weil sie nicht viel Geld bringt. Die Dokumentation des Wissens ist allerdings eminent, um es in westliche Behandlungsmethoden integrieren zu können und Behandlung so kulturell spezifisch und erfolgreich zu gestalten. Die TPO will zu diesem Thema weiter forschen und mehr Wissen ansammeln.
Traditioneller Glaube
In Kambodscha ist die Art, wie psychische Erkrankungen verstanden werden und wie man mit ihnen umgeht, stark von traditionellen Vorstellungen geprägt. Meist werden psychische Herausforderungen als problematische Beziehungen zu den verstorbenen Vorfahren verstanden. Auch der buddhistische Karma-Gedanke wird oft bemüht, um zu erklären, was bei einer Person gerade passiert. Da die kambodschanische Gesellschaft kulturell sehr vielfältig ist, spielt das örtliche Umfeld eine weitere wichtige Rolle.
Es gibt auch geschlechtsspezifische Aspekte. Traditionelle Autoritäten sind überwiegend Männer und sie diagnostizieren Frauen schnell als überängstlich und „zu besorgt“. Psychische Probleme bei Männern dagegen werden meist auf Drogenmissbrauch zurückgeführt. Abnormales Verhalten wird mit Armut erklärt, da diese die Möglichkeiten der Betroffenen einschränke, ihre Familien zu versorgen. Chronische Schmerzen – die oft auch Folgen psychischer Probleme sein können – kämen von der harten landwirtschaftlichen Arbeit.
Kambodschanische Familien tun alles dafür, ein Familienmitglied mit psychischen Problemen so lange wie möglich innerhalb der Familie zu integrieren. Erst wenn eine Person ernsthaft den Familienalltag beeinträchtigt, zum Beispiel durch gewalttätiges Verhalten oder Verstoß gegen soziale Normen (etwa schmutzig herumläuft), und damit Schande über die Familie bringt oder wenn die Belastung zu groß wird, suchen die Familien Hilfe.
Dann wenden Kambodschaner sich meist zuerst an religiöse oder traditionelle Führer oder an die Ältesten, bevor medizinische Hilfe beansprucht wird. Wichtige Anlaufstellen sind:
- Buddhistische Mönche (preahsong): Sie genießen bei Jung und Alt, auf dem Land wie in der Stadt ein hohes Ansehen. Sie vollziehen spirituelle Reinigungsrituale an Betroffenen. Die Menschen wenden sich aber auch an sie, um etwas über die Zukunft zu erfahren.
- Wahrsager (kru tjeij) werden meist – angeblich vor allem von Frauen – konsultiert, wenn es um Beruf oder Liebesbeziehungen geht.
- Traditionelle Heiler (kru khmer) praktizieren meist auf dem Land und behandeln körperliche oder psychische Symptome mit Kräutern. Sie sind in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit westlichen Naturheilkundlern und Homöopathen. Bei bestimmten Symptomen erzielen sie herausragende Erfolge, versuchen sich aber auch dann, wenn andere Kompetenzen gefragt sind.
- Zwei Arten von Medien (kru juarea und kru juroup), von denen die Menschen glauben, dass sie mit verschiedenen Arten von Göttern und Ahnen kommunizieren. Sie wenden auch unterschiedliche Methoden an. Die einen erstellen Medizin aus Reiswein und Tierteilen, die eingenommen wird. Es heißt, dass diese Praxis zu Alkoholismus führen kann. Die kru juarea hingegen versetzen Menschen über Tanz und Musik in Trance. Sie sagen, die verschiedenen Götter gäben ihnen Hinweise, wie eine Person zu behandeln ist.
- Imame sind die religiösen Führer der Cham (der muslimischen Kambodschaner). Sie unterstützen die Menschen in allen Lebenslagen.
Religiöse Führer und Heiler werden meist mehrfach aufgesucht. Oft verbessert sich der Zustand des Patienten anfangs, aber häufig kommt es zu Rückfällen. Immer öfter suchen diejenigen, die es sich leisten können, wissenschaftlich fundierte medizinische Hilfe. Leider sind Ärzte und Krankenschwestern in lokalen Gesundheitszentren meist nicht sehr gut ausgebildet und können auch nicht wirklich helfen.
Der erste Schritt zur Verbesserung der derzeitigen Situation muss darin bestehen, den Kambodschanern besseren Zugang zu professionellen psychosozialen Leistungen zu verschaffen, mehr Bewusstsein für das Thema zu schaffen und medizinischen und paramedizinischen Fachkräften relevante Fähigkeiten zu vermitteln. Darüber hinaus müssen die Vorteile westlicher psychologischer und psychiatrischer Methoden mit den lokalen Traditionen verbunden werden.
Solida Sun ist Beraterin bei TPO Kambodscha.
solida@tpocambodia.org
http://tpocambodia.org/
Lemhuor Bun ist Berater bei TPO Kambodscha.
lemhuor@tpocambodia.org
Panha Pich ist Projektleiter bei TPO Kambodscha.
pichpanha@tpocambodia.org
Sharon Gschaider-Kassahun ist Beraterin von TPO Kambodscha, die von der GIZ im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) unterstützt wird.
shkassahun@gmail.com