Book review
Weshalb „Energiewende“ ein irreführender Begriff ist
Die Klimakrise ist in weiten Teilen verursacht durch den globalen Energieverbrauch. Das Buch „More and more and more – An all-consuming history of energy“ von Jean-Baptiste Fressoz könnte also aktueller kaum sein.
Fressoz ist Wissenschafts- und Technikhistoriker am Centre Nationale de la Recherche Scientifique in Paris und arbeitete zuvor am Imperial College London. In seinem Buch untersucht er verschiedene „Energiewenden“ der Menschheitsgeschichte. Laut Fressoz ist der Begriff irreführend, da die Wende in der Regel nicht vollständig umgesetzt wird. Setzt sich eine neue Energiequelle durch, bleiben demnach die alten in Gebrauch.
Fressoz beleuchtet etwa den Übergang von Holz zu Kohle. Heute werde oft übersehen, dass im sogenannten Kohlezeitalter weiterhin riesige Mengen Holz verbraucht wurden. Während der Industriellen Revolution verbrannten viele Länder mehr Holz als je zuvor, obwohl Kohle wichtiger schien, weil sie neu war und Maschinen antrieb.
Tatsächlich fand im Kohlezeitalter in Großbritannien eine erhebliche Entwaldung statt. Eine Ursache dafür war der Bedarf an Holz als Stützmaterial im Bergbau. Doch Holz blieb auch eine Energiequelle, bis heute. Fressoz weist darauf hin, dass weltweit jährlich 2 Milliarden Kubikmeter Holz geschlagen werden – dreimal so viel wie vor einem Jahrhundert. Auch wegen des Bedarfs an Land werden Wälder im Eiltempo abgeholzt. Ihre Zerstörung schreitet voran – trotz der Wende hin zu erneuerbaren Energien.
Laut Fressoz tendieren moderne Technologien dazu, parallel zu traditionellen zu existieren. Er betont, Angela Merkels Deutschland habe dreimal so viel Kohle verbraucht wie Bismarcks Deutschland im späten 19. Jahrhundert. Würde man die Kohleproduktion für importierte Güter in den CO2-Fußabdruck eines Landes einrechnen, läge Großbritannien trotz seines Kohleausstiegs bei jährlich 50 Millionen Tonnen Kohle.
Obwohl das „Ölzeitalter“ in den 1950er-Jahren begann, war der größte Anstieg des weltweiten Kohleverbrauchs (300 Prozent) laut Fressoz zwischen 1980 und 2010 zu verzeichnen. Beispielsweise stieg der Kohleverbrauch in China seit 1980 um den Faktor 10, in Taiwan um den Faktor 12 und in Indonesien sogar um den Faktor 50.
Selbst der Ausbau der Windkraft hängt laut Fressoz stark von Kohle ab, da der benötigte Stahl meist mithilfe von Kohle produziert wird. Für ihn verhalten sich Energiequellen demnach eher symbiotisch, als dass sie in Konkurrenz zueinander stünden. Es sei daher ein Fehler, Energiequellen isoliert zu betrachten. Entscheidend sei vielmehr, wie eine ganze Bandbreite an Materialien genutzt werde. Er weist darauf hin, dass Stahl stark von Kohle abhänge, während Plastik aus Öl gefertigt wird.
Nun gelte es, aus der Vergangenheit zu lernen, um die Zukunft zu gestalten. Der Klimaschutz erfordere keine neue Energiewende, sondern eine drastische Reduktion des Energieverbrauchs, betont Fressoz. Fossile Energien, die derzeit drei Viertel des weltweiten Energieverbrauchs ausmachen, müssten innerhalb von vier Jahrzehnten abgeschafft werden. In Fressoz' Augen ist es ein Fehler zu glauben, fossile Brennstoffe könnten einfach durch andere Technologien ersetzt werden.
Fressoz macht wiederholt deutlich, dass er sich nicht gegen erneuerbare Energien ausspricht und im Gegenteil hofft, dass sie sich durchsetzen. Klar sei jedoch, dass diesmal die neuen Technologien die alten vollständig ersetzen müssten. Auch die Verantwortung von einkommensstarken Ländern müsste dazu neu bewertet werden. Es sei irreführend, ausschließlich Schwellenländer für jene Emissionen verantwortlich zu machen, die bei der Produktion von Gütern entstehen, die in einkommensstarken Ländern konsumiert werden.
Literaturhinweis
Fressoz, J.-B., 2024: More and more and more – An all-consuming history of energy. London, Allen Lane/Penguin.
Ipil Monica Baski ist Studentin an der Jadavpur University in Kolkata.
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