Digitalisierung

Freiheit geben und nehmen

Digitale Technik spielt heutzutage eine wichtige Rolle für den Zugriff auf Dienstleistungen und die Wahrnehmung von Menschenrechten. Dabei sind die Interessen vieler verschiedener Gruppen involviert. Andererseits kann digitale Technik auch zu Menschenrechtsverletzungen beitragen.
Die Digitalisierung Kenias gilt international als Paradebeispiel: iHub Nairobi. Photoshot/picture-alliance Die Digitalisierung Kenias gilt international als Paradebeispiel: iHub Nairobi.

In Entwicklungsländern wie Kenia ist die Lage besonders komplex. Digitale Technik katapultiert die Menschen direkt von traditionellen Methoden, um an Informationen und Dienstleistungen zu gelangen, zu ganz modernen. Was früher nur wenigen Kenianern zugänglich war, erreicht heute einen viel größeren Teil der Bevölkerung. An der Spitze dieser Entwicklung stand das Mobiltelefon. Fehlende Infrastruktur wie Leitungen war plötzlich kein Hindernis mehr.

Die Digitalisierung Kenias gilt international als Paradebeispiel. Nach Angaben der Kommunikationsbehörde gibt es im Land fast 38 Millionen Handyverträge, und die Mobilfunkverbreitung liegt bei 88,1 Prozent. Geschätzte 22 Millionen Internetanschlüsse versorgen 32 Millionen Nutzer, 99 Prozent von ihnen über mobile Geräte.

Mobilfunkgeräte haben Millionen Kenianern Zugang zu Finanzdienstleistungen beschert. Nur 29 Prozent der Erwachsenen haben ein Bankkonto, aber 58 Prozent nutzen mobile Geldtransfer- und ähnliche Services. Frauen profitieren besonders von dieser Entwicklung.


Demokratie und Technik

In vielen Entwicklungsländern hängt der demokratische Fortschritt eng mit der Verbreitung digitaler Technik zusammen. In Kenia hat digitale Kommunikation die Bekanntheit und Durchsetzung der in der neuen Verfassung verankerten Grundrechte befördert.

Der Mobilfunk bietet zum Beispiel Möglichkeiten, das Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen. Bürger vernetzen sich online, sie tauschen Erfahrungen und politische Meinungen aus, äußern Protest und mobilisieren für Aktionen. Die Gruppe derer, die sich an politischen Diskussionen beteiligen, ist größer und vielfältiger geworden.

In einem Land wie Kenia, wo freie Meinungsäußerung trotz der Verankerung in der Verfassung mitunter bestraft wird, ist das bedeutsam. Die digitale Kommunikation gibt vielen Menschen ein Gefühl der Sicherheit und Anonymität, das sie zur freien Meinungsäußerung motiviert. Besorgniserregend ist hingegen die zunehmende Repression gegenüber Bloggern.

Die Bedeutung der neuen Medien ist dann besonders groß, wenn sich der Staat in die Berichterstattung klassischer Medien einmischt, etwa bei Wahlen oder politischen Unruhen. In Kenia war und ist das immer wieder zu beobachten – von der Gewalt nach den Wahlen 2007 bis zu den jüngsten Terroranschlägen. Die digitale Technik ermöglicht den Menschen, trotzdem informiert und in Verbindung zu bleiben.

Ein Beispiel ist die Online Plattform Ushahidi. Sie entstand nach den Wahlen 2007, als die Mainstream-Medien weder über die Ergebnisse umfassend informierten noch über die Gewalt, die das Land im Nachgang ergriff. Ein informeller Informationsaustausch über SMS, Emails und andere digitale Wege wurde organisiert. Bestätigte Informationen wurden in einer digitalen Landkarte Kenias eingetragen, auf die jeder mit Internetzugang zugreifen konnte.

Auf der anderen Seite können ebendiese Plattformen, die zur Wahrnehmung von Menschenrechten beitragen, auch zum umgekehrten Zweck verwendet werden. Behörden, Privatunternehmen, Terroristen und kriminelle Vereinigungen bedrohen zunehmend die Sicherheit, Offenheit und Freiheit der digitalen Kommunikation. Die Privatsphäre und Sicherheit der Nutzer stehen auf dem Spiel. Wachsender Online-Extremismus und Online-Rekrutierung von Terrororganisationen verschärfen das Problem.

Zuweilen wird die „Offline-Sicherheit“ über den Schutz digitaler Daten gestellt. Viele Menschen springen darauf an. In Kenia ist die Ansicht weit verbreitet, dass mehr digitale Überwachung, biometrische Ausweise und Videoüberwachung vonnöten seien, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten. In einer aktuellen Umfrage sprachen sich 75 Prozent der Befragten dafür aus, dass die Exekutivorgane das Recht haben sollten, die Online-Kommunikation der Bürger im Dienste der nationalen Sicherheit zu überwachen.

Da ist es kein Wunder, dass die jüngsten Staatsausgaben für Videoüberwachung als Fortschritt begrüßt wurden. Geäußerte Bedenken betrafen lediglich die Vergabe des Staatsauftrags. Die Risiken der Überwachungstechnik in Bezug auf die Verletzung von Menschenrechten spielten keine Rolle.

Zudem gab es Gesetzesänderungen, die das in der Verfassung verbriefte Recht auf Privatsphäre explizit einschränken. Behörden dürfen nun die Kommunikation überwachen, wenn dies der Terrorabwehr dient.

Der Oberste Gerichtshof Kenias erklärte zwar einige Klauseln für verfassungswidrig, die die Verbreitung von Informationen im Zusammenhang mit Terrorismus einschränkten. Die Klauseln zur staatlichen Überwachung blieben aber unangetastet. Protest kam noch nicht einmal aus den internetaffinen Bevölkerungsteilen.

Heute ist Kenia eins von nur zwei Ländern in Afrika, in denen nach Angaben der US-Organisation Freedom House (2015) Internetfreiheit herrscht. Das andere ist Südafrika. Kenias Internetfreiheit ist aber gesetzlich kaum geschützt. Ein Datenschutzgesetz liegt zum Beispiel seit zwei Jahren vor, seine Verabschiedung kommt aber nicht voran. Außerdem muss Kenia mehr zum Schutz der Meinungsfreiheit tun.


Ungleicher Zugang

In einer zunehmend digitalen Welt ist der Zugang zu Kommunikationsgeräten und dem Internet zentral. Das Stichwort für den Ausbau der Netzanbindung in Entwicklungsländern heißt „connecting the next billion“ – die nächste Milliarde vernetzen. Dieser Ansatz beschäftigt auch Privatunternehmen. Sie wollen Vorhaben der Regierung ergänzen oder ersetzen. Die Frage ist, ob die eingesetzten Technologien und Strategien tatsächlich für gleichen Zugang zu freien, offenen und sicheren Anwendungen sorgen. Die Kaufkraft der Zielgruppe ist gering, weshalb gewinnorientierte Unternehmen sich zumeist nicht für sie interessieren. Einige Privatsektor-Initiativen sind auf starke Kritik gestoßen, darunter das Free-Basics-Programm von Facebook, das armen Leuten kostenlosen Zugang, aber nur zu ausgewählten Online-Diensten, gewährt (siehe Kasten).

Einige Entwicklungsländer haben lobenswerte Initiativen auf den Weg gebracht, um den bezahlbaren Zugang zu digitaler Technik auszuweiten. In Kenia managt die Regierung den Universal Service Fund. Finanziert wird er durch Abgaben von Telekomanbietern, Lizenzzahlungen, staatliche Zuwendungen, Fördermittel und Spenden. Über den Fund werden nationale Projekte finanziert, die den Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnik in ländlichen und armen urbanen Gegenden verbessern. Im Fokus stehen dabei bestimmte Zielgruppen wie Frauen oder Menschen mit Behinderung. Gruppen, die bisher offline sind, sollen gleiche Rechte und Teilhabe wie die Online-Community erhalten.

Die beschriebene Entwicklung beschränkt sich nicht auf Kenia, sondern spielt in vielen Entwicklungs- und Industrieländern eine Rolle. Gesetzesinitiativen zu Cybersicherheit auf der ganzen Welt geben Anlass zur Sorge, da sie oft einen geringeren Schutz der Menschenrechte beinhalten. Es wird immer wieder argumentiert, man müsse Rechte für Sicherheit aufgeben. Die Menschenrechte sind zwar zunehmend in nationalem und internationalem Recht berücksichtigt. Es muss aber weiter dafür gekämpft werden, dass sie überall respektiert und hochgehalten werden, vor allem in Entwicklungsländern.


Nanjira Sambuli war Leiterin der Forschung am iHub Nairobi. Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Informations- und Kommunikationstechnik auf Regierungsführung, Innovation, Unternehmertum und gesellschaftliche Kultur in Kenia und ganz Afrika.
Twitter: @Ninanjira

 

Links

Freedom House: Freedom on the net 2015.
https://freedomhouse.org/report/freedom-net/freedom-net-2015

Ushahidi:
https://www.ushahidi.com/

 

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