Flucht in die USA

Gefährliche Reise

Als Nachbarland der USA ist Mexiko zu einem Transitland für viele Lateinamerikaner geworden: Es steht zwischen der Armut und oft konstantem bewaffneten Konflikt in der Heimat und dem Traum von einem besseren Leben im Ausland. Die beiden Nachbarländer Mexiko und USA profitieren von den Migrationsströmen. Politisch setzen sie aber vor allem auf Abschottung.
Versuch illegaler Einwanderung an der US-Grenzstation in San Diego, Kalifornien. Maung Versuch illegaler Einwanderung an der US-Grenzstation in San Diego, Kalifornien.

Wer in Mexiko oder Zentralamerika kein Geld und keine Papiere besitzt, dem bleibt häufig kein anderer Ausweg aus Not und Gewaltkonflikt, als sich illegal in die USA schleusen zu lassen. Viele vertrauen auf ihr Glück und bieten den Schleusern – „coyotes“ („Kojoten“) genannt – eine hohe Geldsumme, nicht selten ihre gesamten Ersparnisse, damit diese sie an die Tür zum vermeintlichen Paradies bringen.

Laut Oxfam kommen rund 65 Prozent der in den USA lebenden Lateinamerikaner aus Mexiko, aber nur weniger als ein Viertel von ihnen hat die US-Staatsbürgerschaft. Die Migranten stammen zumeist aus ländlichen und ärmlichen Gegenden, in denen das Bildungsniveau niedrig ist. Das Lohnniveau in den USA ist bis zu achtmal so hoch wie hier.

Der Staat Mexiko profitiert von den Geldrücksendungen der Auswanderer an ihre Familien. Schätzungen der Banco de México zufolge machen diese Überweisungen rund 1,8 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Aber auch die USA profitieren von der Situation. Mexikanische Arbeiter ohne Aufenthalts­papiere erwirtschaften hier rund vier Prozent des BIP, so der Jahresbericht 2013 zu Migration und Rücksendungen der Bank BBVA und dem staatlichen Institut CONAPO (Consejo Nacional de Población) in Mexiko.


Ein Jahrhundert der Migration

Die Auswanderung von Mexiko in die Vereinigten Staaten hat eine lange Geschichte. Die Politik der USA war dabei oft widersprüchlich. Das Land versucht einerseits, seinen stetigen Bedarf an billigen Arbeitskräften, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, zu decken. Gleichzeitig möchte die Politik den Anschein erwecken, durch harte Einwanderungspolitik lokale Arbeitsplätze für US-Amerikaner zu schützen. Die mexikanische Regierung wiederum zeigte sich bisher unfähig, die Lebensbedingungen der Bürger so zu verbessern, dass sie den ersehnten Wohlstand nicht mehr im Ausland suchen müssen.

In den 20er Jahren warben vor allem die nord­amerikanischen Landwirtschaftsbetriebe Arbeiter aus Mexiko an. Zu nicht wirklich vorteilhaften Konditionen: Damals wurden den Arbeitern die Kosten für ihre Überführung angerechnet, und sie durften das Land nicht verlassen, bevor sie ihre Schulden zurückgezahlt hatten.

Im darauffolgenden Jahrzehnt ging die Nachfrage zunächst etwas zurück, doch als der Zweite Weltkrieg die US-Wirtschaft ankurbelte und neuen Wohlstand brachte, wurden erneut Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigt. Abermals nahm der Staat eine widersprüchliche Politik an: Einerseits wurde das Zeitarbeitsprogramm „Bracero“ gestartet, das Landwirtschaftsbetriebe mit mexikanischen Arbeitern versorgen sollte. Gleichzeitig wurde die Grenze zunehmend militärisch abgeriegelt – ein Trend, der bis heute anhält.

Mitte der 60er Jahre war die mexikanische Arbeitskraft für den nordamerikanischen Markt nicht mehr unbedingt nötig, doch die wechselseitige Beziehung hatte sich bereits etabliert, und die USA beschäftigten weiter mexikanische Einwanderer. Nur 2009, während der großen Rezession wegen der Weltfinanzkrise, nahm der Strom der Migranten leicht ab. Viele in den USA lebende Mexikaner sahen sich damals gezwungen, in ihre Heimat zurückzukehren.

Andererseits plagt Mexiko seit einigen Jahren der brutale Konflikt zwischen Drogenbanden und Sicherheitskräften. Zehntausende wurden getötet und Massen aus ihrer Heimat vertrieben. In Zentralamerika sorgen „Mara“-Banden für ständige Gewalt, so dass sich auch dort viele Menschen wünschten, sie lebten an einem sichereren Ort. Tatsächlich versucht eine hohe Zahl der Menschen, durch Mexiko in die USA reisen. Das ist gefährlich und in keiner Weise idyllisch.


Gefährliche Reise durch Mexiko

Daten des Nationalen Migrationsinstituts aus Mexiko zeigen, dass die Zahl der Zentralamerikaner 2005 und 2006 einen Höhepunkt erreichte, bis 2010 aber wieder zurückging und sich bei rund 140 000 solcher gezählten „Ereignisse“ stabilisierte. Die Herkunftsländer sind vor allem Guatemala, Honduras und El Salvador. Zwar sind über 90 Prozent davon Erwachsene, in den letzten Jahren ist allerdings auch die Zahl der Minderjährigen gestiegen. Oft sind es Jugendliche, die Gewalt und Perspektivlosigkeit entfliehen wollen. Die meisten von ihnen reisen allein.

Eine der Gefahren auf ihrem Weg durch Mexiko sind die Willkür und Korruption der Behörden. Der Zeitschrift Letras Libres zufolge werden Migranten – sowohl Zentralamerikaner als auch Mexikaner – in Mexiko häufig Opfer von Freiheitsberaubung, Diebstahl, Erpressung und Bestechung durch Staatsbeamte. In den USA wiederum sind die häufigsten Menschenrechtsverletzungen unrechtmäßige Inhaftierung, Isolation sowie Schläge und Beleidigungen, was vermutlich oft einen rassistischen Hintergrund hat.

Behördliche Vergehen sind aber auf beiden Seiten der Grenze nicht das einzige Risiko. Migranten sind auch der organisierten Kriminalität schutzlos ausgeliefert, die in Regionen wie Guerrero, Michoacán, Vera­cruz oder Estado de México besonders ausgeprägt ist.

Der katholische Priester Alejandro Solalinde, der sich für die Rechte von Migranten einsetzt und im Bundesstaat Oaxaca ein Migrantenwohnheim namens „Hermanos en el camino“ gegründet hat, ist über diese Zustände empört. Er übt heftige Kritik an den Banden, aber auch der mexikanischen Regierung, da sie zentralamerikanische Migranten verfolge und misshandele.

Es gibt viele andere zivilgesellschaftliche Akteure in Mexiko, die sich für die zentralamerikanischen Einwanderer einsetzen. Besonders erwähnenswert sind „Las Patronas“, eine Gruppe von Hausfrauen aus dem Bundesstaat Veracruz. Sie haben sich zusammengetan, um den Mitreisenden des berühmt-berüchtigten Zugs „La bestia“ („Die Bestie“) zu helfen. Ungeachtet ihrer eigenen finanziellen Situation, kochen sie und geben den erschöpften Reisenden Essenspakete mit. Sie machen dies seit Jahren ohne Bezahlung, weil sie es – wie sie selber sagen – als ihre christliche Pflicht ansehen.


Politik der nationalen Sicherheit

Die Migrationspolitik beider Seiten beschränkt sich bisher darauf, die Grenzen zu schließen und die militärische Präsenz zu verstärken – alles unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit. Doch es lässt sich keine Verbesserung beobachten. Die Lebensbedingungen in Mexiko werden nicht besser und die Verzweiflung, die so viele Menschen zum Auswandern bewegt, bleibt.

Die mexikanische Regierung scheint vor allem besorgt, dass der Strom an Geldrücksendungen aus den USA abebben könnte. Die wirtschaftlichen Reformen, die Präsident Enrique Peña Nieto nach Amtsantritt 2012 mit großen Versprechen einleitete, haben jedenfalls nicht gefruchtet. Die Kaufkraft scheint zu sinken, die Mittelschicht verarmt zusehends und die Landwirtschaft wird komplett vernachlässigt. Die ungleiche Verteilung des Reichtums ist offensichtlich. Dazu kommen allgegenwärtige Gewalt und Unsicherheit durch die organisierte Kriminalität.

Die Medien nähren den Traum von einem besseren Leben in den USA noch zusätzlich. Die Bilder aus Filmen, Fernsehserien und Musik sind im Vergleich zum Leben in Mexiko verlockend und nahezu unwiderstehlich. In Zentralamerika ist ihre Wirkung dieselbe.


Virginia Mercado ist Wissenschaftlerin an der Universidad Autónoma del Estado de México und Lehrkraft für Friedens- und Entwicklungsstudien.
virmercado@yahoo.com.mx