Kommentar

Salz in die Wunde

Die Côte d’Ivoire steht kurz vor dem Bürgerkrieg, doch die inter­nationale Gemeinschaft handelt nicht. Dass supranationale Demokratieprinzipien nicht durchgesetzt werden, verheißt für andere afrikanische Staaten nichts Gutes.


Von Vladimir Antwi-Danso

Laurent Gbagbo hat als Amtsinhaber die Präsidentschaftswahlen im November verloren, weigert sich aber, die Macht abzugeben. Der klare Wahlsieger Alassane Ouattara sitzt in einem Hotel in Abidjan fest und wird von internationalen Friedenstruppen geschützt. Aber Friede wird nicht gewahrt. Im Westen des Landes herrscht schon Krieg. Die Ouattara nahestehenden Forces Nouvelles habe dort wichtige Städte und Dörfer eingenommen.

Allerdings haben Gbagbos Anhänger zuerst Gewalt angewendet. Der Expräsident will im Amt bleiben, egal wie viel Blut fließt. Mehr als 700 000 Ivorer sind im Land und über seine Grenzen hinweg auf der Flucht. Brandstiftung, Folter, Gesetzlosigkeit und Mord geschehen tagtäglich.

Dies ist nicht einfach ein nationales Desaster, sondern ein kontinentales. Wieder einmal funktioniert der demokratische Übergang in Afrika nicht. Die Botschaft ist: Amtsinhaber können sich an der Macht halten, wenn sie nach verlorenen Wahlen auf Gewalt setzen. Die Koalitionsabkommen, die in Kenia und Simbabwe in ähnlichen Situationen geschlossen wurden, haben ein schlechtes Exempel statuiert. In beiden Fällen blieben Präsidenten ohne Wählermandat im Amt.

Zweifellos ist Ouattara der legitime Präsident. Darin stimmen Beobachter der Afrikanischen Union (AU), der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), der UN und der EU überein. Leere Drohungen und pazifistische Rhetorik bleiben aber bislang die einzige Reaktion auf das unverfrorene Ignorieren der Wahlergebnisse.

2001 verabschiedete die ECOWAS ein Protokoll über Wahlen, Demokratie und gute Regierungsführung. Die AU verfasste 2007 ein ähnliches, ebenso wichtiges Protokoll. In der aktuellen Krise werden sie aber nicht angewandt. Das Hauptthema regional-globaler Sicherheitspolitik scheinen die Beziehungen der UN zu regionalen und subregionalen Organisationen zu sein. Die Idee ist, die Vorteile jeder Institution maximal zu nutzen, damit sie sich optimal ergänzen. Dabei sollen die UN, was Frieden und Sicherheit betrifft, den Vorrang behalten. Im Falle der Côte d’Ivoire aber gibt es keinerlei wechselseitige Ergänzung.

Bis Ende Februar sollte eine Kommission der AU eine politische Lösung für die ivorische Krise erarbeiten. Sie wurde nicht rechtzeitig fertig. Ein Problem war, dass die ursprünglich beispielhafte Geschlossenheit der AU brüchig geworden ist. Gbagbo gibt sich als Antiimperialist, um Ouattara als Handlanger des Westens erscheinen zu lassen. Einige afrikanische Regierungen machen den Unsinn mit. Erst Mitte März erklärte die AU Gbagbo zum Hauptschuldigen – aber ohne handfeste Konsequenzen.

Selbst die ECOWAS, mit Nigeria als Vorsitz, beschuldigt die AU der Inkonsistenz, wobei sie Südafrika die Hauptverantwortung beimisst. Leider ist die ECOWAS aber selbst handlungsunfähig. Nigeria ist mit seinem eigenen Wahlkampf beschäftigt. Ghana hat sich mehr oder weniger auf Gbagbos Seite gestellt. Senegal und Burkina Faso zeigen sich zu militärischen Eingriffen unter dem Dach der ECOWAS bereit, aber es gibt keinen gemeinsamen Handlungswillen.

Die EU und die UN haben sich abgewendet, ihre Aufmerksamkeit gilt Nord­afrika. Die Geschehnisse dort sind wichtig, aber die in der Côte d’Ivoire sind das auch. Es geht um viel mehr als die Persönlichkeiten und Karrieren von Ouattara und Gba­gbo. Die entscheidende Frage ist, ob die Ergebnisse einer Wahl, die von fast allen Beobachtern als fair beurteilt wurde, anerkannt werden. Das ist der Gegenstand der regionalen und subregionalen Protokolle. Wenn ihnen keine Gültigkeit verschafft wird, lädt das zu ähnlichen düsternen Machenschaften in anderen Ländern ein.

In der Côte d’Ivoire wird zurzeit die Demokratie umgebracht. Ihr Tod in einem Land wird auf die gesamte Region durchschlagen. In Nigeria wird im April gewählt, in Ghana nächstes Jahr. In der Côte d’Ivoire werden derzeit ethnische und religiöse Spaltungen bis zum Äußersten ausgereizt. Die offene Wunde Afrikas ist das Demokratiedefizit. Die ivorischen Verhältnisse streuen Salz hinein.

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