Multilaterale Bank
Missglückte Reform
Im April wurde die Kapitalaufstockung beschlossen (siehe Kasten). Leider geht sie mit neuen Umwelt- und Sozialstandards einher, die bisherige Standards schwächen und Mechanismen zur Kontrolle und Rechenschaftspflicht verringern. Das neue Entwicklungsparadigma konzentriert sich zudem darauf, öffentliche Mittel zu nutzen, um an privates Kapital zu kommen.
Zweifellos kann und muss der Privatsektor zur Entwicklung beitragen. Der aktuelle Diskurs ist aber verzerrt. Es ist Unsinn, anzunehmen, dass private und öffentliche Interessen prinzipiell übereinstimmen. Staat und Markt sind komplementäre Institutionen, die eine kann die andere nicht ersetzen. Die Marktkräfte, die private Interessen verfolgen, sind nicht immer dem öffentlichen Wohl am dienlichsten. Blindes Vertrauen ist nicht angebracht, denn Investoren wollen nun mal ihre Gewinne maximieren. Nutzt man öffentliche Mittel, um an privates Kapital zu gelangen, ist eine starke Kontrolle nötig, die die öffentliche Rechenschaftspflicht sicherstellt. Deshalb sind die verwässerten Sozial- und Umweltstandards der Weltbank so problematisch.
Internationale Finanzinstitutionen (IFI) halten zunehmend die Mobilisierung privaten Kapitals für den Schlüssel zur Armutsbekämpfung. Die G20 bekräftigt diese Haltung und sie spiegelt sich in der UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung wider. Die Idee ist, die Milliarden an Finanzmitteln anzuzapfen, die auf der Suche nach rentablen Anlagen um die Welt gehen. Die Weltbank nennt das „Maximierung der Entwicklungsfinanzierung“.
Die Bank plant, risikoreiche Projekte stärker zu unterstützen und in politisch fragilen Ländern mehr zu tun. In beiden Fällen sind zivilgesellschaftliche Organisationen wichtige Watchdogs, allerdings sind sie vielerorts zunehmend gefährdet. Aktivisten riskieren oft ihre persönliche Sicherheit, wenn sie sich dafür einsetzen, schutzbedürftige Minderheiten und die Umwelt vor schädlichen Folgen großer Infrastrukturprojekte wie Staudämmen, Bergbau oder Autobahnen durch unberührte Wälder zu schützen. Oft werden Umweltschützer und Menschenrechtler beschuldigt, „ausländischen Interessen“ zu dienen oder gar „Terroristen“ zu sein. Faktisch kämpfen sie für das Gemeinwohl und internationale Organisationen sollten mit ihnen kooperieren. Internationale Finanzinstitutionen, die umstrittene Projekte unterstützen, haben keine wirksamen Mittel zum Schutz von Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten.
Das neue Umwelt- und Sozialrahmenwerk (Environmental and Social Framework – ESF) trat am 1. Oktober kurz vor dem Jahrestreffen der Weltbank auf der indonesischen Insel Bali in Kraft. Das ESF ersetzt die bestehenden verbindlichen Umwelt- und Sozialschutzmaßnahmen. Eine Reform war fällig, aber diese ist gründlich misslungen.
Das alte Rahmenwerk deckte einige wichtige Themen, wie etwa Arbeit, nicht ab. Die Standards wurden – vorsichtig ausgedrückt – auch nicht überzeugend durchgesetzt. Aber mit der Ursache fehlender Implementierung hat man sich nie ernsthaft auseinander gesetzt.
Das neue ESF enthält einige Vorgaben gegen die Diskriminierung von Minderheiten und Arbeitsstandards. Allerdings nimmt es keinerlei Bezug auf die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und andere internationale Abkommen, die Grundrechte festlegen. Aber der Preis für die neuen Standards, die Transparenz-, Aufsichts- und Rechenschaftspflicht enorm schwächen, ist hoch.
Seit Jahren fordert die bankeigene Independent Evaluation Group (IEG), Umwelt- und Sozialrisiken über das gesamte Portfolio der Weltbankgruppe hinweg konsequenter anzuwenden. Das ESF gilt nur für die Projektfinanzierung, nicht aber für den großen Bereich der Kreditvergabe für politische Reformen, bekannt als Entwicklungspolitische Finanzierung (Development Policy Finance – DPF). Diese betrifft oft sozial und ökologisch sensible Sektoren wie Bergbau, Forstwirtschaft oder Strom. Bisweilen vergibt die Bank bis zu 40 Prozent ihrer jährlichen Kredite für DPF. DPF geht in der Entwicklung der Infrastruktur oft mit öffentlich-privaten Partnerschaften einher, obwohl nicht glaubhaft belegt ist, dass solche Maßnahmen Armut wirklich reduzieren oder ökologisch nachhaltig sind.
Ein gebräuchlicher ESF-Begriff ist „risikobasiertes Management“. Risiken müssen demnach nicht mehr im Voraus identifiziert werden; man muss mit ihnen nur noch umgehen, wenn sie während eines Projekts auftreten. Früher mussten Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) öffentlich gemacht werden, ehe der Verwaltungsrat der Bank sie genehmigen konnte. Dass UVPs nicht mehr vor der Projektvergabe obligatorisch sind, widerspricht den Empfehlungen der IEG sowie des Inspection Panel der Bank.
Eine weitere gefährliche Neuerung ist, dass das ESF die nationalen Umweltstandards kreditnehmender Länder akzeptiert, sofern diese weitgehend mit den ESF-Zielen übereinstimmen. Es ist zwar sinnvoll, lokale Kapazitäten zu stärken, aber diese Politik ist äußerst riskant, da das ESF nicht darlegt, wie die Übereinstimmung ermessen werden soll. Das ist ein gefährliches Manko. Erfahrungsgemäß tendieren viele Regierungen dazu, selbst kodifizierte Rechte armer Menschen, die wegen Infrastrukturprojekten vertrieben wurden, mit den Füßen zu treten – besonders wenn es sich um ethnische oder religiöse Minderheiten handelt. Es ist zu befürchten, dass das ESF sich als Rhetorik ohne jeglichen Biss erweist.
Öffentliche Kontrolle
Bis heute vergeben Mitgliedsregierungen Gelder an multilaterale Banken und verlassen sich auf Erfolgsberichte, die diese Banken verfassen. Das reicht nicht. Regierungen und Gesetzgeber müssen genauer prüfen, was die bereitgestellten Mittel bewirken. Eine weitere Marginalisierung der ärmsten Gemeinden und weitere Umweltzerstörung sind inakzeptabel. Die Weltbank muss seriös beaufsichtigt und nicht einem Autopiloten überlassen werden.
Bis heute genießen die Weltbank und ihre Schwesterinstitutionen absolute Immunität. Gegen sie können keine Gerichtsverfahren angestrengt werden. Im Mai 2018 akzeptierte der Oberste Gerichtshof der USA aber einen Fall, den indische Fischer und Bauern gegen die International Finance Corporation (IFC), die Privatsektortochter der Weltbankgruppe, anführten. Sie klagten, dass 450 Millionen Dollar ihres Geldes in ein Kohlekraftwerk investiert wurden, das wichtige Wasserquellen vernichtet, Fischbestände dezimiert, Pflanzen vergiftet und in den umliegenden Gemeinden zu Atemproblemen führt.
Dieser Fall könnte Folgen haben. Wie er auch ausgehen mag, es ist Aufgabe der Regierungen, IFIs zur Verantwortung zu ziehen.
Korinna Horta ist eine unabhängige Wissenschaftlerin und Forscherin an der Universität von Lissabon.
korinna.horta@gmail.com
Korrektur, 18.08.18: Ein Absatz über Kritik des Guardian am seinerzeit noch unveröffentlichten Weltentwicklungsberichts wurge gestrichen. Der Bericht ist mittlerweile erschienen und die Guardian-Kritik ist nicht treffend.