Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Jugendarbeitslosigkeit

Bündel an Maßnahmen nötig

Fehlende Jobs und mangelnde soziale Perspektiven junger Menschen im Nahen Osten und Nordafrika (MENA) unterminieren die politische Stabilität dieser ohnehin zerrütteten Region. Mit dem Ausbau des Bildungsangebots und Arbeitsmarktprogrammen allein lässt sich das Problem nicht lösen. Es braucht auch ein breitenwirksames Wirtschaftswachstum. Um neue Arbeitsplätze nicht nur zu schaffen, sondern auch für die Zukunft zu sichern, dürfen Unternehmen und staatliche Verwaltung den Anschluss an den digitalen Wandel nicht verpassen.
Unternehmen wie dieser niederländische Gemüseproduzent in Tunesien fehlen in der MENA-Region. Ton Koene/Lineair Unternehmen wie dieser niederländische Gemüseproduzent in Tunesien fehlen in der MENA-Region.

Die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas verschwenden ihre wichtigste Ressource – die Jugend. Bei einer aktuellen Befragung junger Menschen zwischen 16 und 30 Jahren in acht Ländern der Region gaben 43 Prozent an, nicht zu arbeiten oder sogar noch nie gearbeitet zu haben und auch keine Schule oder Universität zu besuchen. Nur jeder Fünfte ging einer bezahlten Tätigkeit nach (Gertel und Hexel, 2017). Der Anteil der Nichtbeschäftigten ist unter den jungen Frauen besonders hoch. Nirgendwo auf der Welt partizipieren weibliche Arbeitskräfte so wenig am Arbeitsmarkt wie im Nahen Osten und in Nordafrika.

Früher diente der Staat als Überlaufbecken für die große Masse junger Menschen, die alljährlich auf den Arbeitsmarkt strömen. Diese Rolle kann er angesichts von Steuerausfällen und begonnener Strukturreformen immer weniger wahrnehmen. Des Weiteren erfüllen die Bildungsinhalte nicht die Qualitätsanforderungen der Wirtschaft, vor allem des Privatsektors. So ist es nicht verwunderlich, dass Unternehmen bei der Einstellung von Arbeitskräften einen höheren Wert auf Berufserfahrung als auf formale Abschlüsse legen.

Um jungen Arbeitslosen überhaupt die Chance auf einen Job zu eröffnen, vermitteln staatliche Arbeitsmarktprogramme zum Beispiel in Tunesien Praktika in Unternehmen. Die Teilnehmer besuchen parallel Ausbildungskurse und erhalten staatliche Zuzahlungen zur Aufstockung ihres Lohns. In der Regel dauern die Praktika zwölf Monate. Arbeitgeber sollen durch einen Mix aus finanziellen Anreizen und Sanktionen motiviert werden, die jungen Leute dauerhaft anzustellen. Tatsächlich haben die Programme aber wenig an der Jugendarbeitslosigkeit geändert. Die Arbeitgeber nehmen diese subventionierten Praktikanten gern auf, schaffen aber nicht unbedingt mehr Arbeitsplätze.

Kritisch zu sehen ist auch, wer einen Praktikumsplatz bekommt. Junge arbeitslose Akademiker beziehungsweise Absolventen höherer Bildungseinrichtungen genießen Priorität, während die Mehrheit der Jugendlichen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen vernachlässigt wird. Positiv ist hingegen, dass sich die Maßnahmen in gleicher Weise an junge Frauen und Männer richten. Ähnliche Arbeitsmarktprogramme wie in Tunesien werden auch in anderen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas durchgeführt. Abgesehen von konzeptionellen Mängeln bleibt die Wirkung dieser Maßnahmenpakete von vornherein begrenzt, weil die beteiligten  Unternehmen nicht stark genug wachsen, um den Praktikanten eine dauerhafte Perspektive bieten zu können.

Existenzgründung und Förderung von Kleinunternehmen

Erfolgversprechender als die bisherigen Arbeitsmarktprogramme erscheinen staatliche Initiativen, die junge Arbeitslose dabei unterstützen, sich selbstständig zu machen oder Kleinstunternehmen zu gründen. In mehreren Ländern der Region sind entsprechende Programme aufgelegt worden. Teilnehmer werden durch kostenlose Ausbildungskurse und begleitende Beratung auf ihre Geschäftstätigkeit vorbereitet. Die Übergangsfinanzierung wird durch Zuschüsse erleichtert. Daneben bieten verschiedene international geförderte Programme den kleinsten, kleinen und mittleren Unternehmen (KKMU) einen erleichterten Zugang zu Krediten an. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass rund 80 Prozent der Beschäftigten in KKMU tätig sind oder auf eigene Rechnung arbeiten.

Fehlende Finanzierung ist in vielen Fällen ein wesentlicher Engpass für das Fortkommen der Miniunternehmen. Ein weiteres Hindernis stellen der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften sowie fehlende Managementfähigkeiten dar. Dies gilt insbesondere für Start-ups, die in mehreren Ländern der Region vom Staat besonders gefördert werden. Vor allem Kenntnisse im Verkauf, der Geschäftsfeldentwicklung und Unternehmensführung sind gering. Insofern versprechen KKMU-Förderprogramme, die einen besseren Kreditzugang mit Aus- und Fortbildungsmaßnahmen kombinieren, grundsätzlich mehr Erfolg.

Kleine und mittlere Unternehmen schöpfen ihr wirtschaftliches Potential auch deshalb nicht aus, weil sie das Internet kaum nutzen. So sind beispielsweise in Ägypten nur 7 Prozent der KKMU online. Eine stärkere digitale Vernetzung der Unternehmen würde sowohl die Exporte begünstigen als auch zu mehr Beschäftigung führen. Untersuchungen in der Türkei haben ergeben, dass internetaffine KKMU pro Jahr siebenmal so schnell wachsen wie ihre konservativen Wettbewerber.  Förderprogramme für junge Unternehmen sollten daher verstärkt auch digitale Kompetenzen vermitteln und die Finanzierung von Investitionen in die Informationstechnologie erleichtern.

Allerdings können Bildungsreformen, Arbeitsmarktprogramme und KKMU-Förderung allein nicht signifikant zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit beitragen, wenn es nicht gelingt, auch die strukturellen Entwicklungshemmnisse zu beseitigen. Aufgrund des geringen Wirtschaftswachstums in den meisten Ländern der Region entstehen neue Arbeitsplätze nicht in dem Maße, wie es aufgrund des Bevölkerungswachstums notwendig wäre. Dies liegt, abgesehen von der politischen Instabilität dieser Länder, vor allem auch an der geringen internationalen Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften.

So haben innerhalb eines Untersuchungszeitraums von 35 Jahren Unternehmen in Tunesien oder Ägypten ihre Produktivität kaum gesteigert, während Firmen in Indien, Mexiko oder der Türkei in der gleichen Zeit ihre Produktivität verdoppelt oder verdreifacht haben. Dies liegt unter anderem auch daran, dass die digitale Wirtschaft im Vergleich zu anderen Schwellenländern noch wenig entwickelt ist. Fachkräfte der Informationstechnologie sind knapp, und die digitale Infrastruktur weist noch große Mängel auf. 

Die wirtschaftliche Dynamik des Privatsektors wird auch durch die Behinderung des freien Wettbewerbs gebremst. Einige wenige Unternehmen verfügen aufgrund ihrer guten Beziehungen zu staatlichen Entscheidungsträgern über erhebliche Privilegien. Diese politisch verbundenen Unternehmen haben einen leichteren Zugang etwa zu subventioniertem  Grundstückskauf, zu Bankkrediten oder zu Investitionen in Wirtschaftssektoren, die vor ausländischer Konkurrenz geschützt sind. Hinzu kommt die gewöhnliche Korruption, die vor allem für die kleinen und mittleren Unternehmen einen erheblichen Kostenfaktor darstellt.

Ein weiteres Entwicklungshemmnis ist die geringe Diversifizierung der Wirtschaft. Abgesehen von den ölreichen Golfmonarchien, arbeitet durchschnittlich jeder dritte Erwerbstätige in der Landwirtschaft, die indessen nur 12 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beiträgt. Der Anteil des Industriesektors am Bruttoinlandsprodukt der Länder im Nahen Osten und Nordafrika ist mit durchschnittlich nur rund 10 Prozent des BIP ebenfalls gering und stagniert seit Jahren oder ist gar rückläufig. Dies liegt zum einen an dem gescheiterten Modell der in den 1960er Jahren begonnenen staatlich gelenkten Industrialisierung und zum anderen an den Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union, durch die vor allem in arbeitsintensiven Branchen zahlreiche Arbeitsplätze vernichtet wurden (siehe meinen Beitrag in E+Z/D+C e-Paper 2018/05, S. 11). Das Gros der Beschäftigten verdient sein Geld im Dienstleistungssektor, wo aber weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Dabei handelt es sich großenteils um Jobs mit geringer Wertschöpfung, oft im informellen Sektor.

Fazit

Ohne breitenwirksames Wirtschaftswachstum kann die Jugendarbeitslosigkeit nicht nachhaltig gemindert werden. Insofern ist die Förderung beschäftigungsintensiver Sektoren wie KKMU unverzichtbar. Allerdings genügt es nicht, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, sondern es müssen auch qualitativ bessere sein, da sonst ein sich selbst tragender Wirtschaftsprozess nicht in Gang kommt. Es ist frappierend, dass die Region großteils unvorbereitet für den Einsatz digitaler Techniken ist. Damit droht die Region im internationalen Wettbewerb weiter zurückzufallen, mit der Folge einer Verschärfung der Arbeitslosigkeit.

Insofern ist eine stärkere praxisorientierte Ausrichtung des Bildungssystems an den Erfordernissen der Wirtschaft vor allem des Privatsektors unerlässlich. Notwendig ist vor allem die Schaffung einer mittleren technischen Qualifikationsebene. Dazu braucht es auch Ausbildungsgänge, in denen digitale Kompetenz und Informations- und Kommunikationstechniken erlernt werden. Dies setzt ein Umdenken auch der jungen Menschen voraus, damit nichtakademische Bildungsgänge ihr Stigma verlieren.

Die bereits begonnene Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt schließlich ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern unverzichtbar, wenn das wirtschaftliche Potenzial der Länder der Region ausgeschöpft werden soll.

Bildungsoffensiven und Arbeitsmarktprogramme können indessen nur begrenzte Wirkung entfalten, wenn sie nicht von strukturellen Reformen begleitet werden, um die Entwicklung des Privatsektors und des Wettbewerbs ebenso wie die Diversifizierung der Wirtschaft zu ermöglichen.

Nassir Djafari ist Ökonom und freier Autor.
nassir.djafari@gmx.de

Literatur

Jörg Gertel and Ralf Hexel, 2017: Zwischen Ungewissheit und Zuversicht – Jugend im Nahen Osten und in Nordafrika, Dietz Verlag.