Frauenrechte in Pakistan

Warum Analphabetismus Unterdrückung aufrechterhält

In vielen Ländern können weniger Frauen als Männer lesen oder schreiben. Daher bekommen sie weniger Chancen und kennen ihre Rechte nicht. Der Grund dafür ist häufig Geschlechterdiskriminierung, die sich immer fortsetzt. In Pakistan ist dieser destruktive Teufelskreis offensichtlich.
Grundschülerinnen in der Provinz Punjab, wo die Einschulungsrate relativ hoch ist. Rana Sajid Hussain/picture-alliance/Pacific Press Grundschülerinnen in der Provinz Punjab, wo die Einschulungsrate relativ hoch ist.

Von den 220 Millionen Pakistanern sind 49 Prozent Frauen. Dass der Anteil so niedrig ist, liegt an einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Die Sterblichkeit von weiblichen Säuglingen ist höher, weil viele von ihnen vernachlässigt werden, außerdem wird über selektive Abtreibung berichtet. Viele Familien bevorzugen Söhne, nicht zuletzt, weil diese sich im Alter um ihre Eltern kümmern. Mädchen sind eine finanzielle Belastung, auch weil für sie eine Aussteuer fällig wird, wenn sie in eine andere Familie einheiraten.

Das ist in ganz Südasien ähnlich, aber in Pakistan ist die Lage besonders hart. Die Ungleichheit ist dort laut Weltwirtschaftsforum am dritthöchsten. 2018 rangierte Pakistan auf dem Gender Gap Index (GGI) auf Platz 151 von 153 Ländern – in nur zwei Ländern sah es noch schlechter aus. Das GGI-Ranking basiert auf dem Ausmaß an Ungleichheit von Männern und Frauen hinsichtlich wirtschaftlicher Teilhabe, Bildungsstand, Gesundheitszustand und politischer Aktivität.

Die mangelhafte Bildung von Frauen resultiert aus dem niedrigen Status von Frauen und verhindert Fortschritt.

Laut einer Erhebung zur Messung des Sozial- und Lebensstandards (Pakistan Social and Living Standards Measurement Survey – PSLM) der pakistanischen Regierung zwischen 2018 und 2019 hat nur die Hälfte aller über zehnjährigen Mädchen und Frauen in Pakistan je eine Schule besucht. Es überrascht nicht, dass die Grundbildung von Frauen weiterhin unsäglich schlecht ist. Das hat viele negative Folgen. Es vermindert zum Beispiel ihre Chancen, sich digitale Fähigkeiten anzueignen (siehe Kasten).

Nur die Hälfte aller über zehnjährigen Pakistanerinnen kann lesen und schreiben. Bei der jüngeren Generation sieht es kaum besser aus. Laut PSLM können 64 Prozent der Frauen zwischen 15 und 24 lesen und schreiben. Diese höhere Rate illustriert Fortschritte im städtischen Raum und in der Provinz Punjab. In Belutschistan hingegen liegt die „Jugend-Alphabetisierungsrate“ von Frauen nur bei 32 Prozent, in Khyber Pakhtunkhwa und Sindh zwischen 50 und 55 Prozent.

Dieses niedrige Bildungsniveau verhindert die Teilhabe von Frauen im formellen Arbeitsmarkt. Wegen fehlender Bildung und Fertigkeiten finden viele Frauen keine lukrativen Jobs. Die meisten Frauen, die einer bezahlten Arbeit nachgehen, müssen sich somit mit informellen, schlecht bezahlten Jobs zufriedengeben. Auf dem Land arbeiten sie meist als Tagelöhnerinnen auf Farmen, in den Städten als Haushaltshilfen.

Das so verdiente Geld reicht nicht für den eigenen Lebensunterhalt und schon gar nicht, um eine Familie allein ernähren zu können. Niedrige Einkommen bedeuten zudem, dass sie kein Geld sparen oder Vermögen aufbauen können. Somit bleiben sie abhängig von männlichen Familienmitgliedern, die meist mehr verdienen – auch, weil sie besser ausgebildet und qualifiziert sind.

Die Abhängigkeit von Männern macht Frauen verwundbar. Gewalt gegen Frauen gibt es im öffentlichen wie im privaten Raum. Laut einer offiziellen Umfrage zu Demographie und Gesundheit (DHS) von 2017 bis 2018 haben 28 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren körperliche Gewalt in der Familie erfahren. Auf dem Land kam häusliche Gewalt häufiger vor als in den urbanen Gebieten; und – das ist kein Zufall – am häufigsten dort, wo die meisten Frauen Analphabetinnen waren. In Belutschistan etwa waren 48 Prozent der Teilnehmerinnen betroffen, in Khyber Pakhtunkhwa 43 Prozent.

Ein Grund: Ungebildete Frauen sind zu abhängig von ihren Familien, um Männer zu verlassen, die sie misshandeln. Auch haben viele ein traditionelles Rollenverständnis. Analphabetinnen kennen ihre Rechte meist nicht – und wenn doch, haben sie nicht die Mittel, vor Gericht zu gehen.

Viele pakistanische Gesetze benachteiligen Frauen. Aber Frauen haben auch Rechte. Ein muslimischer Ehevertrag (Nikah Nama), der die Rechte von Mann und Frau festlegt, muss von Braut und Bräutigam unterschrieben werden. Eine Standardklausel gibt der Frau das Recht, sich ohne Zustimmung des Mannes scheiden zu lassen. Gemäß der muslimischen Tradition hat der Mann dieses Recht immer. Die Frau hat es nur, wenn es explizit in den unterschriebenen Nikah Nama aufgenommen wurde.

Die meisten pakistanischen Frauen wissen das nicht. Die Wissenschaftlerinnen Erica Field und Kate Vyborny haben entsprechende Eheverträge untersucht. In einem noch unveröffentlichten Artikel ­schreiben sie, dass 75 Prozent aller Frauen in Peshawar, der Hauptstadt der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, ihre Nikah Nama vor der Hochzeit nicht gelesen haben. Sie fanden heraus, dass in Punjab das Recht der Frau, sich scheiden zu lassen, in 35 Prozent der Nikah Namas gestrichen wurde. Analphabetismus und Unkenntnis ihrer Rechte führen ganz offensichtlich zu einem sich selbst erhaltenden Kreislauf.

Die Einschulungsrate von Mädchen zeigt, dass es mit der Alphabetisierung von Frauen nicht schnell vorangehen wird. Etwa 30 Prozent aller Kinder in Pakistan besuchen keine Schule. Mädchen gehen mit höherer Wahrscheinlichkeit gar nicht erst zur Schule oder brechen früher ab. Tatsächlich besuchen nur 51 Prozent aller Mädchen zwischen fünf und neun Jahren die Grundschule. Noch schlechter steht es um sekundäre und tertiäre Bildung. Jeder Versuch, das Leben pakistanischer Frauen substanziell zu verbessern, muss bei ihrer Alphabetisierung beginnen.


Sundus Saleemi hat kürzlich ihre Doktorarbeit an der Universität von Bonn über Alphabetisierung von Frauen eingereicht.
sundus.saleemi@gmail.com