Südasien

Enorme Aufgabe

Die Grüne Revolution hat das Dorfleben in Indien verändert, wovon vor allem die Landbesitzer profi-tieren. Tagelöhner sind nach wie vor arm und ausgegrenzt. Zudem zeigt sich immer deutlicher, dass Düngemittel und Pestizide nur begrenzte Wirkung haben. Viele Bauern sind nun verunsichert: Erst wurden sie aufgefordert, ihre traditionelle Praktiken aufzugeben, nun sollen sie diese wieder aufgreifen. Ein Angehöriger der Santal, einer Adivasi-Gemeinschaft, schildert die Lage aus der Dorfperspektive.
Aus Schutzgründen werden über Tiefrohrbrunnen oft Hütten gebaut. Boro Baski Aus Schutzgründen werden über Tiefrohrbrunnen oft Hütten gebaut.

Seit der Unabhängigkeit von den Briten im Jahr 1947 spielt Landwirtschaft in der indischen Wirtschaftspolitik eine Hauptrolle, denn bis heute beschäftigt dieser Sektor die meisten Inder. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung hängen den Ergebnissen der Volkszählung von 2011 zufolge direkt oder indirekt von der Landwirtschaft und verwandten Gewerben ab.

Die Agrarpolitik hat sich bezahlt gemacht. Seit Beginn der Grünen Revolution Mitte der sechziger Jahre ist die Produktivität drastisch gestiegen. Höhere Reis-, Weizen- und Kartoffelerträge sind unter anderem verbessertem Saatgut und Düngemitteln aber auch Bewässerung und Mechanisierung zu verdanken. In den vergangenen Jahrzehnten konnte sich Indien selbst ernähren – und das, obwohl sich die Bevölkerung von 1971 bis 2011 mehr als verdoppelt hat: von 550 Millionen Menschen auf über 1,2 Milliarden. Der Ausbau der landwirtschaftlichen Infrastruktur (Bewässerung, Kanäle, Straßen, Vermarktungsmöglichkeiten, Agrarinstitute et cetera) hat die Ernährungssicherheit gestärkt.

Auch in Westbengalen sind die Reisernten dank Grüner Revolution und einer Landreform – der so genannten Operation Barga – erheblich größer geworden. Die Landreform ging auf die 1977 gewählte Left-Front-Regierung zurück. Sie ließ Pächter registrieren und hat ihre Rechtsstellung gegenüber den Grundbesitzern gestärkt. Die Pächter haben nun ein Recht auf ihren Ernteanteil.

Das Landwirtschaftsministerium Westbengalens unterstützt heute Bauern mit verschiedenen Beratungsprogrammen und informiert sie über neue wissenschaftliche Trends. Es empfiehlt den Einsatz von bestimmtem hybriden Saatgut, von Dünger und Pestiziden. Teils verteilt es solche Agrarchemikalien sogar. Das „Kishan Credit Card“-Programm verschafft Bauern zudem Zugang zu Finanzdienstleistungen.

Wissenschaftliche Methoden haben die traditionelle Landwirtschaft verändert und die Ernten gesteigert. Viele Bauern sehen moderne Technik – und besondere innovatives Saatgut – als Segen. Wesentliche Veränderungen sind:

  • Statt Hunderten von traditionellen Reisarten werden nur noch wenige Hochertragsorten angebaut.
  • Statt häuslichem Kompost und Kuhdünger wird chemischer Kunstdünger eingesetzt.
  • Bewässerungssysteme werden nicht mehr manuell, sondern mit Treibstoff- oder Strom betrieben, und es werden mehr Dreschmaschinen und Traktoren eingesetzt.

Die wichtigste Veränderung ist allerdings, dass die Bauern nicht mehr relativ autonom handeln. Früher waren sie vor allem von den Grundbesitzern abhängig – heute kommen Abhängigkeiten von Regierung und Privatunternehmen hinzu.

 

Bauernsorgen

Die Grüne Revolution hat leider auch Schattenseiten. Sie ist nicht umweltfreundlich und somit auch nicht nachhaltig. In unserem Dorf haben wir bereits erlebt, dass Ernteerträge wieder um die Hälfte gesunken sind. Mehr Dünger garantiert nicht mehr höhere Erträge. Die Grundwasservorkommen schwinden und die biologische Vielfalt hat extrem gelitten. In unserer Gegend gibt es kaum noch Wälder.

Der Klimawandel spitzt die Probleme weiter zu. Das Wetter ist in den vergangenen Jahren immer unberechenbarer geworden; der Monsunregen lässt sich kaum noch vorhersagen. Vielen Bauern macht Sorgen, dass der Boden oft so hart und ausgedörrt ist, dass er kein Wasser mehr aufnimmt.

Zudem sind die Klassenunterschiede zwischen Landbesitzern und landlosen Dorfbewohnern wieder deutlicher zu spüren. Die Bauern mit eigenem Land sind diejenigen, die besonders profitieren, wenn Staat, Banken oder Unternehmen Kredite und Subventionen vergeben. Marginalisierte Stammesgemeinschaften wie beispielsweise wir Santals – wir machen etwa fünf Prozent der Bevölkerung Westbengalens aus – sind aber weitgehend landlos. Nur ein paar Wenige von uns besitzen kleine Felder.

Massen ausgegrenzter Menschen haben bisher wenig vom Agrarfortschritt. Allenfalls heuern die reichen Bauern sie öfter als Tagelöhner an. In indischen Bundesstaaten, in denen es keine Landreformen gab, sieht es noch düsterer aus. Dort haben auch Pächter kaum Rechte.

Junge gebildete Dorfleute interessieren sich nicht für die Landwirtschaft. Sie wollen Jobs mit festem Gehalt in der Stadt. Feldarbeit finden sie zu zeitaufwendig und körperlich zu anstrengend. Wenn junge Leute auf den Feldern arbeiten, haben sie meist keine andere Wahl. Es gibt aber noch immer einige – insbesondere Ältere – die sich emotional mit dem Ackerbau verbunden fühlen. Paradoxerweise arbeiten die gebildeten Inder, die die Agrarwissenschaft verstehen, nicht selbst nicht auf den Äckern. Sie geben also ihr Wissen nicht an die Dorfleute weiter.

Viele Bauern der alten Schule wissen wenig darüber, wie viel oder welche Art von Dünger und Pflanzenschutzmittel nötig ist, um ein bestimmtes Stück Land zu bestellen. Meist verlassen sie sich auf die Angaben der Händler, die zwar selbst wenig Ahnung haben, aber möglichst viel verkaufen wollen. Viele Nutztiere und auch einige Menschen sind bereits wegen unsachgemäßen Einsatzes von Chemikalien gestorben.

Grüne Revolution hin oder her – etliche Bauern sind heute verzweifelt. Viele sind verschuldet. Einige begehen Selbstmord, was in den letzten Jahren internationale Aufmerksamkeit erregt hat. Am schwersten aber wiegt der Schaden, den Landwirtschaft und Umwelt wegen unkontrollierten Gebrauchs von chemischen Düngemitteln und Pestiziden sowie wegen der Ausbeutung der Grundwasservorkommen erleiden.

 
Schadenskontrolle

Inzwischen hat die Landesregierung das Problem erkannt. Sie versucht nun, die Bauern dazu zu bringen, Pflanzen anzubauen, die weniger Wasser brauchen. Staatliche Berater ermuntern zum Sammeln von Regenwasser und zum Einsatz von Ungeziefer- und Biokompost. Sie empfehlen den Bauern, ihre Produktion auf die Nachfrage auszurichten und sich beispielsweise auf Obst und Gemüse zu spezialisieren. Es geht darum, natürliche und menschliche Ressourcen möglichst effizient zu nutzen.

Viele Bauern überzeugt das alles allerdings nicht. Sie sind verunsichert: „Wir haben getan, wozu uns die Berater aufgefordert haben“, sagt ein Santal-Bauer. „Wir haben neues Saatgut, Düngemittel und Pestizide ausprobiert, unsere Ochsen verkauft und Traktoren eingesetzt. Jetzt, wo sie die Nachteile erkennen, sollen wir wieder auf unsere alten Methoden umschwenken.”

Außer dem Staat engagieren sich auch nichtstaatliche Organisationen in der landwirtschaftlichen Entwicklung unserer Gegend. Der Verein Manab Jamin etwa fördert die ökologische Landwirtschaft und zeigt den Bauern, wie Fruchtwechsel und Mischanbau funktionieren. Die Organisation holt Bio-Gemüse bei den Bauern ab und vermarktet es in der nahegelegenen Stadt. Allerdings wird diese Ware nur von ein paar Wohlhabenden gekauft. Die große Mehrheit schreckt vor den Preisen zurück. Dennoch ist die Arbeit von Manab Jamin wegweisend, denn sie beweist, dass Landwirtschaft ohne Chemikalien möglich ist.

Auch unsere Selbsthilfeorganisation Ghosaldanga Adibasi Seva Sangha tut, was sie kann, um die Bauern zu unterstützen. Wir haben eine Bio-Obstwiese geschaffen und züchten neuerdings auch Pilze. Zudem haben wir eine Aquakulturfischerei aufgebaut. Wir werben für Gemüseanbau, Bienenzucht und Landwirtschaft ohne Chemie.

Unsere Mittel sind aber begrenzt. Die meisten Äcker, die wir bewirtschaften, gehören nicht unseren Familien, sondern anderen Leuten. Es ist schwierig, für junge Menschen attraktive neue Jobs in der Landwirtschaft zu schaffen. Ideal wäre es, gebildete junge Leute dafür zu gewinnen, die ländliche Entwicklung voranzutreiben, aber bislang bieten uns die Machtverhältnisse in der indischen Landwirtschaft dafür kaum M öglichkeiten.
 

Boro Baski arbeitet für die Ghoshaldanga Adibasi Seva Sangha, eine Community-based Organisation in zwei Santaldörfern. Sie wird vom deutschen Verein Freundeskreis Ghosaldanga und Bishnubati unterstützt.
borobaski@gmail.com
http://www.dorfentwicklung-indien.de