Menschheitsrisiken

„Stärkster Antreiber ist der Klimawandel“

Das Erdsystem, die Umwelt und damit auch der Lebensraum der Menschen ändern sich dramatisch. Dirk Messner, Direktor des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen (UN-UEHS) und Ko-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) erläutert, wo die größten Risiken liegen und welche globalen Transformationsprozesse nötig sind.
Landwirtschaft braucht fruchtbare Böden und Wasser – beides schwindet. Bauer vor ausgetrockne-tem Feld im Senegal. Seyllou/picture-alliance/dpa Landwirtschaft braucht fruchtbare Böden und Wasser – beides schwindet. Bauer vor ausgetrockne-tem Feld im Senegal.

Die Erde verändert sich so rasant wie nie zuvor. Beispielsweise sind laut dem World Wide Fund For Nature (WWF) die Wirbeltierbestände seit 1970 um rund 60 Prozent geschrumpft. Welche weiteren globalen Umweltveränderungen sind relevant?
Wichtige Veränderungen, die sich auch auf den Menschen auswirken, sind:

  1. Der Verlust von fruchtbaren Böden und damit landwirtschaftlichen Flächen. Dazu gehört die Ausdehnung der Steppen. Der Klimawandel spielt dabei eine zentrale Rolle, aber auch die unsachgemäße Landwirtschaft. Durch die wachsende Zahl der Menschen auf der Erde muss zudem die Lebensmittelproduktion gesteigert werden – das aber auf weniger Fläche als bisher.
  2. Der Verlust von Wasserreserven. Das hat auch mit dem Klimawandel zu tun, mit der Abholzung von Wäldern und der landwirtschaftlichen Produktion. Die Ausdehnung der Städte spielt ebenfalls eine Rolle, denn Städte verbrauchen viel Wasser.
  3. Der Verlust von Biodiversität. Wir erleben derzeit einen Artenschwund, der beispiellos ist, zumindest in der Geschichte der menschlichen Zivilisation seit der neolithischen Revolution vor gut 10 000 Jahren. Das wird sich auf die Resilienz der biologischen Systeme auswirken, auf Wasserkreisläufe, Überflutungen, Nahrungsmittelproduktion, also auch auf uns Menschen.
  4. Die Ozeane. Wir reden viel über Plastik in den Meeren, das ist ein Symbol dafür, dass die Ozeane stark überlastet sind. Auch dort schwindet die Biodiversität. Der Verlust von Fischen und anderen Meerestieren wirkt sich direkt auf die menschliche Ernährung aus. Der Klimawandel tut sein Übriges: die Meere übersauern.

Und dann würde ich gern noch einen Punkt nennen: die endliche Verfügbarkeit von Phosphor. Sie stellt eine große Herausforderung für die landwirtschaftliche Produktion dar, denn die Vorräte schwinden, und es gibt bisher keinen Ersatz für dieses Düngemittel. Alles in allem bewegen wir uns auf die Grenzen des Erdsystems zu.

Sie haben jetzt viel von Verlust gesprochen. Sind denn alle zu beobachtenden Umweltveränderungen negativ, oder gibt es auch positive Entwicklungen?
Also, wenn Sie sich die Dynamiken angucken, sind die Entwicklungen enorm negativ. Globaler Umweltwandel kann natürlich dazu führen, dass etwa durch die Verschiebung von Klimazonen bestimmte trockene Gegenden mehr Wasser bekommen. Aber solche Einzelphänomene sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Veränderungen unterm Strich sehr negativ sind. Wir müssen lernen, Wohlstand und Entwicklung von bald 10 Milliarden Menschen innerhalb der Grenzen des Erdsystems zu organisieren. Das ist eine der großen globalen Herausforderungen dieses Jahrhunderts.

Inwieweit hängen die angesprochenen Umweltveränderungen miteinander zusammen?
Das ist eine zentrale Frage, die direkt zum Klimaproblem führt. Stärkster Antreiber für viele der Veränderungen – Vermüllung durch Plastik ist eine Ausnahme – ist der Klimawandel. Wenn es uns da nicht gelingt, das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten, werden von diesem Faktor die dramatischsten Veränderungen ausgehen. Die unterschiedlichen Dynamiken hängen miteinander zusammen. Ein Beispiel: Wenn die Erderwärmung steigt, ist die Amazonasregion zunehmend gefährdet. Dort könnte es zu Desertifikation kommen. Das wirkt sich auf Wasser, Böden, Ernährung und wahrscheinlich die Stabilität der lateinamerikanischen Gesellschaften aus. Oder die Gletscher und Eismassen der Pole: Ihr Abschmelzen wird dazu führen, dass weniger weiße Flächen den Planeten umgeben, die die Sonnenstrahlen zurück ins Weltall reflektieren und damit die Erwärmung reduzieren. Die schmelzenden Flächen verursachen also einen globalen Erwärmungseffekt, das ist der Albedo-Effekt. Es gibt Dutzende solcher Kaskaden- oder Dominoeffekte. Die globalen Umweltveränderungen sind untereinander vernetzt.

Wie viel von diesen Umweltveränderungen ist menschengemacht?
Der größte Teil dieser rasanten Dynamiken ist menschengemacht. Die Erde ist ein dynamisches System, das sich permanent verändert. Entscheidend ist, dass wir jetzt eine unglaubliche Beschleunigung erleben. In der letzten Eiszeit, die vor etwa 12 000 Jahren endete, war das Klimasystem um die drei Grad kühler als in der vorindustriellen Phase. Einen solchen Anstieg könnten wir jetzt in einem Jahrhundert erleben, wenn Klimaschutz versagt. An eine derartige Beschleunigung können sich die Biodiversität und Ökosysteme schlecht anpassen – es kommt zu disruptiven Veränderungen. Kipppunkte werden ausgelöst, deren Dynamiken auch viele Gesellschaften überfordern werden. Der Grund für die schnellen Veränderungen liegt in unserem Wirtschaftssystem, das noch immer sehr ressourcen- und emissionsintensiv ist und die Ökosysteme stark belastet. Zudem wächst die Weltbevölkerung, der Druck wird immer größer.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ansatzpunkte, um die negativen Entwicklungen aufzuhalten?
Wir brauchen eine ganze Reihe von globalen Transformationsprozessen. Erstens müssen wir die Produktion auf Kreislaufwirtschaft umstellen, so dass Ressourcen nicht weiter aufgebraucht werden. Zweitens müssen wir Städte ressourcen- und klimaverträglich bauen. Ein wichtiger Faktor dabei ist die Mobilität, ein anderer Punkt sind die Baustoffe: Zement, Stahl und Glas sind sehr klimaschädlich. Drittens brauchen wir eine landwirtschaftliche Transformation und viertens eine weltweite Dekarbonisierung der Energiesysteme. Damit das alles bis etwa Mitte des Jahrhunderts gelingt, müssen wir in menschliche Entwicklung investieren, in Bildung, Gesundheit und den Zugang zu anderen grundlegenden Gütern. Und unsere Institutionen und Regierungssysteme müssen ihren Beitrag leisten.

Viele der angesprochenen Verluste betreffen uns Menschen existenziell. Was sind die größten Risiken?
Das größte Risiko ist der Klimawandel. Er ist der größte Treiber für viele andere Dynamiken. Wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, können wir vieles andere auch nicht lösen. Deshalb müssen wir ihn ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Das gelingt allerdings nur, wenn wir zugleich Themen sozialer Kohäsion und Gerechtigkeit angehen. Denn ansonsten be-kommen wir nicht die nötige Legitimation für die anstehenden großen Veränderungen. Gesellschaften, Unternehmen, Individuen tun sich mit großen Veränderungen schwer.

Was ist unsere Verantwortung als Einzelne, und was ist die Verantwortung der Politik?
Zwei Gedanken dazu: Die große Transformation können wir als Individuen nicht im Alleingang herbeiführen. Dafür braucht man Regeln, da sind Staaten gefragt; die Wirtschaft muss umsteuern. Aber wir können als Bürger und Konsumenten Dinge richtig oder falsch machen. Mobilität ist zum Beispiel eine große Herausforderung. Ob wir wenig oder viele Ressourcen verbrauchen, mehr oder weniger Emissionen verantworten, liegt in unserer Hand. Es gibt kein Menschenrecht auf einen SUV oder auf Fernreisen per Flugzeug. Ein anderes Beispiel ist die Vernichtung von Nahrungsmit-teln. Etwa 40 Prozent der Lebensmittel in Deutschland landen auf dem Müll. Die Verantwortung dafür kann der Staat uns nicht abnehmen, die trägt jeder selbst.

SUV fahren, Essensreste wegwerfen – das klingt nach Reiche-Welt-Problemen ...
Ja. Arme, die untere Hälfte der Weltbevölkerung, können generell individuell wenig dazu beitragen, den Umweltwandel zu stoppen. Sie sind die Opfer des Umweltwandels, die größten Leidtragenden, aber für die Verursachung kaum verantwortlich. Das ist die Ungerechtigkeit.

Es gibt ja bereits gute internationale Abkommen, um dem Umweltwandel entgegenzuwirken, etwa die Agenda 2030 mit den Sustainable Development Goals (SDGs) und den Pariser Klimavertrag. Würde es ausreichen, diese internationalen Vereinbarungen umzusetzen?
Was den Klimavertrag angeht, liegen dort im Augenblick Lösungen für nur 40 Prozent der Probleme auf dem Tisch – das Ambi­tionsniveau muss massiv gesteigert werden. Wenn es uns gelänge, die SDGs umzusetzen, hätten wir zwar nicht alle Fragen gelöst, aber einen enormen Schritt nach vorn gemacht. Allerdings ist die Realisierung noch nicht auf dem notwendigen Pfad. In dem Zusammenhang wird der UN-Nachhaltigkeitsgipfel im September in New York sehr wichtig sein. Zur Frage, ob das ausreicht: In der Agenda 2030 steht ja nicht, dass wir für alle ein Wohlstandsniveau wie, sagen wir mal, in Europa oder Costa Rica erreichen wollen. Es geht in vielen Bereichen lediglich um Minimalstandards, zum Beispiel um „decent work“. Die zu erreichen, wäre schon toll, aber nach 2030 muss es neue Ziele geben. Ähnliches gilt für den Klimavertrag: Wenn wir 1,5 Grad Erderwärmung einhalten würden, könnten wir das Schlimmste verhüten, mit zwei Grad wären aber schon Inselstaaten verschwunden. Und wenn der Klimawandel gestoppt würde, wovon wir noch weit entfernt sind, geht es weiterhin um die Stabilisierung des Erdsystems. Das bleibt eine Herkulesaufgabe für alle kommenden Generationen.


Dirk Messner ist Direktor des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen (UNUEHS) und Ko-Vorsitzender des Wissenschaft­lichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).
messner@ehs.unu.edu