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Global Governance

Grenzen der G20

Das 21. Jahrhundert ist von einem veränderten Multilateralismus geprägt. Neue globale Akteure beeinflussen zunehmend die Weltwirtschaft. Die G20 übernimmt die Rolle der G8, aber was sie wirklich leisten kann, ist noch nicht klar.

Von Henning Melber

Die neue Ordnung stellt die westliche Dominanz in Frage, besonders die der US-amerikanischen „Supermacht“, die nach dem Kollaps der Sowjetunion kurzfristig alleinigen globalen Hegemonialstatus hatte. Auch die EU als „soft power“ erlebt einen Härtetest, den sie nicht schadlos übersteht, wie der Dauerkonflikt um die Economic Partnership Agreements mit den AKP-Staaten zeigt.

Die Club-Hegemonie der G8 ist zum Auslaufmodell geworden. Schon 1999 auf dem Kölner G8-Gipfeltreffen weichte die Gruppe auf, als ein Dutzend Länder des „globalen Südens“ auf Einsatz des damaligen kanadischen Finanz- und späteren Premierministers Paul Martin zu den Treffen der Finanzminister eingeladen wurden. Trotzdem wurde die G20 erst im Zuge der Weltfinanzkrise neben der weiter bestehenden G8 zur neuen semi-formellen Institution: nun scheint sie diese abzulösen.

Ob die G8 als interne „peer group“ innerhalb der G20 weiter existieren wird, ist schwer zu sagen. Ihnen gegenüber stehen die BRICSAM-Länder Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und Mexiko, die deutlich an Einfluss gewonnen haben. Die G8 hingegen könnte durch ihre interne Spaltung in verschiedene Interessengruppen obsolet werden. Russland ist das Bindeglied – wenn sich BRICSAM ohne dieses Land neu formieren würde, würde das die G20 spalten und sie hätte wohl kaum Bestand. Der implizite Machtzuwachs Russlands wird im Westen bisher kaum registriert.

Wenn die G20 den Anspruch einer Art Weltwirtschaftsregierung erhebt, wird sie bald an ihre Grenzen stoßen – sie legitimiert sich allein durch ihre ökonomische Potenz. Globale Interessen lassen sich so aber nicht effizienter regeln, als es die Vereinten Nationen mit ihren derzeit 193 Mitgliedländern bereits tun.

Die G20 als neue globale Wirtschaftsinstanz wird misstrauisch beäugt. Nicht zuletzt die Kritik aus Ländern des Südens zeigt, dass die Verschiebung der tektonischen Platten zu leichten Beben führt. Interessanterweise fanden sich unter den Kritikern Bolivien, Kuba, Nikaragua und Venezuela – eine an Einfluss gewinnende lateinamerikanische Allianz. Aber auch die von Katar, Singapur und der Schweiz initiierte Global Redesign Initiative oder die Global Governance Group (3G) zeigen, dass diejenigen, die draußen bleiben müssen, der G20 nicht blindlings trauen (vgl. Cooper/Helleiner, 2010).

Afrikanische Länder sind in diesen Initiativen kaum repräsentiert; dieser Kontinent bleibt außen vor. Das wird sich rächen, denn das internationale Interesse an den natürlichen Ressourcen Afrikas steigt. Und auch andere geostrategische Erwägungen – etwa die Sicherung der Seeroute am Horn von Afrika – sind relevant. Prognosen zufolge werden bis Mitte des Jahrhunderts zwei Milliarden Menschen in Afrika leben, und damit eine halbe Milliarde mehr als in Indien oder China.

Paul Martin als einer der Gründungsväter der G20 hat 2009 auf einer Konferenz in Ontario davor gewarnt, die Belange Afrikas weiter zu vernachlässigen. Multilateralismus müsse mehr sein als das getarnte Verfolgen eigener nationaler Interessen. Auch die Bedürfnisse jener, die nicht am Tisch der G20 sitzen, müssten beachtet werden. Zweifel daran, dass Martins Forderung praktisch umgesetzt wird, sind berechtigt.

Habende und Habenichtse

Der globale Süden findet in der G20 dennoch erstmals Repräsentanz, Einfluss und Macht. Das ist die neue globalpolitische Realität. Sie bedeutet aber nicht automatisch, dass die Interessen des Südens besser vertreten werden. Vielmehr besteht die Gefahr, dass der globale Süden sich in Habende und Habenichtse aufspaltet. Die Habenichtse hätten dann keinen Grund, die klima- und sicherheitspolitischen Sorgen der Besitzenden zu beachten, solange diese nicht das Recht auf Nahrung berücksichtigen und bereit sind, für Folgen des Klimawandels aufzukommen. Gewonnen wäre damit nichts.

Letztlich ist die G20 eine selbsternannte globale Instanz. Will sie akzeptiert werden und Glaubwürdigkeit und Legitimation erlangen, muss sie die globalen öffentlichen Güter und die Zukunft aller Menschen ins Auge fassen. Aber selbst dann bleibt fraglich, inwiefern die Politik sich außerhalb der Vereinten Nationen abspielen soll. Zudem sind die VN noch in der bipolaren Weltpolitik verankert, die mit dem Ende des Kalten Krieges obsolet geworden ist, wie unter anderem die Dauerdebatte über die Reform des Sicherheitsrates zeigt.

Es gibt Parallelen zwischen dem Club der fünf permanenten Sicherheitsratsmitglieder und der G20. Die Wichtigste ist wohl, dass sie ihre kollektive Verantwortung nicht wirklich ausüben. Mit Farer/Sisk (2010) lässt sich indessen fragen, inwieweit eine G20 weniger anachronistisch sein kann als die G8 oder der VN-Sicherheitsrat. Wer ist befugt, aktiv Entscheidungen von globaler Bedeutung zu treffen? Ist 20 eine überzeugendere Zahl als 193?

Paul Martin ist sich der Tragweite dieser Fragen bewusst. Sein Plädoyer für die G20 setzt voraus, dass sich die darin vertretenen Regierungen nicht als leitende Instanz für die Gesamtheit der VN-Mitgliedsstaaten aufspielen. Er sieht die G20 als Gremium, das Empfehlungen ausspricht, die zwar Gewicht haben können aber nicht bindend sind.

Außerdem muss das Konzept der völkerrechtlichen Souveränität überdacht werden. Die im Westfälischen Frieden von 1648 verankerte Grundnorm nationaler Souveränität als uneingeschränkte Autorität auf einem bestimmten Territorium muss mehr als 350 Jahre später um Pflichten und Verantwortung im globalen Zusammenhang ergänzt werden. Finanzmärkte, Umweltverschmutzung und Energieproduktion kennen keine Grenzen mehr und globale Terrornetze erinnern uns daran, dass nationale Steuerungsmechanismen allein nur noch selten effektiv sind.

Globalisierung kann nur dann erfolgreich gelingen, wenn sich staatliche Souveränität nicht nur durch Rechte sondern auch durch Pflichten definiert. Eine effektive globale Koordinierung – auch das hat Paul Martin ausgeführt – bedeutet aber nicht automatisch auch eine globale Regierung, und globale Institutionen beeinträchtigen nicht zwangsläufig die nationale Souveränität, sondern können diese im Gegenteil stärken – etwa, indem sie Staaten bei der Sicherung der globalen öffentlichen Güter helfen. Die G20 muss beweisen, dass sie das kann.

Ob sie den Anforderungen gewachsen ist, steht dahin. Die Erweiterung der G8 zur G20 könnte freilich auch eine unbeabsichtigte positive Wirkung haben. Die von der Elite-Architektur ausgeschlossenen Staaten könnten versuchen, die Generalversammlung der VN und sachthemenbezogene VN-Gipfeltreffen zu stärken und ihnen dadurch neues Gewicht verleihen. Das wäre eine ungewollte, aber nicht unwillkomme Folge der G20.

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