Europa

Schlechte Nachricht aus London

Die Mehrheit der britischen Wähler hat entschieden, dass ihr Land aus der EU aussteigen soll. Das ist für die globale Entwicklung aus mehreren Gründen schlecht.
Der Populismus hat gewonnen. Dunham/AP Photo/picture-alliance Der Populismus hat gewonnen.

Zusammen sind die EU und ihre Mitgliedsländer der größte Geber der internationalen Entwicklungspolitik. Ihre Politik könnte besser koordiniert sein, aber noch mehr Inkohärenz wäre auch möglich. In den vergangenen Jahrzehnten haben britische Regierungen viel dafür getan, dass die Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) gestiegen ist und effektiver eingesetzt wird. Ohne die Briten wird Europas Entwicklungspolitik wohl stärker fragmentiert und weniger fokussiert werden.

Der Brexit ist auch auf andere Weise destruktiv, denn die Idee von nationaler Souveränität ist überholt. Die globalen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, überfordern auf eigene Faust handelnde Staaten. Keine Regierung kann den Klimawandel, Infektionskrankheiten oder Steuerflucht allein in den Griff bekommen. Globale Gemeinschaftsgüter – vom Artenschutz über Internetregulierung bis hin zur Finanzstabilität – erfordern Zusammenarbeit.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Integration in der EU gezeigt, wie gemeinsam ausgeübte Souveränität Frieden schafft. Die EU hat auch viel für den friedlichen Wandel nach dem Kollaps der Sowjetunion getan, indem sie zentral- und osteuropäische Länder aufnahm. Diese kontinentale Ordnung nun aufzulösen, sendet genau das falsche Signal in einer Zeit, in der die Menschheit mehr statt weniger Zusammenarbeit braucht.   

Im britischen Referendum hat die gefährliche Gefühlsduselei des nationalistischen Populismus über nüchterne Analysen triumphiert. Populistisch ist dem Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller zufolge eine Politik, die auf Phantasievorstellungen von einer homogenen Nation, deren Mitglieder wissen, was gut und richtig ist, beruht. Diese Nation hat laut Populisten keine internen Differenzen, wird aber von korrupten Eliten im Verbund mit Minderheiten und Unterschichten ausgebeutet. Populisten, schreibt Müller, behaupten, unmittelbar den Volkswillen zu vertreten, und bestreiten die Legitimität aller anderen politischen Kräfte.

Diese Art von Populismus plagt derzeit viele Länder. Zu nennen sind Donald Trump in den USA und Marine Le Pen in Frankreich ebenso wie Recep Tayyip Erdogan in der Türkei oder Narendra Modi in Indien. Auch Deutschlands AfD, Österreichs FPÖ und Polens PiS agieren populistisch. Sie scheuen faktenbasierte Debatten, dämonisieren Gegner und faseln von nationaler Unabhängigkeit.   

Populisten kanalisieren weit verbreitete Frustrationen, aber sie können nicht halten, was sie versprechen. Die Nation, von der sie schwärmen, gibt es nämlich nicht, sondern diese hat, wie alle Gemeinschaften auf dieser Welt, interne Konflikte. Die Brexit-Abstimmung wird denn auch keine schnelle Befreiung des britischen Königreichs bringen, sondern zu ökonomischen Turbulenzen sowie zähen und komplizierten Verhandlungen darüber führen, wie denn nun die Integration in die EU rückgängig gemacht werden soll. Wir dürfen uns auf weitere wütende und vereinfachende Rhetorik von Populisten einstellen, die keine Antworten auf die komplexen Fragen haben, die ihr Abstimmungserfolg aufwirft.

Die Brexit-Befürworter haben ein Klima von Wut und Angst geschaffen. Sie müssen einen Teil der Verantwortung dafür übernehmen, dass ein Verrückter kürzlich die proeuropäische Labour-Abgeordnete Jo Cox ermordete. Als er vor Gericht seinen Namen angeben sollte, rief er: „Tod den Verrätern, Freiheit für Britannien!“ Die Vorstellung, dass jemand wegen einer anderen Vorstellung von der Zukunft eines Landes ein Verräter sei, ist typisch populistisch: antipluralistisch und undemokratisch.

Die EU ist nicht perfekt, sondern hat echte Schwachstellen. Sie sollte zum Beispiel ihren eigenen Menschenrechtsansprüchen besser gerecht werden. Zudem wurden Mitgliedsländer, als Menschen in der Eurokrise Schutz brauchten, gezwungen, soziale Sicherung zu demontieren. Die EU muss wirklich besser werden. Aber es kann doch niemand im Ernst annehmen, dass ihre Schwächung für die Menschenrechte oder die soziale Sicherung weltweit gut ist. Der Brexit schadet der globalen Entwicklungspolitik, unterhöhlt internationale Zusammenarbeit und nährt irrationale Phantasien von nationaler Größe.  

Hans Dembowski

 

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.