Entwicklung und
Zusammenarbeit

Hassrede

Ökosystem des Hasses

Die BJP ist in Indien seit mehr als zehn Jahren an der Macht. Das Ziel der rechtsgerichteten Partei ist es, einen Staat mit Hindu-Mehrheit zu errichten. Das hat zu einer massiven Zunahme von Hassreden, gefolgt von Verbrechen gegen Minderheiten, geführt – insbesondere gegen muslimische Menschen.
Premierminister Narendra Modi (Mitte) mit dem Regierungschef von Uttar Pradesh, Yogi Adityanath (links), während einer Wahlkampftour in Ayodhya zur Unterstützung des BJP-Kandidaten Lallu Singh (rechts). picture alliance/Sipa USA/Hindustan Times
Premierminister Narendra Modi (Mitte) mit dem Regierungschef von Uttar Pradesh, Yogi Adityanath (links), während einer Wahlkampftour in Ayodhya zur Unterstützung des BJP-Kandidaten Lallu Singh (rechts).

Die Strategie und der Aktionsplan der Vereinten Nationen gegen Hassrede definieren Hassrede als „jede Art von Kommunikation in Wort, Schrift oder Verhalten, die Personen oder Gruppen angreift oder eine abwertende oder diskriminierende Sprache verwendet, bezogen darauf, wer sie sind – also wegen ihrer Religion, ethnischen Herkunft, Nationalität, „race“, Hautfarbe, Abstammung, ihres Geschlechts oder anderer Identitätsmerkmale“.

Das indische Rechtssystem tut sich allerdings schwer, ein Gleichgewicht zwischen Hassreden und Meinungsfreiheit zu finden. So heißt es etwa im 267. Bericht der Law Commission of India: „Hassrede ist eine Äußerung, die sich dazu eignet, andere aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu verunsichern oder zu beleidigen oder Feindseligkeit gegen sie zu schüren. Es gibt keine allgemeingültige rechtliche Definition von Hassrede, vielleicht aufgrund der Befürchtung, dass eine standardisierte Festlegung dessen, was unzulässige Äußerungen sind, die Freiheit einschränken könnte.“ Somit unterbinden die indischen Rechtsinstitutionen die Verbreitung von Hassrede nicht ausreichend und erschweren die strafrechtliche Verfolgung.

Hassrede breitet sich in Indien folglich auf höchster Ebene aus. Einige Beispiele für Wahlkampfreden von Premierminister Narendra Modi und anderen führenden BJP-Politikern belegen das:

  • Während einer Rede in Barabanki, Uttar Pradesh, im Mai des vergangenen Jahres machte Modi falsche Behauptungen über die politische Opposition und deutete an, dass diese beabsichtige, den neu eröffneten Ram-Tempel zu beschädigen, der umstrittenerweise auf dem Gelände einer abgerissenen historischen Moschee in Ayodhya errichtet worden war. Er machte deutlich, dass das Oppositionsbündnis, falls es an die Macht käme, „Lord Ram ins Zelt zurückschicken und den Tempel mit Bulldozern zerstören“ würde.
  • Yogi Adityanath, Regierungschef von Uttar Pradesh, nutzte 2024 wiederholt den Slogan „Batenge toh katenge“ (frei übersetzt: „Wenn wir uns spalten, werden wir aufgeschnitten/zerstört“) – vor allem bei Aufrufen zur Hindu-Einheit, die nach Ansicht von Vertreter*innen der BJP beispielsweise durch muslimische Minderheiten untergraben werde. Er wurde auch in Verbindung mit Angriffen auf Hindus in Bangladesch verwendet und wenn vor einer inneren Spaltung Indiens gewarnt wurde. Die Opposition warf Adityanath vor, selbst zur Spaltung beizutragen und zum Hass gegen Minderheiten anzustacheln.
  • Innenminister Amit Shah sagte auf einer Wahlkundgebung in Jharkhand: „Eindringlinge reißen Land an sich, indem sie unsere Töchter heiraten. Wir werden Gesetze einführen, um die Übertragung von Land an Eindringlinge zu verhindern, wenn diese Frauen aus ethnischen Gruppen heiraten.“ Mit „Eindringlinge“ sind Menschen muslimischen Glaubens gemeint.

Laut einem Bericht des India Hate Lab (IHL) mit Sitz in Washington aus dem Jahr 2024 hielten diese drei Männer die meisten Hassreden: der Regierungschef von Uttar Pradesh, Adityanath (86 Vorfälle), Premierminister Modi (67 Vorfälle) und Innenminister Shah (58 Vorfälle).

Nach Angaben des IHL stieg die Zahl der Hassreden bei Wahlkampfveranstaltungen im Vorfeld der Wahl 2024 mit 1165 registrierten Fällen um 74 Prozent. Dabei richteten sich 98,5 Prozent der erfassten Fälle von Hassrede gegen muslimische Menschen.

Seit 2014 hat die BJP drei Wahlen hintereinander gewonnen, und Modi befindet sich derzeit in seiner dritten Amtszeit als Premierminister. Zuvor war er Regierungschef von Gujarat gewesen, wo ihm vorgeworfen wurde, die Ausschreitungen zwischen Religionsgemeinschaften im Jahr 2002 geduldet oder sogar inszeniert zu haben. Später wurde er jedoch von allen Vorwürfen freigesprochen. Die Kernideologie der BJP basiert auf Hindutva, der politischen Instrumentalisierung des Hinduismus zur Förderung der Vorherrschaft der Hindus. Die BJP hat diese Ideologie von ihrer Mutterorganisation Rashtriya Swayamsevak Sangh, einer freiwilligen paramilitärischen Organisation der hinduistischen Rechten, übernommen.

Um eine überwiegend hinduistische Nation zu errichten, müssen Minderheiten ausgegrenzt werden. Diese Ausgrenzung kann verschiedene Formen annehmen, etwa strukturelle Diskriminierung, Gewalt und Hass. Hassrede ist ein wirksames Mittel zur Dämonisierung von Minderheiten. Sie geht von den Machthabenden aus und verankern sich allmählich in verschiedenen Systemen und Schichten der Gesellschaft. Das Hauptziel von Hassrede ist es, die Zielgruppen zu marginalisieren und zu schädigen und ein Klima der Angst und Spaltung zu schaffen.

Reden werden Verbrechen

Hassrede trägt massiv zum Anstieg von Hassverbrechen bei. Dabei handelt es sich um Straftaten, die durch Vorurteile gegenüber der vermeintlichen Zugehörigkeit eines Opfers zu einer bestimmten sozialen Gruppe motiviert sind. Wenn einflussreiche Personen oder Organisationen Hassrede verbreiten, legitimieren sie Vorurteile und schaffen ein Umfeld, das Gewalt gegen bestimmte Gruppen normalisiert. Das kann – wie in Indien mehrfach beobachtet wurde – dazu führen, dass diskriminierende Handlungen, körperliche Angriffe, Vandalismus und auch Massengewalt zunehmen.

Äußerungen, die eine Gemeinschaft entmenschlichen oder dämonisieren, können Spannungen verschärfen, zu Unruhen und Verlust von Eigentum führen und Menschenleben kosten. Es entsteht ein Ökosystem, das Täter*innen schützt und jene bestraft, die ihnen die Stirn bieten. So ehrte Jayant Sinha, ein damaliger Minister, 2018 acht Männer, die nach ihrer Verurteilung wegen Lynchmords an einem muslimischen Mann auf Kaution freigelassen worden waren, mit einer Blumengirlande. Darüber hinaus wurde ein 65-jähriger Aktivist namens Parwez Parvaz, der gegen Regierungschef Adityanath wegen angeblicher Hassrede, die zu den Unruhen geführt hatte, Klage eingereicht hatte, wegen Gruppenvergewaltigung verurteilt. Verschiedene Medien äußerten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils.

Angesichts der Zunahme von Hassrede und Hassverbrechen sind verschiedene Organisationen und Initiativen entstanden, die gegen diese Probleme vorgehen und sozialen Zusammenhalt fördern wollen. Nennenswert sind hierbei:

  • Die Initiative „Hindutva Watch“. Sie konzentriert sich darauf, Hassrede und Gewalt, die unter dem Deckmantel der Hindutva stattfinden, zu dokumentieren und aufzudecken. Ihr Ziel ist es, Täter*innen zur Rechenschaft zu ziehen und das Bewusstsein für die Folgen derartiger Rhetorik zu schärfen.
  • Die bereits erwähnte IHL ist eine Forschungs- und Interessengruppe, die Trends bei Hassrede und deren Zusammenhänge mit Hassverbrechen analysiert. Sie liefert datengestützte Erkenntnisse, die in politische Entscheidungsfindung und den öffentlichen Diskurs einfließen.
  • „Halt the Hate“ ist eine Kampagne von Amnesty International, die darauf abzielt, Vorfälle von Hassverbrechen in Indien zu verfolgen und zu melden. Das Projekt will Opfer unterstützen, sich für Gerechtigkeit einsetzen und die Behörden auffordern, entschieden gegen Hassreden und Gewalt vorzugehen.

Öffentliche Erklärungen und Reden von politischen Leitfiguren, einschließlich Premierminister Modi, wurden bisweilen als indirekte Billigung oder Nichtverurteilung von Hassrede angesehen und ermutigten Einzelpersonen und Gruppen dazu, solche Ansichten offener zu äußern. Raqib Hameed Naik, Gründer von Hindutva Watch und Mitglied der IHL, sagt: „Das Phänomen des sektiererischen Hasses ist keine neue Entwicklung in diesem Land. Es manifestiert sich jedoch in einer subtileren Form. Es wurde festgestellt, dass eine Leitfigur notwendig ist, um gesellschaftliche Unruhen zu schüren und bereits bestehende Spaltungen zu verschärfen. Dies hat dazu geführt, dass indische Muslim*innen in ihrem eigenen Land an den Rand der Gesellschaft gedrängt und zu Menschen zweiter Klasse degradiert wurden.“

Suparna Banerjee ist Associate Fellow am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (Peace Research Institute Frankfurt, PRIF). 
mail.suparnabanerjee@gmail.com 

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