Hinduismus
Betonung des Hinduismus in der Politik
Mahatma Gandhi gab sich als tiefgläubiger Mann. Dass er wie ein Heiliger verehrt wurde, war politisch nützlich. Das galt auch für sein betont bescheidenes Auftreten. Er kleidete sich mit einem einfachen Tuch und verzichtete effektvoll auf prestigeträchtige Symbole.
Sein asketisches Auftreten legte nahe, dass er sich mit den vielen Millionen armer Menschen in Indien, die er als Nation sah, verbunden fühlte. Er zeigte so auch, dass er mit dem Befreiungskampf keine persönlichen Vorteile verband. Er wählte das Erscheinungsbild eines Pilgers, der auf der Suche nach ewiger Wahrheit ohne irdische Annehmlichkeiten auskommt.
Auch international war das Image wirkmächtig – beispielsweise, als der britische Politiker Winston Churchill ihn einen „halbnackten Fakir“ nannte. Auch Gandhis schnippische Äußerung, westliche Zivilisation sei „eine gute Idee“, fand dadurch größeren Widerhall.
Auf dem Subkontinent funktionierte die Persona, die sich Gandhi schuf. Sie leuchtete nicht nur Hindus ein, denn auch andere Religionen verbinden spirituelle Traditionen mit Asketik. Gandhi war fest im Hinduismus verwurzelt, dem auch der Großteil der indischen Bevölkerung angehört, aber sein Verständnis von Religiosität war auf Inklusion ausgerichtet. Er akzeptierte demonstrativ andere Glaubenssysteme und betonte gemeinsame Werte wie Wahrhaftigkeit, geschwisterliche Liebe und Friedfertigkeit. Sein politisches Engagement fußte auf moralischen Prinzipien, auf die sich alle Religionen einigen können. Er verbündete sich auch gezielt mit Menschen anderen Glaubens.
Gewaltfreiheit
Gandhi setzte wirkungsvoll zivilen Ungehorsam ein. Gewaltfreie Aktionen zeigten, wie lächerlich und zugleich repressiv die britische Kolonialherrschaft war. Weil Gandhis Kampagnen große Aufmerksamkeit erregten, ließen sie sich nicht leicht mit Gewalt unterdrücken. Mitmachen erforderte Zivilcourage, aber das Risiko war deutlich kleiner als bei der Teilnahme an bewaffnetem Kampf. Gandhi mobilisierte dabei mit moralischen Prinzipien, die verschiedenen religiösen Vorstellungen entsprachen.
Teilweise wich Gandhi von hinduistischen Traditionen ab. Wie Reformkräfte vor ihm sprach er sich gegen die Ausgrenzung und Unterdrückung der untersten Kasten aus. Er nannte sie Harijans, Gotteskinder, aber heute nennen sie sich selbst Dalits, die Zerbrochenen. Gandhi ging auf Angehörige aller Kasten zu und forderte andere auf, das ebenfalls zu tun. Allerdings stellte er das ausbeuterische und demütigende Kastensystem nicht in Frage.
Gandhi lehnte es ab, Religionen identitätspolitisch gegeneinander auszuspielen. Es gelang ihm, 1947 gewalttätige Krawalle zwischen Hindus und Muslimen in Kalkutta zu beenden. Er startete in der Stadt einen Hungerstreik und kündigte an, ihn nur abzubrechen, wenn die Ausschreitungen aufhörten. Einige Wochen später konnte er aber dem fürchterlichen Blutbad, das mit der Teilung der Kolonie in die souveränen Staaten Indien und Pakistan einherging, keine Grenzen setzen.
Gandhi führte die Unabhängigkeitsbewegung mit großem Erfolg, danach schwand sein Einfluss jedoch schnell. Unter Premierminister Jawaharlal Nehru verfolgte die Kongresspartei, die er inspiriert hatte, eine sozialistisch-technokratische Strategie, die Gandhis Vorstellungen von kleinen, selbstversorgenden Dorfrepubliken nicht entsprach.
Hindu-Chauvinismus
Narendra Modi, Indiens heutiger Regierungschef, tritt für „Hindutva“, die Dominanz des Hinduismus, ein. Er nutzt den Glauben anders als Gandhi. Seine Partei BJP gehört zum Sangh Parivar, einem Netzwerk hindu-chauvinistischer Organisationen, aus deren Sicht Indien eine Hindu-Nation sein muss. Andere Religionsgemeinschaften sollen sich unterwerfen. Dem Sangh Parivar schwebt auch eine weltweite Führungsrolle vor.
Teilweise nutzt auch Modi Symbole des Verzichts. Dass er unverheiratet ist, wird oft betont. Manchmal zieht er sich zur Meditation aus dem öffentlichen Leben zurück. Während der Corona-Pandemie ließ er sich einen langen Bart wachsen.
Andererseits legt er Wert auf Symbole der Macht. Gandhi hätte nie wie Modi mit einem großen Brustkorb geprahlt. Der neue Ram-Tempel in Ayodhya hat triumphale Ausmaße. Er entstand an der Stelle der von Fanatikern 1992 zerstörten Babri-Moschee.
Wie der Sangh Parivar gibt Modi vor, andere Religionen zu tolerieren. Allerdings wird im Umkehrschluss gefordert, dass diese den Hinduismus respektieren müssen. In der Praxis bedeutet das, sie sollen sich dessen Kultur unterwerfen.
Wiederholt kommt es zu Gewalt. Lynchmorde werden immer wieder damit begründet, Angehörige des Islam hätten eine heilige Kuh geschlachtet. Hassrhetorik und wilde Gerüchte werden eingesetzt, um Stimmung zu machen – zum Beispiel in Wahlkämpfen. Gelegentliche Pogrome terrorisieren Minderheiten.
Hindu-chauvinistische Kräfte tun gern so, als fördere ihr Glaube Inklusion. Sie wollen, dass niedrige Kasten Stolz auf die Religion empfinden. In der Praxis aber geben mit wenigen Ausnahmen vor allem Männer aus höheren Kasten den Ton an.
Kultivierter Groll
Modi und der Sangh Parivar kultivieren ein Gefühl des Grolls unter Hindus. Sie geben vor, Indiens Mehrheitsbevölkerung sei trotz der vielen verschiedenen Sprachen und Kulturen eine homogene Einheit, der seit Jahrhunderten Leid angetan werde. Besonders schüren sie Hass gegen den Islam. Sie behaupten, die heutigen Nöte des Landes seien während der Mogulen-Ära, des Kolonialismus und der Jahrzehnte der Vorherrschaft der Kongresspartei entstanden.
Ihr Vorgehen entspricht dem Muster rechtsextremer Kräfte, die in vielen Ländern derzeit Einfluss gewinnen. Sie entwerfen ein Bild von einer harmonischen Vergangenheit, die sie wiederherzustellen versprechen, wofür sie aber die Feinde des Volkes bekämpfen müssten. Die komplizierte Vergangenheit wird mit simplen Schlagworten in einer sehr engen Blickrichtung erklärt.
Hindu-Chauvinismus ist allerdings nichts Neues. Tatsächlich gehörte der Mörder, der am 30. Januar 1948 Mahatma Gandhi umbrachte, in dieses Lager. Er war verbittert wegen der Teilung Indiens und des begleitenden Blutbads und gab dafür dem gewaltfreien Anführer der Freiheitsbewegung die Schuld.
Suparna Banerjee ist Politikwissenschaftlerin und lebt im Rhein-Main-Gebiet.
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