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Indien

Die zweideutige Rolle der indischen Präsidentin

Droupadi Murmu ist das 15. Staatsoberhaupt Indiens. Sie ist die erste Adivasi und die zweite Frau in diesem Amt. Dass sie gewählt wurde, war nicht nur ein Zeichen der Inklusion, sondern hatte auch einen spalterischen Aspekt.
Indiens Präsidentin Droupadi Murmu. picture alliance/Sipa USA/Hindustan Times
Indiens Präsidentin Droupadi Murmu.

Droupadi Murmu wurde 2022 Präsidentin. Sie war die Kandidatin der BJP von Premierminister Narendra Modi. Zuvor war sie Abgeordnete im Landtag, später Mitglied der Landesregierung von Odisha sowie Gouverneurin von Jharkhand. In letzterem Amt führte sie für die Zentralregierung Aufsicht über die dortige Landesregierung, übte aber keine politische Macht aus. 

Murmu gehört zu den Santals, einem Adivasivolk, das im Osten Indiens sowie in Bangladesch und Nepal beheimatet ist. In Indien sind Kastenhierarchie und rassistisches Denken weiterhin wichtig, sodass es viele Adivasi mit Stolz erfüllte, dass sie Präsidentin wurde. Sie hat – ähnlich wie der deutsche Bundespräsident – überwiegend zeremonielle Aufgaben.  

Ihr Aufstieg in die Staatsspitze war jedenfalls ein Zeichen der Inklusion. Zugleich hatte er einen spaltenden Aspekt. Murmu hat dank der BJP Karriere gemacht. Dieser Partei zufolge soll Indien eine hinduistische Nation sein. Sie gehört zu dem hinduchauvinistischen Netzwerk Sangh Parivar, das behauptet, alle in Indien lebenden Gruppen und Völker hätten ursprünglich dem Hinduismus angehört, manche Menschen seien aber zu anderen Religionen übergetreten. Das Netzwerk spricht sich in dem Sinne für „Heimkehr“ (ghar wapsi) aus, dass alle indischen Staatsangehörigen ihr angebliches hinduistisches Erbe akzeptieren. 

Seit einigen Jahren forciert die BJP ihre Bemühungen, Adivasi davon zu überzeugen, sie seien eigentlich Hindus. Das ist jedoch alles andere als offensichtlich. Historisch lebten Adivasi in abgelegenen Dörfern auf dem Land und im Wald. Sie wurden von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt und erfuhren Diskriminierung ähnlich wie die niedrigsten Hindukasten, die heute Dalits genannt werden. Adivasivölker haben eigene Sprachen und typischerweise von Generation zu Generation weitergegebene kosmologische Mythen. Allerdings haben sich viele auch Religionen mit heiligen Schriften wie dem Hinduismus oder auch dem Christentum angeschlossen. 

Demonstrative Glaubenspraxis

Murmu stellt gern öffentlich dar, dass sie Hindu ist. Sie bezeichnet sich als Vegetarierin und gehört zu den Brahma Kumaris, einer besonders unter Frauen beliebten spirituellen Richtung, die in den 1930er-Jahren entstand. Sie wurde nicht in eine Hindukaste hineingeboren. 

Die Präsidentin bekennt sich zur Savarna-Orthodoxie, zu der unter anderem die Kastenordnung der hinduistischen Gesellschaft gehört. Sie fegt manchmal demonstrativ frühmorgens einen Shiva-Tempel im Distrikt Mayurbhanj in Odisha. Auch hat sie an Zeremonien in dem umstrittenen Ram-Tempel in Ayodhya teilgenommen, der dort entstand, wo vor 30 Jahren Hindu-Extremisten die Babri-Moschee abrissen. 

Indien ist laut Verfassung ein säkularer Staat. Dennoch zelebriert Murmu ihren Glauben gern öffentlich. Die Fotos, die sie bei Hindu-Ritualen zeigen, dienen dann dazu, die Botschaft zu verbreiten, alle Adivasi seien – wie die Staatschefin – eigentlich Hindus. Das widerspricht der großen kulturellen Vielfalt der Adivasi-Völker. 

Murmu unterstützt die BJP auch bei Themen wie Hindi als Nationalsprache. Das befremdet insofern, als Adivasi-Sprachen meist mit Hindi gar nicht verwandt sind. 

In verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konflikten stehen Adivasi-Gemeinschaften auch weiterhin unter großem Druck. Bergbau- und Infrastrukturvorhaben beeinträchtigen oft ihre Lebensgrundlagen in abgelegenen Gebieten. Wieder und wieder müssen ganze Dörfer weichen. Als die BJP Murmu zur Präsidentschaftskandidatin kürte, gab es die Hoffnung, sie könne schützend eingreifen. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. 

Droupadi Murmus Rolle als Präsidentin ist deshalb zweideutig. Einerseits ist sie die erste Adivasi, die offiziell das gesamte Land repräsentiert. Andererseits hat sie eine Hindu-Identität angenommen, die der Vielfalt der Adivasi-Völker nicht entspricht.  

Arun P. Ghosh ist ein Pseudonym. Der tatsächliche Name ist der Redaktion bekannt.
euz.editor@dandc.eu  

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