Wassermangel

Der schwindende See

Aufgrund des Klimawandels und durch Übernutzung der Wasserressourcen schrumpft der Tschadsee. Die Folgen für Nigeria sind verheerend.
Menschen überqueren einen Zufluss zum Tschadsee. Jerome Delay/picture-alliance/AP Photo Menschen überqueren einen Zufluss zum Tschadsee.

Als europäische Geografen den Tschadsee 1823 zum ersten Mal vermaßen, betrachtete man ihn als einen der größten Seen der Welt. Seitdem ist er um etwa 95 Prozent geschrumpft. Der Klimawandel zeigt hier seine ganze Zerstörungskraft. Zudem wird dem See zu viel Wasser entnommen, weil die Bevölkerung der Anrainerstaaten – Niger, Tschad, Kamerun und Nigeria – wächst.

Der Tschaddee versorgt rund 38 Millionen Menschen mit Wasser, obwohl seine Oberfläche von 25 000 Quadratkilometern in den 1960er Jahren zu 4800 Quadratkilometern im Jahr 2014 geschrumpft ist. Auch seine Fischressourcen sind rückgängig: Trockenfisch, eine wichtige Proteinquelle für die Menschen der Region, wird immer teurer und seltener.

Der Rückgang des Sees hat verheerende Auswirkungen auf Nigeria. Die ungebildete Landbevölkerung in Nigerias Borno State konnte sich früher von Ackerbau ernähren, aber an vielen Orten sind nun weder Feldanbau noch Viehzucht möglich.

Manche der Betroffenen haben sich der islamistischen Miliz Boko Haram angeschlossen, die ihre Kämpfer bezahlt und damit hoffnungslose junge Leute anwirbt. Andere Menschen migrieren nach Süden, um dort ein Auskommen zu finden. Angesichts des umkämpften Arbeitsmarktes gelingt dies jedoch nur wenigen. Der schlimmste Schaden wird jedoch durch verzweifelte Viehhirten angerichtet, die mit ihren Tieren in Gegenden weiterziehen, wo sie früher nie hinkamen. Manche kommen sogar in die Gegend der Hauptstadt Abuja (siehe Kasten).

Benue State ist als Nigerias Brotkorb bekannt. Die Distanz von dort bis zum Tschadsee beträgt mehr als 1000 Kilometer. Trotzdem ist Benue State stark von den häufigen Zusammenstößen zwischen Farmern und Viehhirten betroffen. Rund 3000 Menschen wurden dort zwischen 1989 und 2013 getötet, und mehr als 1200 starben zwischen April 2013 und Juli 2016, wie lokale Medien berichten.


Gefährliche Glaubensverbundenheit

Andere Staaten sind nicht davon ausgenommen. Im Dezember 2016 berichtete die katholische Diözese von Kafanchan in Kaduna State, dass dort 808 Menschen bei Zwischenfällen getötet und Ackererträge im Wert von $ 18,5 Millionen zerstört wurden. Die Situation ist extrem angespannt, noch verstärkt dadurch, dass einige christliche Anführer den Gouverneur des Staates Nasir El-Rufai, einen Muslim, anschuldigen, sich auf die Seite der Viehhirten zu stellen, die größtenteils den Fulani angehören, einem vorwiegend muslimischen Stamm.

In Nigeria sind religiöse Zugehörigkeiten potenziell explosiv. Die Menschen des südlichen Kaduna sind meist Christen, aber der Norden des Landes ist vorwiegend muslimisch. Tatsächlich ist ganz Nigeria in einen vorwiegend christlichen Süden und einen meist muslimischen Norden gespalten. Manche Christen behaupten, die Hirten würden dadurch ermutigt, dass Präsident Muhammadu Buhari ein Fulani sei.  

Gewaltsame Zusammenstöße sind für Nigeria nicht die einzige Konsequenz des allmählichen Austrocknens des Tschadsees. Die UN hat vor Hungersnöten im nordöstlichen Nigeria gewarnt. Der Hauptgrund ist der Boko-Haram-Aufstand, der jedoch mit Fragen der Armut und Umweltschädigung verwoben ist. Die augenblicklich herrschende Nahrungskrise wird verschärft durch Wassermangel und Viehherden, die die Ernten zerstören.

Die Regierung reagierte mit dem Vorschlag, dass die Weiderouten, welche die Viehhirten in den 1960er Jahren über Land genutzt hatten, wiederbelebt werden sollten. Kritiker sagen jedoch, dies würde nur die Probleme im Bezug auf Landbesitz verstärken, weil diese Weiderouten im dichtbesiedelten Land von heute nicht mehr existieren.

Andere schlagen vor, die Nomaden sollten nicht mehr mit ihrem Vieh umherziehen, sondern sesshafte Viehwirtschaft betreiben. Die große Frage ist natürlich, auf welchem Land diese Farmen eingerichtet werden sollen.


Umweltprobleme

Sam Onuigbu leitet das Klimawandel-Komitee des Abgeordnetenhauses. Seiner Ansicht nach ist es notwendig, die Zusammenstöße anzugehen, aber es sei noch wichtiger, etwas zu unternehmen, um die zugrundeliegenden Umweltprobleme zu entschärfen. Onuigbus Meinung nach engagiert sich die gegenwärtige Regierung durchaus dafür, den Klimawandel zu bekämpfen. Sie hat das Abkommen von Paris unterzeichnet und begonnen, entsprechende Politik zu entwickeln und umzusetzen.

Nicht alle zivilgesellschaftlichen Aktivisten sind jedoch davon überzeugt. Nnimmo Bassey, der die Stiftung „Health of Mother Earth Foundation“ leitet (und einen Essay beitrug über Ölförderung und Fischerei an Nigerias Küsten im D+C/E+Z e-Paper 2017/04), warnt, dass die meisten Reaktionen auf den Schwund des Tschadsees viel zu oberflächlich seien. Er hält eine konzertierte internationale Aktion, vor allem der Länder im Tschadbecken, für notwendig.

Laut Bassey ist das dringendste Anliegen, die Wassermenge des Sees zu erhöhen, was durch die Verbesserung des Managements der gesamten Wasserscheide des Tschadbeckens möglich wäre. Dazu gehöre auch die Überprüfung des Managements der regionalen Vegetation, sagt er: „Wir müssen das Great Green Belt (Grüngürtel)-Projekt umsetzen, was nicht bedeutet, dass nur Bäume gepflanzt werden, wenn Fernsehkameras da sind, sondern dass ein ökologischer Korridor entwickelt wird, wo Bäume entscheidend sind.“ Die lokale Bevölkerung muss daran beteiligt werden, Bäume zu pflanzen und ihr Überleben zu sichern.

Bassey gibt zu, dass Nigerias aktuelle Regierung ein stärkeres Interesse an Umweltthemen zeigt als frühere. Trotzdem meint er, dass zu wenig zu spät getan wird.

Auf internationaler Ebene kommt Hilfe, um eine Hungersnot in der Tschadregion zu verhindern. Bei einem Gipfel in Oslo im Februar 2017 haben Geber fast $ 700 Millionen für humanitäre Belange in der Region für die nächsten drei Jahre versprochen. Nigeria und Tschad sind außerdem Vorreiter einer internationalen Kampagne, um $ 50 Milliarden zu sammeln, damit der austrocknende See wieder gefüllt werden kann. 

Laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) ist der Tschadsee eine „ökologische Katastrophe“, die zu noch gravierenden Folgen führen wird, wenn man nicht angemessen damit umgeht. Das sind schlechte Nachrichten für die Nigerianer.


Damilola Oyedele ist leitende Korrespondentin der nigerianischen Zeitung Thisday. Sie lebt in Abuja, Nigeria.
damiski22@yahoo.com