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Globale Umwelt

„Wir schwimmen gegen die Flut“

Der Wissenschaftler Saleemul Huq aus Bangladesch verfolgt die internationalen Klimaverhandlungen von Anfang an. Ihm zufolge hat das multilaterale System versagt, aber er begrüßt die jüngste Entscheidung der Europäischen Invstitionsbank, aus fossiler Energie auszusteigen. In unserem Interview beurteilt er die Rolle der EU.
Klimademo in Frankfurt/Main im März 2019. Rumpenhorst/picture-alliance/dpa Klimademo in Frankfurt/Main im März 2019.

Inwiefern ist die EU in Klimaverhandlungen wichtig?
Sie ist sehr wichtig, denn sie will als Block wohlhabender Nationen noch etwas erreichen. Die USA sind unter Donald Trump aus dem Pariser Klima-Abkommen ausgestiegen. Seine Administration ist inzwischen wohl die korrupteste der Welt, die sich völlig an die Öl-, Gas- und Kohleindustrie verkauft. Regierungen anderer wichtiger Staaten –  Japan, Australien, sogar Kanada – haben zwar nicht angekündigt, das Pariser Abkommen aufzugeben, aber auch sie tun kaum etwas, um ihre seinerzeit gemachten Versprechen umzusetzen. Also ist die EU unter den reichen Staaten für die Entwicklungsländer der letzte verlässliche Partner. Ohne die proaktive Haltung der EU hätte es das Pariser Abkommen nicht einmal gegeben. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass die reichen Ländern viel mehr CO2 emittieren als die weniger entwickelten. Deshalb ist es gut, dass die EU als großer Staatenbund an den Zielen festhält.

Europäische Umweltaktivisten finden die eigenen Maßnahmen der EU aber nicht überzeugend.
Ja, und da ist auch etwas dran. Einerseits muss man anerkennen, dass Konsens in einer supranationalen Organisation mit so vielen Mitgliedsländern schwer zu erreichen ist. Aber es gibt auch verstörende Ambivalenzen. Deutschland zum Beispiel übernimmt gern die internationale Führungsrolle bei der Formulierung von Ambitionen, hinkt aber momentan den Zielen hinterher, die Ihre Bundesregierung aufgestellt hat. Hoffen wir, dass Deutschland sich beim Klimaschutz beeilt, statt einfach nur Ziele herunterzuschrauben. Die Ziele der internationalen Gemeinschaft müssen nämlich viel ehrgeiziger werden. Die Klimakrise eskaliert – und zwar viel schneller, als selbst die düstersten wissenschaftlichen Prognosen vorhersahen. Doch Politiker reagieren nicht auf die drohende Gefahr. Die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) ist gescheitert. Wir klopfen uns für ausgesprochene Ambitionen gegenseitig auf die Schulter, während Wetterextreme mit verheerenden Auswirkungen zunehmen – Waldbrände in Kalifornien, Dürre in der Sahelregion, verheerende Wirbelsturmbildung über allen drei Ozeanen. Das multinationale System funktioniert nicht.

Was sollte die EU aus Ihrer Sicht hier tun?
Ich bin an dem Punkt, wo ich von Regierungen nicht mehr viel erwarte. Was mir Hoffnung macht, sind die Energie und Dynamik der Protestbewegungen wie Fridays for Future oder  Extinction Rebellion. Die Jugend hat verstanden, dass ihre Zukunft gefährdet ist. Sie übernimmt die Führung. Die schwedische Teenagerin Greta Thunberg hat Millionen von  Gleichaltrigen inspiriert, sich für Klimaschutz zu engagieren. Diese internationale Bewegung startete in Schweden, breitete sich über Europa aus und mobilisiert inzwischen Jugendliche weltweit. Dieser Protest hat mehr Wucht, wenn er während des verbindlichen Pflichtunterrichts auf der Straße stattfindet und somit Regeln bricht. Das ist der Mut, den wir brauchen. Wir müssen global handeln, um dieses globale Problem anzugehen. Dafür brauchen wir globale Solidarität. Keine Nation ist dieser Herausforderung allein gewachsen. Da Regierungen meist auf die öffentliche Meinung reagieren, kann Protest etwas bewirken. Er kann Staaten vielleicht dazu bringen, effektiver zu kooperieren.

Ist es Zufall, dass sowohl die Schulstreiks als auch Extinction Rebellion in Europa begannen?
Nein. Die jungen Leute wollen, dass ihre Regierungen sich den Herausforderungen stellen und längst gemachte Versprechen erfüllen. Das ist in den USA, wo die junge Generation einen Green New Deal fordert, genauso. Aber es spielt eine Rolle, dass die internationale Medienberichterstattung von BBC, CNN und Deutscher Welle dominiert wird. Die Medienhäuser der reichen Nationen definieren, was weltweit als wichtig gilt. Sie interessieren sich oft nur dafür, was in ihren Regionen passiert. In Dhaka sind Teenager genauso beunruhigt über die globale Erwärmung wie in Europa, aber sie bekommen nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie Greta Thunberg in Stockholm. Die internationale Presse nimmt uns nur im Katastrophenfall wahr. Über unsere legitimen Forderungen berichtet sie nicht. Al Jazeera ist anders und hat andere Schlagzeilen. Gut ist aber, dass die Klimaproteste, die wir seit einem Jahr sehen, wirklich international sind.

Sie sagen, das multilaterale System funktioniere nicht. Wie bewerten Sie die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), zu denen sich auch die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet haben?
Ich halte sie für wertvoll. Sie sind nicht rechtlich bindend, aber sie lenken die Aufmerksamkeit politischer Entscheidungsträger auf wesentliche Belange. Unsere Premierministerin Sheikh Hasina Wajed verwendet sie als Maßstab. Sie unterstützt die UN-Agenda und wirbt international für das Wasser-SDG. Es ist enorm wichtig, dass die SDGs eine globale Agenda sind und nicht bloß eine, die Entwicklungsländer irgendwann einmal erfüllen müssen, wie das ärgerlicherweise bei den Millenniums-Entwicklungszielen war. Die SDGs erfordern globale Anstrengungen – und man kann gar nicht oft genug sagen, dass wir das brauchen. Wir schwimmen alle gegen die Flut, und wir müssen weitermachen. Vielleicht können wir noch etwas bewirken. In diesem Kontext sind die SDGs ein Hilfsmittel.

Nichtbindende Beschlüsse werden nicht ausreichen, um die Weltprobleme zu lösen. Wir brauchen verbindliche Verpflichtungen. Sehen Sie die EU als ein Modell für überstaatliche Politikgestaltung?
Soweit ich das beurteilen kann, kopieren regionale Staatenverbände den EU-Ansatz mit Blick auf Handel. Sie richten Freihandelszonen ein oder Zollunionen. Wie effektiv das ist, variiert von Region zu Region. Der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) ist dynamischer als die Südasiatische Vereinigung für regionale Kooperation (SAARC). Letztere wird vom permanenten Streit zwischen Indien und Pakistan blockiert. Aber auch ASEAN tut nichts gegen die menschenrechtswidrige Verfolgung der muslimischen Minderheit in Myanmar. Bangladesch wird mit der Versorgung der Flüchtlinge alleingelassen. Nein, ich sehe keine supranationale Politik nach dem Vorbild der EU.

Anders als andere regionale Verbände hat die EU starke gemeinsame Institutionen, wie eine Administration, einen Gerichtshof und ein Parlament. Die Mitgliedsländer teilen sich ihre Souveränität. Ist das wünschenswert?
Ich denke, ja. Ich habe mit meiner Familie zwei Jahrzehnte in Großbritannien gelebt, wir haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Die europäische Identität, die sich allmählich herausbildet, schätzen wir sehr. Sie ergänzt die nationale Identität vieler Menschen. Das Erasmus-Programm, das Studenten ein Semester lang an einer Hochschule eines anderen Mitgliedslandes studieren lässt, ist großartig. Mein Sohn war in Spanien. Bemerkenswert ist, dass viele Briten die europäische Identität nun plötzlich mehr schätzen als in der Vergangenheit. Vor dem Brexit-Referendum hat man die europäische Flagge kaum gesehen. Jetzt hissen die Remainer sie ständig. Der Brexit ist enorm zerstörerisch, und er hält Menschen davon ab, sich mit Wichtigerem auseinanderzusetzen – wie etwa der Klimakrise.

Die britische Regierung beteuert, sie werde Umweltstandards nicht absenken.
Das sagt sie, aber ihr Deregulierungsprogramm spricht eine andere Sprache. Die Brexit-Befürworter tun so, als würden die britischen Unternehmen im internationalen Wettbewerb stärker werden, wenn sie erst einmal tun und lassen dürfen, was sie wollen. Umweltgesetze begrenzen diese Freiheit. Weltweit leugnen Rechtspopulisten die Klimakrise, und das tun auch viele Brexit-Enthusiasten. Offensichtlich fördert das die einflussreiche Energie- und Brennstoffindustrie. Wir wissen heute, dass Wissenschaftler von Exxon in den 1980er Jahren schon ziemlich genau vorhergesagt haben, wie die Klimakrise sich entwickeln würde. Das Topmanagement muss also auch Bescheid gewusst haben. Trotzdem hat sich diese Branche bis heute immer gegen entschlossenen Klimaschutz gewehrt.   

Also bestimmen sie die Politik?
Nicht ganz – abgesehen von den Klimaprotesten gibt es einen zweiten Hoffnungsschimmer. Seit einiger Zeit ziehen sich Privatinvestoren aus der Kohleförderung zurück. Jetzt beginnt das auch im Öl- und Gassektor. Die Europäische Investitionsbank, eine wichtige EU-Einrichtung, hat sogar angekündigt, bis Ende 2021 ganz aus fossiler Energie auszusteigen. Auf solche Signale achten Privatanleger. Ich finde es bemerkenswert, dass heute nur noch Regierungen, die sich Sorgen um traditionelle Bergbauregionen machen, in die Kohleförderung investieren. Wer weiß, Massenproteste schaffen vielleicht doch eine öffentliche Meinung, damit auch das weltweit aufhört.  


Saleemul Huq ist Direktor des International Centre for Climate Change and Development (ICCCAD) an der Independent University, Bangladesch (IUB) in Dhaka. Er ist außerdem langjähriger Mitarbeiter des International Institute for Environment and Development in London.
 saleemul.huq@iied.org
http://www.icccad.net/

Die ursprüngliche Version dieses Interviews erschien auf Englisch am 15. November. Die letzte Antwort wurde aber am 19. November nochmal  aktualisiert, weil Saleemul Huq den Ausstieg der EIB aus fossiler Energie wichtig findet. 

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