Globale Erhitzung

Deutschlands Weg zur Klimaneutralität

Niemand weiß, wie die Bundestagswahl im September ausgehen wird, aber klar ist bereits, was die nächste Bundesregierung für den Klimaschutz tun muss. Das steht in einer wichtigen aktuellen Veröffentlichung.
Mit solarthermischen Anlagen kann auf klimafreundliche Weise Wasserstoff für den Weltmarkt erzeugt werden: die Anlage Noor III in Marokko entstand mit finanzieller Unterstützung von der KfW Entwicklungsbank. picture-alliance/photo shot Mit solarthermischen Anlagen kann auf klimafreundliche Weise Wasserstoff für den Weltmarkt erzeugt werden: die Anlage Noor III in Marokko entstand mit finanzieller Unterstützung von der KfW Entwicklungsbank.

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung, der die Bundesregierung berät, und die natio­nale Wissenschaftsakademie Leopoldina haben gemeinsam ausformuliert, wie Deutschland bis 2045 Klimaneutralität erreichen kann. Ihr gemeinsames Papier veröffentlichten sie Anfang Juni.

Die aktuelle Bundesregierung hat das Zieldatum 2045 kürzlich nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts um fünf Jahre vorgezogen. Leopoldina und Nachhaltigkeitsrat führen nun aus, was dafür nötig ist. Zentrale Einsichten sind, dass Zeit die knappste Ressource und systemisches Handeln nötig seien. Systemisches Handeln bedeutet dabei, dass alle Staatsebenen, alle Politikfelder, alle Wirtschaftszweige und andere gesellschaftliche Sektoren mitmachen müssen.

Der Publikation zufolge ist schnelle Dekarbonisierung möglich, sofern wichtige Entscheidungen schnell fallen. Die Zeit reiche beispielsweise nicht mehr für die Entwicklung komplett neuer Technologien, sodass die nötige Transformation mit bereits erprobten Mitteln erreicht werden müsse. Als erneuerbare Energiequellen kämen in Deutschland vor allem Windkraft und Fotovoltaik infrage. Wasserstoff könne zur Energiespeicherung erzeugt werden, sei aber nur „grün“, wenn dafür erneuerbare Quellen genutzt würden. Der Energiebedarf der deutschen Industrie sei indessen so groß, dass grüner Wasserstoff importiert werden müsse – was unter anderem Konsequenzen für die Außen-, Handels- und Entwicklungspolitik habe.

Die Autoren legen überzeugend dar, dass der Entscheidungsspielraum eng ist, wenn Klimaneutralität in 25 Jahren erreicht werden soll. Nötig sei eine Kreislaufwirtschaft, die auf Recycling und Wiederverwertung statt auf ständig wachsender Rohstoffausbeutung beruhe. Das erfordere staatliche Regulierungen in den Sektoren Abfall, Rohstoffhandel sowie Außenhandel. Auch bei Betriebsgenehmigungen und im Steuerrecht gebe es Handlungsbedarf, damit Firmen die richtigen Anreize bekämen. Bislang behandelte die Politik solche Themen zwar separat, künftig sei aber über konsistente Gesetzgebung auch deren kompetente Implementierung nötig. Obendrein werde neue Infrastruktur gebraucht, die zumindest teilweise von Behörden gebaut und instand gehalten werden müsse.

Wie Leopoldina und Nachhaltigkeitsrat ausführen, kann Regierungshandeln allein die erforderliche Transformation nicht herbeibringen. Es sei wichtig, die Bürger aktiv anzusprechen und sie als Pioniere des Wandels agieren zu lassen. Soziale Gerechtigkeit müsse gewahrt bleiben. Zugleich sei der European Green Deal konsequent in Deutschland umzusetzen.

Weitere wichtige Punkte sind:

  • Privatkapital müsse im großen Stil für Nachhaltigkeit mobilisiert werden,
  • die Hälfte der Industriebetriebe werde in den kommenden zehn Jahren erneuert, und das habe auf klimafreundliche Weise zu geschehen,
  • grundlegende Veränderungen seien in Verkehr, der Gebäudewirtschaft und der Landnutzung nötig.

Diese Agenda ist anspruchsvoll, wie die Autoren einräumen. Es handelt sich aber nicht um eine Wunschliste romantischer Naturschützer. Die nationale Wissenschaftsakademie und das Beratergremium der Bundesregierung halten sie für notwendig. Ihnen zufolge wären die Kosten des Nichthandelns allerdings viel größer. Nur wenn umweltfreundliche Geschäftschancen jetzt ergriffen würden, könne Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten werden.


Entwicklungspolitische Leitlinien

Überlegungen der Leitung des Deutschen Instituts Entwicklungspolitik (DIE) gehen in eine ähnliche Richtung. Die DIE-Direktorin Anna-Katharina Hornidge und ihre Stellvertreterin Imme Scholz haben im Mai auf der Website des Instituts Leitlinien formuliert. Die beiden Wissenschaftlerinnen begreifen Entwicklungspolitik dabei als „transformative Strukturpolitik für nachhaltige Entwicklung“. Im Zentrum stehe das Recht auf Selbstbestimmung jedes Menschen. Die Perspektive müsse zudem global sein, wobei Entwicklung nicht mit Wirtschaftswachstum verwechselt werden dürfe. Vielmehr gehe es um „eine ressort-, skalen- und sektorübergreifende Aufgabe binnen- und außenorientierter Politik.

Wesentlich sei zudem der Schutz globaler Gemeingüter, urteilen die beiden Autorinnen. Dafür müsse in planetaren Dimensionen gedacht, aber auch der Dialog mit lokalen Gemeinschaften gepflegt werden. Aus Sicht der DIE-Spitze muss die Entwicklungspolitik in die „Gestaltung multilateraler Normen und Regelwerke“ investieren und „die multilaterale Zusammenarbeit in ihren Mittelpunkt“ rücken.

Dass die beiden Positionspapiere sich inhaltlich ergänzen, ist kein Zufall. Sie beruhen auf wissenschaftlicher Erkenntnis. Dass Imme Scholz auch stellvertretende Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrats ist, spielt vermutlich auch eine Rolle. Mitglied des Beirats von E+Z/D+Z ist sie übrigens auch.  

 
Links

Rat für Nachhaltige Entwicklung und Leopoldina, 2021: Klimaneutralität – Optionen für eine ambitionierte Weichenstellung und Umsetzung.
https://www.nachhaltigkeitsrat.de/aktuelles/nachhaltigkeitsrat-und-leopoldina-fordern-schnelles-handeln-jetzt-die-weichen-fuer-klimaneutralitaet-stellen/

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Hornidge, A. K., und Scholz, I., 2021: Sieben Leitlinien für die deutsche Entwicklungspolitik.
https://www.die-gdi.de/die-aktuelle-kolumne/article/sieben-leitlinien-fuer-die-deutsche-entwicklungspolitik/


Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit /D+C Development and Cooperation.
euz.editor@dandc.eu