Religiöse Gemeinschaften
Familien helfen, der Armut zu entfliehen
Ein körniges Video aus dem Jahr 1957 zeigt, wie ein 20 Jahre alter Mann zu einem Thron geleitet, gekrönt und zum Leiter der Ismailiten gemacht wird. Das ist eine große Religionsgemeinschaft mit mehr als 20 Millionen Anhängern im schiitischen Islam. Der junge Mann bestieg den Thron als Prinz Karim al Husseini, worauf ihm der Hoheitstitel Aga Khan IV. verliehen wurde.
Er ist ein ungewöhnlicher Monarch, denn er beherrscht kein geografisches Gebiet. Sein privates Vermögen wird von Forbes heute auf rund 800 Millionen Dollar geschätzt. Der Aga Khan ist britischer Staatsbürger, hat einen südasiatischen Hintergrund und lebt in Frankreich. Im Jahr 1957 wurden ihm nicht nur ein Titel, sondern auch eine Menge Verantwortung und Aufgaben vererbt, die ursprünglich sein Großvater gestaltet hatte.
Heute ist der Einfluss seines Amts und seiner Arbeit in fast 30 Ländern in jedem Sektor der Gesellschaft zu spüren. Das Aga Khan Development Network (AKDN) und die Aga Khan Foundation (AKF) sind wichtige Institutionen, die sich schwer in einem Wort oder Satz zusammenfassen lassen. Weder Philanthropie noch Unternehmertum treffen es. Soziales Unternehmertum kommt der Sache am nächsten. Der Aga Khan selbst hält diese Beschreibungen für unzulänglich, da sie nicht die ganze Bandbreite abdecken.
Zur Mission des Aga Khan gehören das Errichten von Krankenhäusern und -stationen, Banken, Universitäten und Schulen sowie auch Programme in der Landwirtschaft, für Ernährungssicherheit, wirtschaftliche Inklusion, Mikrofinanzierung und Empowerment der Zivilgesellschaft. Sein Entwicklungsansatz ist multidimensional. Das AKDN ist beispielsweise ein wichtiger Anteilseigner der kenianischen Serena Hotels. Zudem hat der Aga Khan in Kenia die Nation Media Group gegründet, die unter anderem führende ostafrikanische Zeitungen wie The Daily Nation in Kenia und The Daily Monitor in Uganda herausgibt. Erst kürzlich hat er eine Schule für Journalismus in Kenia gegründet.
Laut Sam Pickens, einem Sprecher des AKDN, fasst folgendes Zitat die Motivation des Aga Khan prägnant zusammen: „Diese Arbeit ist für uns ein Teil unserer institutionellen Verantwortung – sie folgt aus dem Mandat des Imam-Amts. Es geht darum, die Qualität des weltlichen Lebens für die betroffenen Gemeinschaften zu verbessern.“ Der Aga Khan formulierte dies vor einem Jahrzehnt an der Evangelischen Akademie Tutzing, einer protestantischen Institution in Bayern, als diese ihm ihren Toleranzpreis verlieh. Er spricht und tritt nur selten öffentlich auf.
Qualität stand für den Aga Khan schon immer im Vordergrund. „Es ist leicht, durch den Bau von Klassenzimmern jeden in die Schule zu schicken; es ist deutlich schwerer, dafür zu sorgen, dass die Schüler mehr als nur halb gebildet sind“, sagte er kaum sechs Monate nach seiner Thronbesteigung. „Eine Schule mit schlecht ausgebildeten Lehrern ist wie ein Schuh ohne Sohle, und eine Schule mit qualifizierten Lehrern und unempfänglichen Schülern ist wie ein Schuh ohne Schnürsenkel. Beide sind defizitär.“ Von Beginn an stellte er heraus, dass „es weise wäre, mehr Zeit auf die Rekrutierung und Ausbildung von hochqualifiziertem Personal zu verwenden“.
Aga-Khan-Institutionen sind häufig in Ländern aktiv, in denen die Menschen sehr arm sind, wie etwa in Afghanistan, Bangladesch, Ägypten, Indien, Kenia, Kirgisistan, Madagaskar, Mali, Mosambik, Pakistan, Portugal, Russland, Syrien, Tadschikistan, Tansania oder Uganda. Laut Pickens ist Ziel der Stiftung, „die nötigen menschlichen, finanziellen und technischen Ressourcen zu bündeln, um die ärmsten und marginalisiertesten Gruppen in bestimmten Regionen zu unterstützen, insbesondere Frauen und Kinder, sodass sie Selbstständigkeit und eine bessere Lebensqualität erreichen“.
Pickens zufolge ist die AKF davon überzeugt, dass zuverlässige Krankenhäuser, Schulen, Gemeindezentren und eine erfolgreiche Wirtschaft die Eckpfeiler prosperierender Gemeinschaften sind. Gleichermaßen wichtig sind informierte und engagierte Menschen, die den Raum und die kollektive Macht haben, ihre eigene Zukunft zu gestalten. Fehlt eine solche Umgebung, dann verbleiben Familien „im Armutskreislauf, halten sich an begrenzten öffentlichen Dienstleistungen fest und sind abhängig von kurzlebiger Hilfe“. Pickens sagt, die Stiftung ist „entschlossen, Gemeinschaften dabei zu unterstützen, diesen Kreislauf zu durchbrechen“.
Agenda der Ermächtigung
Besonders interessant am Ansatz des Aga Khan ist der Fokus darauf, Menschen und Gemeinschaften selbst die Leitung der Programme übernehmen zu lassen. Vermutlich kann die Organisation deshalb nach eigenen Worten mit „einer kleinen Belegschaft, einigen Partneragenturen und tausenden Freiwilligen“ so viel erreichen.
Schwerpunkt der AKF ist die Stärkung von ländlicher Entwicklung, Gesundheit, Bildung und der Zivilgesellschaft. In Kenia, Uganda und Tansania fügt sich dies perfekt in eigene Visionen vom Kampf gegen Krankheit, Hunger und Analphabetismus aus der Unabhängigkeitsära ein. Die AKF springt teilweise dort ein, wo staatliche Institutionen die Menschen im Stich lassen oder ganz fehlen. Exklusion und Marginalisierung bleiben, nicht zuletzt aufgrund einer wachsenden Bevölkerung, ernstzunehmende Herausforderungen in Ostafrika.
Obwohl der Aga Khan ein religiöser Führer ist, fördert er einen säkularen Pluralismus. Das liegt vermutlich daran, dass die Ismailiten eine religiöse Minderheit sind, die zu häufig selbst verfolgt wurde. Er ist aber auch ein Geldgeber für muslimische Architektur.
Nicht alle Aktivitäten werden vom privaten Vermögen des Aga Khan finanziert. Ein großer Teil des Geldes wird durch die Unternehmen erwirtschaftet, an denen seine Gruppe beteiligt ist. Zudem kooperieren die AKF und das AKDN häufig mit anderen Entwicklungsorganisationen. Diese schätzen die gute Reputation des Aga Khan. Die AKF führt Fundraising-Kampagnen in Nordamerika und Europa durch und hat „Ressourcenmobilisierungsbüros“ in Kanada, Großbritannien und den USA.
Shafik Sachedina koordiniert die ismailitischen Institutionen im Auftrag des Aga Khan. Er sagt, sein Chef denke nicht in Zeiträumen von Tagen oder Monaten, sondern von Generationen. „Um einen Einfluss auf die Lebensqualität von Menschen zu haben, musst du bei der Sache bleiben, bis du dazu in der Lage bist, Armut und Zerfall zu beseitigen“, sagte Sachedina einmal einem Fernsehteam: „Es gibt keine rasche Lösung.“
Alphonce Shiundu ist ein kenianischer Journalist, Redakteur und Faktenchecker. Er studiert gerade als Chevening-Stipendiat Medien und Entwicklung an der University of Westminster in London.
shiunduonline@gmail.com