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Dezentralisierung

Das Geld der anderen

In radikaler Dezentralisierungspolitik gestand die indonesische Regierung 1999 den subnationalen Gebietskörperschaften weitgehende Autonomie zu. Zudem stellte sie beachtliche Finanzmittel zur Verfügung, deren Verwendung jedoch zu wünschen übrig lässt. Um Kommunal- und Distriktverwaltung stärkerer Rechenschaft zu unterwerfen, wird seit 2009 das Steuergesetz reformiert.


Von Tim Auracher und Budi Sitepu

Wegen ihres Tempos und Umfangs wird die Dezentralisierung Indonesiens seit 1999 auch „the big Bang“ – „der große Knall“ – genannt. Ende der 1990er Jahre traf die asiatische Finanzkrise Indonesien hart, Präsident Suhartos autoritäres Regime kollabierte. Die Nation drohte auseinanderzufallen, also musste die Regierung schnell und entschieden handeln. Sie entschied sich für ein ehrgeiziges Dezentralisierungsprogramm, das subnationalen Gliederungen weitgehende Autonomie zugestand. 2001 wurde ein neuer Finanzausgleich eingeführt, der hauptsächlich auf auflagenfreien Überweisungen basiert.

Indonesien hat zwei subnationale Regierungsebenen: die Provinzen (mittlere Ebene) sowie die Distrikte und Städte (Lokalebene). Derzeit gibt es 33 Provinzen, 398 Distrikte und 93 Städte. Alle werden von gewählten Regierungen geführt.

Beachtliche Überweisungen

Der „große Knall“ ging gut und ohne größere Störungen öffentlicher Dienstleistungen oder der Verwaltung vonstatten. Mehr als zwei Millionen Beamte, fast zwei Drittel des Personals der Zentralregierung, wurden 2001 an subnationale Ebenen transferiert. Die Ausgaben der Provinzen und Distrikte stiegen von 17 Prozent der Staatsausgaben im Jahr 2000 auf 30 Prozent in 2001. 2010 lag ihr Anteil bei 40 Prozent.

Kern der aktuellen Finanzarchitektur ist ein allgemeiner Finanzausgleich (Dana Allokasi Umum, kurz DAU). Dieses Geld wird ohne Auflagen an die Provinzen und lokalen Gebietskörperschaften überwiesen. Es soll sicherstellen, dass alle staatlichen Ebenen über angemessene und vergleichbare Kapazitäten verfügen. Das Gesetz schreibt vor, dass mindestens 26 Prozent des BIP durch den DAU an die mittlere und untere Ebenen fließen. Dieses System hat entscheidend dazu beigetragen, Finanzlücken in Indonesiens ärmeren Regionen zu schließen.

Indonesien ist von extremen Ungleichheiten charakterisiert. Einige Regionen ähneln Ländern mit mittlerem oder gar höherem Einkommen wider, andere hingegen sind sehr einkommensschwach. Riau und Ost-Kalimantan, zwei öl- und gasproduzierende Gebiete, haben ein 20 Mal höheres Pro-Kopf-Einkommen als Maluku oder Ost-Nusa Tenggara. Auch ­die Armutsquoten variieren beträchtlich. In einigen Kommunen (zum Beispiel Denpasar in Bali oder Bekasi in West-Java) leben weniger als drei Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze; in anderen (wie Manokwari in West Irian Jaya oder Puncak Jaya in Papua) liegt der Anteil bei über 50 Prozent.

Der DAU ist eine enorme Umverteilungsmaschine. Sein Nachteil ist, dass die Mittel nicht angemessen bewirtschaftet werden. Der Verwaltungsaufwand der subnationalen Ebenen ist immer weiter gestiegen, sodass ihnen weniger Geld für öffentliche Dienstleistungen bleibt. Gemessen an internationalen Standards ist der Verwaltungsaufwand zu hoch. Zudem werden Budgets schlecht gestaltet, und die Buchhaltung lässt zu wünschen übrig. Indonesiens Rechnungshof zufolge haben 2009 nur drei Prozent der Verwaltungen auf der mittleren und unteren Ebene korrekte Jahresabrechungen vorgelegt.

Ein Teil des Problems ist gewiss der Mangel an Fachkompetenz. Hinzu kommt die finanzielle Abhängigkeit von Überweisungen. Sie verringert die Qualität der Amtsführung, was Rechenschaftspflicht und Transparenz angeht. ­Dieses Phänomen ist weltweit bekannt. Gebietskörperschaften, die ihre eigenen Steuern erheben, sind zuverlässiger als solche, denen Geld einfach überwiesen wird. Das gilt besonders, wenn die Mittel ohne Auflagen fließen. Der Grund ist klar: Es ist einfacher, das Geld anderer auszugeben, als selbst Einkommen zu erwirtschaften.

In Indonesien liegt der Anteil lokal generierter Einnahmen unter zehn Prozent der gesamten Staatseinnahmen. Das zeigt, dass das Steuersystem immer noch stark zentralisiert ist. Aber das ist nicht die einzige Herausforderung. Die Distrikte und Kommunen müssen mehr dezentralisierte Regierungsfunktionen übernehmen als die Provinzen. Der Anteil der Staatseinnahmen der Distrikte und Städte liegt aber unter drei Prozent. Die Provinzen erheben dagegen rund sechs Prozent – sie finanzieren grob die Hälfte ihrer Ausgaben durch eigene Einnahmen. Auf lokaler Ebene liegt dieser Anteil nur bei rund einem Zehntel.

Auf den ersten Blick überraschen die Zahlen. Indonesien hat den subnationalen Verwaltungen eigentlich beachtliche Freiheit gewährt, um selbst Einnahmen zu generieren. Gesetz 34/2000 behandelt lokale Steuern und Servicegebühren. Es legt nicht nur bestimmte Steuern und Gebühren fest, die subnationale Regierungen erheben können, sondern erlaubt auch die Einführung neuer Steuern und Gebühren – vorausgesetzt, sie widersprechen nicht Gesetzen und Bestimmungen auf höherer Ebene oder dem öffentlichen Interesse. Von den Gebietskörperschaften wurde erwartet, dass sie diese Chancen nutzen und sich vom nationalen Budget unabhängiger machen. Und tatsächlich taten viele Provinzen, Distrikte und Städte neue Einkommensmöglichkeiten auf. Zwischen 2000 und 2005 erließen sie etwa 6000 Satzungen zu Steuern und Gebühren. Das schlug sich aber kaum in ihren Einnahmen wider. Die Vorschriften sind so kompliziert, dass sie das Geschäftsklima beeinträchtigen und obendrein Verwaltungskosten verursachen, die mehr als die Hälfte der zusätzlichen Mittel wieder aufzehren.

Der Hauptgrund für diesen bedauerlichen Trend ist, dass die nationale Politik lange keine grundlegenden Steuern dezentralisiert hatte. Die vielen Satzungen schufen nur lästige Steuern und Gebühren: Abgaben auf Elektrizität, Hotels und Restaurants machen etwa 75 Prozent aller solcher Einkünfte auf der kommunalen Ebene aus. Gebühren für Gesundheitsdienstleistungen, Baugenehmigungen und öffentliche Anleihen summieren sich auf Drittel der Gebühreneinnahmen. Alle anderen subnationalen Steuern oder Gebühren bringen kaum etwas ein.

Wichtige Veränderungen

2009 hat die indonesische Regierung begonnen, dieses System zu reformieren. Die Revision des Gesetzes für subnationale Steuern und Gebühren hat zweierlei Veränderungen bewirkt, um die Probleme in den Griff zu bekommen:
– Das neue Gesetz (28/2009) bestimmt Steuern und Gebühren, die subnationale Gebietskörperschaften erheben dürfen, und verbietet andere Einkommensquellen. Diese „geschlossene Liste“ soll verhindern, dass immer neue Steuern und Gebühren hinzukommen, wie es im letzten Jahrzehnt der Fall war.
– Das neue Gesetz überträgt zudem Grund- und Grunderwerbsteuern auf die Distrikt- und Kommunalebene. Das ist international übliche Praxis. Diese Steuern wurden in vielen Ländern ­dezentralisiert und generieren beachtliche Einnahmen.

Das Gesetz wurde 2009 erlassen und trat im Januar 2010 in Kraft. Bis heute ist es aber noch nicht im vollen Umfang gültig. Es wird die lokalen Regierungen noch einige Zeit kosten, die rechtliche Basis vorzubereiten und die nötigen Verfahren zu etablieren. Diese Veränderungen sind große Herausforderungen. Das neue Gesetz dürte zudem die Zentralregierung überfordern, denn trotz der „geschlossenen Liste“ ist es subnationalen Autoritäten weiterhin erlaubt, einige neue Gebühren einzuführen. Solche Maßnahmen müssen strenge Auflagen erfüllen und bedürfen der Zustimmung der Zentralregierung. Dementsprechend steigt selbstverständlich deren Arbeitslast. Es ist zudem nicht einfach, zu überwachen, dass die Gebietskörperschaften wirklich aufhören, Steuern und Gebühren zu erheben, die zwar dem alten Recht entsprachen, aber nicht mit dem neuen Gesetz konform sind.

Spätestens von 2014 an sind Indonesiens Distrikte und Städte für ein Eintreibung der Grund- und Grunderwerbsteuern zuständig. Große Kommunen wie Jakarta oder Surabaya sind der Aufgabe wahrscheinlich gewachsen, aber für ärmere Kommunen bedeutet die Reform eine enorme Herausforderung. In der Übergangszeit haben sie die Gelegenheit, die Kapazitäten zu aufzubauen, die sie brauchen, um auch komplexere Steuern zu verwalten.

Mehr Verantwortung

Bisher wurden Grundsteuern als „geteilte Einnahmen“ verwaltet. Das heißt, die nationalstaatliche Verwaltung trieb die Steuer ein, überwies aber 91 Prozent des Aufkommens wieder dorthin zurück, wo das Geld herkam. Die übrigen neun Prozent sollten die Verwaltungskosten decken. Da der Großteil des Geldes immer an die Distrikte und Städte ging, könnte man sich fragen, ob sich durch die Reform überhaupt etwas ändert. Solche Zweifel sind jedoch unbegründet, denn es gibt einen großen Unterschied: Distrikte und Städte sind jetzt selbst dafür verantwortlich, die Tarife festzulegen und die Grundstücke zu besteuern.

Die Reform erhöht also die Verantwortlichkeit der ­lokalen Verwaltungen. Die Steuerzahler wissen, wer verantwortlich ist und sehen, was mit ihrem Geld passiert. Distrikte und Städte hängen nicht länger von Summen ab, die anonym von der nationalen Finanzbehörde überwiesen werden. Stattdessen werden sie rechenschaftspflichtig gegenüber den Menschen, ­deren Geld sie ausgeben.