Kastenbasierte Diskriminierung

Nepal muss benachteiligte Gemeinschaften besser schützen

Die Dalits, früher die „Unberührbaren”, sind in Nepal weitverbreiteter Diskriminierung ausgesetzt und erfahren oft Gewalt durch Menschen aus höheren Kasten. Die Regierung sollte ihre Pflichten aus nationalen Gesetzen und internationalen Verträgen wahrnehmen und die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft schützen.
Polizisten blockieren im Mai 2020 eine Kundgebung von Dalits während des Corona-Lockdowns in Kathmandu. Rojan Shrestha/picture-alliance/NurPhoto Polizisten blockieren im Mai 2020 eine Kundgebung von Dalits während des Corona-Lockdowns in Kathmandu.

Für ein mit 29 Millionen Menschen eher kleines Land ist Nepal ethnisch und sozial enorm vielfältig. Nach der letzten Volkszählung von 2011 hat es offiziell 126 ethnische Gruppen und soziale Kasten.

Im hinduistischen Kastensystem Nepals gibt es vier große soziale Schichten. Die Brahmanen stehen an oberster Stelle, die Sudra – auch Dalits oder Unberührbare genannt – ganz unten. Unabhängig davon besteht mehr als ein Drittel der Bevölkerung aus indigenen Völkern – Adibasi Janajatis –, zu denen 63 Ethnien gehören. Über die Jahrhunderte wurden nichthinduistische Indigene ins hinduistische Kastensystem aufgenommen, übernahmen aber nicht alle Praktiken. In Indien sieht es ähnlich aus.

Ethnische und kulturelle Vielfalt kann eine Stärke für ein Land sein – aber auch eine große Schwachstelle, sofern es Diskriminierung und Gewalt zwischen den Gruppen gibt. Leider fördert das nepalesische Kastensystem beides, insbesondere gegen Dalits.

Nepals erstes geschriebenes Gesetz, das Muluki Ain, trat 1854 in Kraft und basierte auf dem Kastensystem. Das neue Muluki Ain von 1963 verwendete eine kastenneutralere Sprache und erklärte manche Formen der Diskriminierung für unrechtmäßig. Außerdem hat Nepal die UN-Rassendiskriminierungskonvention verabschiedet, die 1969 in Kraft getreten ist. Damit hat sich das Land verpflichtet, kastenbasierte Diskriminierung zu beenden und gleiches Recht und Würde für alle zu garantieren.

Zudem verabschiedete Nepals Parlament im Mai 2011 das Kastenbasierte Diskriminierungs- und Unberührbarkeitsgesetz. Dieses verbietet explizit Diskriminierung aufgrund von Brauchtum, Tradition, Religion, Kultur, Ritualen, Herkunft, Kaste, Rasse, Abstammung, Beschäftigung oder Geschäftstätigkeit. Wie auch Bestimmungen des Zivil- und Strafgesetzbuches des Landes von 2017 verhängt es Strafen gegen kastenbasierte Diskriminierung. Auch die Verfassung von 2015 gewährt den Dalits grundlegende Rechte.

In der Realität halten kastenbasierte Diskriminierung und Gewalt jedoch an. Ein jahrhundertealtes Kastenbewusstsein bestimmt weiter Identität und Sozialstatus und durchdringt alle Bereiche der Gesellschaft. Selbst Amtsträger und gebildete Menschen halten an Vorurteilen fest und diskriminieren andere Kasten.


Ausgrenzung und Gewalt

Am stärksten werden die Dalits diskriminiert – eine Kategorie, zu der etwa 20 verschiedene Gruppen zählen. Dalits machen laut Volkszählung von 2011 etwa 13,6 Prozent der Bevölkerung Nepals aus, das sind rund 3,6 Millionen Menschen. Die Idee der „Unberührbarkeit“ kam vor Jahrhunderten auf, als privilegierte Schichten begannen, Ureinwohner mit „unsicheren Einkünften” als unrein zu betrachten.

Daraus entwickelte sich allgemeine Ächtung. Heute erleben Dalits physischen und psychischen Missbrauch in fast allen Lebensbereichen. Sie erleiden Armut, Landlosigkeit, Ausgrenzung und Diskriminierung im öffentlichen und privaten Leben. Sie dürfen keine Gebetsstätten betreten, die sogenannten oberen Kasten akzeptieren kein Essen und kein Wasser, das Dalits berührt oder ihnen gereicht haben. Medizinisch ausgebildete Dalits bekommen schwer Jobs. Kastenübergreifende Ehen mit Dalits werden vehement abgelehnt.

Dalits werden oft angegriffen oder getötet. Besonders Dalit-Frauen sind gefährdet und oft Opfer von Menschenhandel und Sexsklaverei. 2007 kamen etwa 400 Dalit-Frauen von der Badi-Community in die Hauptstadt Kathmandu, um gegen die weitverbreitete Praxis zu demonstrieren, Mädchen aus ihrer Gemeinschaft zur Prostitution zu zwingen. Sie forderten auch bessere Wohngelegenheiten, Farmland und kostenlose Bildung für ihre Kinder. Ihre Bitten blieben unerhört.

Bis heute erfahren Dalits Diskriminierung und Gewalt. Die Ermordung von sechs jungen Dalits im Mai 2020 in Nepals Mittlerem Westen – deutlicher Ausdruck von Kastenhass – fand weltweite Beachtung. Der 21-jährige Nawaraj Bishwakarama und fünf seiner Freunde wurden getötet, als sie versuchten, Bishwakaramas 17-jährige Freundin aus einer höheren Kaste aus seinem Dorf in ihres zu bringen. Die Eltern des Mädchens lehnten eine Heirat ab, daher wollten die beiden sich absetzen. Berichten nach griffen Familie und Nachbarn des Mädchens die jungen Männer an und töteten sie.

Am selben Tag fand man in Westnepal das 13-jährige Dalit-Mädchen Angira Pasi an einem Baum erhängt auf. Tags zuvor soll der 25-jährige Birendra Bhar sie vergewaltigt haben. Statt das der Polizei zu melden, entschieden Anwohner und Gemeindevertreter, das Mädchen mit Bhar zu verheiraten. Da eine Vergewaltigung ein Stigma ist, stimmte Angiras Mutter dem Arrangement zu und schickte sie zu Bhars Familie.

Statt das Mädchen einzulassen, schlug Bhars Mutter es jedoch. Als es später tot aufgefunden wurde, wollte die Polizei Bhar zunächst nicht verklagen – erst nach öffentlichen Protesten gab sie nach.

Leider sind solche Ereignisse nicht selten. Im September 2020 wurde eine 12-jährige Dalit vergewaltigt und umgebracht. Im Juni 2018 wurde eine 21-jährige Dalit-Aktivistin von einer Gruppe vergewaltigt und ermordet. Ebenfalls 2018 wurde die Bezirksvertreterin Mana Sarki in ihrer Wohnung erschlagen. 2016 wurde der 18-jährige Ajit Mijar getötet, weil er ein Mädchen aus einer sogenannten höheren Kaste geheiratet hatte.

Seit 2011 wurden Medienberichten zufolge mehr als zwei Dutzend Dalits umgebracht, weil sie sich nicht an die Kastennormen gehalten hatten – oft durch kastenübergreifende Eheschließung. In nur einem Jahr registrierten Polizeibeamte 30 Verbrechen im Zusammenhang mit der Unberührbarkeit.


Verweigertes Recht

Diese Zahlen sind die Spitze des Eisbergs. Viele Vorfälle werden nicht gemeldet, weil sich die Dalits vor Repressalien fürchten und davor, selbst von den eigenen Leuten gemieden zu werden. Ein Schleier des Schweigens verdeckt die systematische Verweigerung von Rechten der zu Opfern gewordenen Dalits und ihrer Familien. Der Polizei wird unterstellt, sich bisweilen blind zu stellen, wenn es um Verbrechen gegen Dalits geht.

Der UN-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Discrimination – CERD) – eine Expertengruppe, die überwacht, wie die Mitgliedstaaten die UN-Rassendiskriminierungskonvention umsetzen – äußerte wiederholt Sorgen bezüglich kastenbasierter Diskriminierung in Nepal. Im Mai 2018 kritisierte er Nepal für die schlechte Umsetzung seiner Antidiskriminierungsgesetze. Laut dem Ausschuss werden Dalits weiter ausgeschlossen von Gebetsstätten, öffentlichen Räumen, öffentlicher Wasser- und Lebensmittelversorgung, Bildungseinrichtungen und Wohngebieten, in denen Angehörige anderer Kasten leben.

Der CERD forderte Nepal auf, sicherzustellen, dass die Polizei alle Beschwerden über rassistisch motivierte Diskriminierung erfasst. Die Fälle müssen gründlich untersucht, strafrechtlich verfolgt und sanktioniert werden. Auch forderten die UN-Experten, Nepal solle für eine angemessene Entschädigung der Opfer sorgen. Leider hat Nepal diesbezüglich kaum Fortschritte gemacht. Die Regierung versagt in ihrer Pflicht, Dalits zu schützen und die Verantwortlichkeit für kastenbasierte Verbrechen zu übernehmen. Dadurch erleben die Täter Straffreiheit, und die Dalits bleiben Diskriminierung und Gewalt weiterhin ausgesetzt.

Im Januar 2021 machte der UN-Menschenrechtsrat im Rahmen seiner regelmäßigen Überprüfung Vorschläge. Was daraus wird, bleibt abzuwarten. Gesellschaftliche Einstellungen ändern sich in der Regel langsamer, als neue Rechtsprinzipien in Kraft treten.


Rukamanee Maharjan ist Juradozentin an der Tribhuvan-Universität in Kathmandu.
rukamanee.maharjan@nlc.tu.edu.np