EU-Fleischexporte
Hohe entwicklungspolitische Kosten
Die Agrarpolitik der EU steckt in einem Dilemma: Die Intensivierung in der Massentierhaltung ist nur noch mit negativen Begleiterscheinungen profitabel aufrechtzuerhalten. Diese sind nicht artgerechte Haltung und Fütterung der Tiere, Nitratbelastung des Grundwassers durch Gülle, antibiotikaresistente Keimentwicklung, Lohndumping in den Schlachtereien und Fleischskandale.
Außerdem wird Soja billigst in Südamerika angebaut und dann als Kraftfutter im großen Stil in die EU importiert. Die Gewinnung neuer großer Ackerflächen führt zur Vernichtung des Regenwaldes und zu Landvertreibung der einheimischen Bevölkerung. Die Böden werden durch den Einsatz von genveränderten Sorten und ihrer Abhängigkeit von entsprechenden Pestiziden wie Glyphosat ausgelaugt.
Die Massentierhaltung führt auch zu einer Überproduktion, weshalb die deutsche Agrarwirtschaft inzwischen bereits jeden vierten Euro mit dem Export verdient. Der EU-Binnenmarkt ist zwar noch immer der wichtigste Markt, dieser dürfte aber bald für tierische Produkte gesättigt sein. Die Märkte in Osteuropa sind rückläufig, und so erschloss die Branche binnen weniger Jahre neue Märkte in Afrika. Auf dem Kontinent – besonders in Benin und Südafrika – entstand der größte Wachstumsmarkt für EU-Fleischteile. 2014 wurden schon fast 300 000 Tonnen Hähnchenteile in diese zwei afrikanischen Länder exportiert.
Es wäre zu einfach, einzig die EU für die entwicklungspolitischen Folgen der globalen Fleischrochade verantwortlich zu machen. Denn inzwischen wird das intensive Tierhaltungsmodell nur allzu gerne in Schwellenländern kopiert. Brasilien ist in nur wenigen Jahren zu einem der größten Fleischexporteure aufgestiegen. Es hätte wohl auch schon längst den EU-Markt für Hähnchen- und Schweinefleisch erobert, wenn nicht Zollschranken und hohe EU-Schlachthofauflagen den Wettbewerb für brasilianische Betriebe verhindern würden.
Europäische Tierhalter hätten bei freien Märkten keine Chance, denn in Brasilien oder den USA gelten geringere Umweltauflagen für Mastanlagen in entlegenen Lagen. Zudem gibt es Stallanlagen in Größenordnungen, die in Deutschland nicht genehmigungsfähig wären. Brasilien konkurriert inzwischen mit den USA auf Drittmärkten, den Hauptimportmärkten auch für EU-Hähnchen- und -Schweinefleisch: Saudi-Arabien (nur Hähnchen), Ukraine, China, Afrika und bis vor kurzem Russland.
Auf diesen Märkten (mit Ausnahme Südafrikas) war die EU-Fleischwirtschaft seit dem Exportbeginn Ende der 1990er-Jahre nur konkurrenzfähig, weil sie Subventionen von bis zu 30 Cent das Kilo zahlte. Diese Exporterstattungen sind heute nicht mehr notwendig. Die Ausweitung der Massentierhaltung in der EU hat zu einer Kostenreduzierung geführt, die die Subventionen überflüssig machte. Die EU kann preislich mit den USA, Brasilien und Thailand mithalten.
Beispiel Nigeria
Die Bauern in der EU wehren sich, als Umweltverschmutzer oder Tierquäler abgestempelt zu werden. Sie fühlen sich in die beschriebenen Haltungsmethoden hineingezwängt, um wirtschaftlich zu überleben. Noch sind in Europa viele Bauernhöfe Familienbetriebe. Das sieht in den USA und in China anders aus, wo Höfe schon mal mehrere Millionen Küken mästen oder hunderttausende Ferkel. Der Weg geht auch in Europa dorthin, wie man an den Anträgen für Großmastanlagen in Ostdeutschland oder in Osteuropa feststellt. Auch in den aufstrebenden afrikanischen Staaten, allen voran Nigeria, geben sich Vertreter von EU- und US-Schlachthäusern die Klinke in die Hand, um auch dort eine intensive Tierhaltung aufzubauen. Ein Markt mit bald 200 Millionen Kunden lockt. Die Unternehmer erwarten, dass der neue Wohlstand der Mittelschichten, wie in Asien auch, zu einem höheren Fleischverbrauch führt.
Noch hindert die Investoren aber die eigene Gier. Es gibt zwar ein Importverbot für Fleisch, das der ehemalige nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo – bis heute einer der größten Geflügelmäster im Lande – erlassen hatte. Trotzdem werden nigerianische Märkte illegal von gesundheitlich bedenklichem Billigfleisch aus der EU überflutet. Nigerias kleines Nachbarland Benin importiert jährlich über 150 Millionen Kilogramm Hähnchenteile aus EU-Ländern. Damit liegt es von den Importmengen her noch vor Russland, der Ukraine und Saudi-Arabien. Fast 90 Prozent dieses Fleisches werden auf abenteuerlichen Schmuggelpfaden in Bussen mit Klimaanlagen auf Märkte in Nigeria gebracht. Dort werden die Hühnerteile so billig verkauft, dass die einheimische Geflügelwirtschaft – selbst mit Unterstützung von EU-Investoren – damit kaum konkurrieren kann. Selbst der Aufbau einer Massentierhaltung, die Kleinproduzenten in Nigeria sicher nicht wollen, wird so von der EU-Überproduktion verhindert.
Das ist genauso in Südafrika der Fall. Trotz industrialisierter Tierhaltung schafft es das Land nicht, den steigenden Konsum allein zu decken. Erst überschwemmten Brasilien und die USA den Markt mit Billigimporten, dann die EU. Versuche der südafrikanischen Regierung, die ausländischen Importe mit Anti-Dumping-Maßnahmen einzudämmen, konnten EU und USA durch politischen Druck abwenden. Die südafrikanische Geflügelindustrie hat wie überall in Afrika mit hohen Futtermittelpreisen zu kämpfen, die bis zu 75 Prozent der Gesamtkosten in der Mast betragen können. Mais ist in Afrika eben auch ein Nahrungsmittel für die Bevölkerung. Die Steigerung der Hähnchenimporte nach Südafrika hat zu massiven Arbeitsplatzverlusten in den dortigen Schlachtereien und Tierfarmen geführt. Die zuständige Gewerkschaft befürchtet einen Abbau von fast 100 000 Arbeitsplätzen.
Hoffnung auf Indien
Nun hofft die Fleisch- und Milchbranche in der EU auf eine Öffnung des indischen Marktes mit einem Freihandelsabkommen. Bisher haben vor allem die starken Verbände der Kleinbauern und viele Nichtregierungsorganisationen in Indien verhindert, dass die EU auf die indischen Agrarmärkte vordringen konnte.
In Indien ist Geflügel wegen der religiösen Ablehnung von Rind- und Schweinefleisch die beliebteste Fleischart. Neben der Hinterhof- und Kleinhaltung existieren schon große Hähnchenmastanlagen. Aber bevor es so weit ist, dass Indien sich selbst versorgt, könnte es der EU gelingen, mit ihren Milch- und Fleischüberschüssen diesen letzten großen Markt zu bedienen. Wenn Indiens Regierung wirklich langfristig auf Milch- und Fleischimporte setzt, werden erst einmal vor allem die kleinbäuerlichen Betriebe besonders im Milchsektor verdrängt. Pikanterweise war es die EU, die vor 20 Jahren mithalf, überhaupt eine erfolgreiche kleinbäuerliche Milchwirtschaft in Indien aufzubauen. Nach einer Marktöffnung durch ein Freihandelsabkommen würde eines der wenigen Entwicklungsprojekte, das auf Tierhaltung gesetzt hat, stark gefährdet.
Ansonsten fristet Tierhaltung in der deutschen Entwicklungspolitik ein Mauerblümchendasein. Bis auf Kleinprojekte oder die Begleitung von Hirten gibt es weder in der EU noch bei anderen Gebern oder der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO viele Ansätze, in größerem Maße eine Milch- oder Fleischwirtschaft aufzubauen. Die Regierungen in den Partnerländern haben aber auch kaum nach Unterstützung für Tierhaltungsprogramme gefragt. Das ist schwer verständlich, denn Länder wie Indien, Kenia oder Sambia konnten dem wachsenden Milchkonsum im Land mit dem Aufbau einer eigenen lokalen Milchwirtschaft begegnen. Hier kann die Politik zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie kann den Eiweißmangel der armen Bevölkerung reduzieren und kleinbäuerlichen Produzenten eine zusätzliche Einnahmequelle erschließen.
Ein kleines Hoffnungszeichen setzt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit der Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ (SEWOH). Diese zielt darauf ab, Hunger und Mangelernährung in Entwicklungsländern zu bekämpfen. In einigen Ländern soll in sogenannten Grünen Innovationszentren kleinbäuerlichen Betrieben auch Wissen über Milchvieh- und Kleintierhaltung vermittelt werden. Würden zumindest in Afrika nicht immer mehr Hähnchenschenkel aus der EU-, US- und brasilianischen Massentierhaltung landen, hätten die Kleinmäster auch eine Chance, eigene Lösungen zu entwickeln. Im Sinne einer nachhaltigen Armutsbekämpfung wäre es kontraproduktiv, wenn sich in Entwicklungsländern nur Großstrukturen in der Tierhaltung durchsetzen würden.
Francisco J. Marí ist Referent für Agrarhandel und Fischerei bei Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst. francisco.mari@brot-fuer-die-welt.de