Rohingya

Nächste Flüchtlingswelle droht

Im Mai sorgte eine Flüchtlingskrise in Südostasien international für Schlagzeilen. Seitdem gab es mehrere hochrangige Treffen, und die Regierungen der Region versprachen, sich des Problems anzunehmen. Seither haben sich aber weder die Situation der Rohingya in Myanmar noch die Antworten darauf verbessert, wie ein kürzlich erschienener Bericht darlegt. Er prophezeit: „Die nächste Flüchtlingswelle kommt.“
Verdächtige, die in Menschenhandel mit Rohingya verwickelt sein sollen, kommen am 10. November am Strafgericht in Bangkok an. Mehr als 150 Beamte sollen zu dem Menschenschmugglerring gehören. picture-alliance/dpa Verdächtige, die in Menschenhandel mit Rohingya verwickelt sein sollen, kommen am 10. November am Strafgericht in Bangkok an. Mehr als 150 Beamte sollen zu dem Menschenschmugglerring gehören.

In Myanmar herrscht Aufbruchstimmung. Ein Regierungswechsel steht bevor, und die Menschen träumen von einer neuen Ära, die von Demokratie und politischer Freiheit geprägt ist. Die meisten Rohingya dagegen denken an einen ganz anderen Aufbruch: den in eine neue Heimat. Der gefährliche Monsun ist vorüber, das Meer ruhig genug, um die Flucht zu wagen. In den kommenden Monaten werden vermutlich wieder tausende Mitglieder der meistverfolgten Minderheit Myanmars versuchen, ihrer hoffnungslosen Zukunft im eigenen Land zu entkommen.

Der überwältigende Sieg der oppositionellen National League for Democracy (NLD) wird für die muslimische Minderheit, die hauptsächlich im westlichen Bundesstaat Rakhine an der Grenze zu Bangladesch lebt, voraussichtlich keine grundlegende Verbesserung bringen. NLD-Parteichefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat sich vor den historischen Wahlen im November nicht für die Rohingya eingesetzt, und Beobachter bezweifeln, dass sie ihre Haltung jetzt ändert. Das Thema könnte ihre enorme Popularität gefährden.

Antimuslimische Tendenzen sind in dem überwiegend buddhistischen Land sehr stark. Die Mehrheitsgesellschaft betrachtet die Rohingya als illegale Einwanderer aus Bangladesch. Dementsprechend nennt sie sie „Bengali“. In der Volkszählung von 2014 mussten Rohingya sich als „Bengali“ registrieren. Viele boykottierten deshalb den Zensus. Die Regierung verwehrt den Rohingya außerdem die Staatsbürgerschaft und schloss sie weitgehend von den Wahlen aus – wohingegen sie 2010 noch mit speziellen Dokumenten an den damaligen Wahlen teilnehmen konnten. Diesmal ließ die Wahlkommission keinen einzigen Rohingya-Kandidaten zu.


Politisch ausgeschlossen

Die Wahl war symptomatisch für den politischen Ausschluss, die Diskriminierung und Marginalisierung, die rund eine Million Rohingya in Myanmar betreffen. Die Menschenrechtsgruppe ASEAN Parliamentarians for Human Rights (APHR), die aus Parlamentariern und anderen einflussreichen Personen besteht, warnt in einem kürzlich veröffentlichten Bericht vor einer großen Krise. Die Region steuere auf eine Katastrophe zu, auf die die ASEAN-Führer (kurz für Association of Southeast Asian Nations – Verband Südostasiatischer Nationen) vollkommen unvorbereitet seien.

Bereits seit sechs Jahrzehnten werden die Rohingya systematisch verfolgt und verlassen das Land. Hunderttausende Rohingya leben im Exil, viele von ihnen in Flüchtlingslagern. 2012 verschlechterte sich die Lage in Rakhine. Rund 140 000 Menschen, die meisten von ihnen Rohingya, wurden gewaltsam vertrieben. Sie leben nun unter unmenschlichen Bedingungen in Lagern für Binnenflüchtlinge (IDPs – internally displaced persons).

APHR hat Menschenrechtsverletzungen wie Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und Nichtgewährung von humanitärer Hilfe festgestellt. IDPs haben nur sehr eingeschränkten Zugang zu Schulen, medizinischer Versorgung und Arbeitsplätzen. Sie können ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten. Manche Familien hungern sogar, weil sie nicht beim Welternährungsprogramm registriert sind und somit keine Nahrungsmittelhilfen bekommen, oder weil die Hilfspakete nicht rechtzeitig eintreffen.

Der Bericht weist auf schwere Menschenrechtsverstöße in Rakhine hin. Dazu gehören außergerichtliche Tötungen, willkürliche Festnahmen, sexuelle Gewalt, Erpressung sowie die Beschlagnahmung von Land und erzwungene Umsiedlungen.


Keine Zukunft in Myanmar

Unter diesen Umständen sehen die Rohingya keine Zukunft in Myanmar. Aus Verzweiflung verlassen sie das Land, wohlwissentlich, dass ihnen Tod und Sklaverei drohen. Auch in anderen Ländern leben sie oft ohne Papiere, sind arbeitslos und von staatlicher oder internationaler Hilfe abhängig. Trotzdem haben sich IDPs den APHR-Autoren gegenüber überzeugt gezeigt, dass sich ihre Lebensumstände verbessern werden, „wenn sie die Reise nach Thailand, Malaysia oder Indonesien überleben“.

Im Mai zogen die Rohingya internationale Aufmerksamkeit auf sich, nachdem fast 4000 Flüchtlinge – von ihren Schleppern im Stich gelassen – hilflos auf Booten in der Andamanensee trieben. Auf starken internationalen Druck hin nahmen Indonesien und Malaysia schließlich einen Teil der Flüchtlinge vorrübergehend als Asylsuchende auf. Diese leben nun in Lagern, zum Teil von ihren Familien getrennt. Medienberichten zufolge sind mittlerweile einige von ihnen aus den Lagern geflüchtet, möglicherweise mithilfe von Schleppern.

Obwohl seit dieser Tragödie mehrere hochrangige internationale Treffen stattgefunden haben, haben sich weder die Situation in Myanmar noch die Reaktion der ASEAN-Länder verbessert. Der Bericht hält fest, dass die Regierungen der Region bisher keinerlei ernsthafte Anstrengungen unternommen hätten, um den nächsten großen Exodus zu verhindern oder sich darauf vorzubereiten.

Die APHR-Autoren rufen die ASEAN-Mitgliedsstaaten dazu auf, Druck auf die Regierung Myanmars auszuüben, die Menschenrechtsverletzungen gegen die Rohingy zu beenden. Ihrer Ansicht nach ist das im ASEAN-Verband geltende Prinzip der Nichteinmischung in diesem Falle unangemessen. Außerdem müssten die südostasiatischen Länder sich auf weitere Flüchtlinge einstellen und sicherstellen, dass sie Asyl beantragen können. Schließlich spricht APHR sich für eine verbindliche ASEAN-Flüchtlingskonvention aus.

Die größte Verantwortung trägt selbstverständlich die Regierung Myanmars. Von ihr verlangen die Autoren unter anderem, dass sie die Sicherheit der Rohingya gewährleisten, die Misshandlungen beenden und ein Verfahren in die Wege leiten, das zur Staatsbürgerschaft führt. Für die neue NLD-Regierung würde die Anerkennung der Minderheit der Rohingya einen wichtigen ersten Schritt in eine demokratische und rechtstaatliche Zukunft bedeuten.

Katja Dombrowski

Link
APHR-Bericht: Disenfranchisement and desperation in Myanmar‘s Rakhine state.
http://aseanmp.org/wp-content/uploads/2015/10/APHR_Rakhine-State-Report.pdf