Arbeitsmigration
Wie es ist, aus Afrika zum Arbeiten in die Golfstaaten zu ziehen

Wie so oft brauchte es ein sportliches Großereignis, um genügend Aufmerksamkeit für eklatante Missstände zutage zu fördern. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar vor drei Jahren schaute die Welt in Stadien, die laut Amnesty International teilweise unter zwangsarbeitsähnlichen Bedingungen errichtet wurden.
In den allermeisten Fällen waren es Migrant*innen, die dort arbeiteten – und deren Arbeitsbedingungen waren bereits vor der WM zum Teil desolat. Wie Human Rights Watch berichtet, kamen im Jahr 2019 schätzungsweise 95 Prozent der Erwerbsbevölkerung Katars aus dem Ausland. Das entspricht der Lage in der gesamten Region: Laut Economic Research Forum stellten ausländische Arbeitskräfte in den Golfstaaten im vergangenen Jahr fast 70 Prozent der Arbeitnehmerschaft.
Die Arbeiter*innen kommen aus der ganzen Welt. Gleichzeitig wächst der Anteil afrikanischer Arbeitsmigrant*innen, besonders im Niedriglohnsektor (Bau, Sicherheit, Hausarbeit, Gastronomie) seit Jahren – und mit ihm auch die Berichte über Menschenrechtsverletzungen. Pässe werden von Arbeitgeber*innen einbehalten, Löhne nicht ausgezahlt, und Nahrungs- oder Freiheitsentzug wird als Bestrafung eingesetzt. Insbesondere Frauen, die häufig Anstellung als Haushaltshilfen finden, schildern auch körperliche und sexuelle Gewalt. Einem Bericht der New York Times zufolge starben in den letzten fünf Jahren allein in Saudi-Arabien 274 kenianische Arbeiter*innen, die meisten von ihnen Frauen. In Kenia erscheinen regelmäßig Zeitungsberichte, wenn Familien ihre Angehörigen am Flughafen Nairobi in Särgen aus den Maschinen der Golf-Fluggesellschaften entgegennehmen.
Katar erreichte im Labour Rights Index 2024 nur einen Score von 47 („total lack of access to decent work”) und zählt somit zu den neun Ländern mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen weltweit. Aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) liegen nur bei 55,5 („basic access to decent work“).
Es sagt einiges über die Lebensbedingungen in afrikanischen Staaten aus, dass immer mehr Menschen sich trotzdem entscheiden, einen Neuanfang am Persischen Golf zu wagen. Wie viele Afrikaner*innen genau dort arbeiten, lässt sich nur schätzen, da viele temporär oder irregulär beschäftigt sind und nicht alle bei den Botschaften registriert werden.
Kenia gehört in allen Golfstaaten zu den Ländern, aus denen die meisten afrikanischen Arbeiter*innen stammen. Der kenianische Kabinettschef Musalia Mudavadi sprach im vergangenen Jahr von mehr als 400.000 Kenianer*innen, die dort arbeiten.
E+Z hat mit zwei von ihnen gesprochen. Dabei wird deutlich: Ausbeutungserfahrungen sind nur eine Seite der Medaille. Für viele Afrikaner*innen bedeutet die Migration Aufbruch, Perspektive und Selbstbestimmung. Sie werden jung zu Hauptversorger*innen ihrer erweiterten Familien, verfolgen aber auch ihre eigenen Karriereziele.
Felicitas
Felicitas lebt und arbeitet seit fast zwei Jahren in Dubai. Die 28-Jährige ist dort als Kellnerin in einem Fünf-Sterne-Hotel angestellt. Ursprünglich hatte die Kenianerin andere berufliche Pläne: Sie hat ein Diplom im Bereich Bauwesen und arbeitete nach dem Studium auf einer von der Weltbank unterstützten Baustelle, auf der ein Großmarkt entstehen sollte. Doch die Covid-19-Pandemie veränderte ihren Lebensweg.
Die Baustelle stand monatelang still, und schließlich wurde ihr Vertrag beendet. Ohnehin hatte sie sich dort nie wohlgefühlt. Die Bauindustrie sei männlich dominiert, erzählt sie, und der Umgang mit ihren Kollegen sei oft schwierig gewesen: „Ich war Anfang 20, und die Männer wollten sich nichts von mir sagen lassen.“ Die psychische Belastung sei groß gewesen – verbunden mit der Aussicht, ohne finanzielle Unterstützung nie einen Bachelor abschließen zu können, der in Kenia auf ein Diplom folgt und ohne den beruflicher Aufstieg im Baugewerbe schwer sein würde. So entschied sie sich, Arbeit im Ausland zu suchen.
Zuerst ging sie nach Saudi-Arabien, wo sie fünf Monate für ein Bekleidungsunternehmen arbeitete, das Kaftane herstellt. Das Leben dort sei für sie als Afrikanerin allerdings nur schwer erträglich gewesen: „Ich durfte als Frau nirgendwo allein hin, konnte nicht anziehen, was ich wollte, und war im Prinzip nur im Haus eingesperrt.“ Als dann die Mall, in der sie arbeitete, keine afrikanischen Angestellten mehr auf dem Gelände zuließ und sie von einem Privathaus aus weiterarbeiten musste, entschloss sie sich zur Rückkehr nach Kenia.
Da die Jobaussichten in ihrem Heimatland noch immer düster waren, belegte sie auf Anraten eines Freundes einen Barista-Kurs, der ihr in ihrem neuen Ziel Dubai helfen sollte, Arbeit zu finden. Vor rund zwei Jahren reiste sie in die VAE. Der Visaprozess war damals unkomplizierter als heute. Mit einem zweimonatigen Besuchsvisum hatte Felicitas die Chance, Arbeit zu suchen. Heute würden Menschen aus Afrika strenger kontrolliert, berichtet sie.
Die Lebenshaltungskosten in Dubai sind hoch: In ihren ersten Monaten lebte Felicitas in einem Schlafsaal und bezahlte monatlich rund 100 Dollar Miete für ihr Bett. Inzwischen teilt sie sich eine größere Wohnung mit einer Kollegin – eine Verbesserung, die sie ihrer Festanstellung verdankt. Ohne diese Festanstellung hätte sie auch kein dauerhaftes Visum bekommen. Sie hielt sich zu Beginn mit Kurzzeit-Kellnerjobs über Wasser. Nach jedem Vertragsende drohte dann ihr Visum auszulaufen, und jeder Tag des Visumübertritts wird in den VAE mit einem hohen Bußgeld belegt. Sie habe es geschafft, nur zehn Bußgelder zu zahlen, ehe sie fest angestellt wurde, sagt sie.
Die finanzielle Belastung bleibt jedoch hoch. Felicitas unterstützt ihre Mutter, ihre Schwester und einen Bruder in Kenia unter anderem durch die Übernahme von Schulgeld. „Ich bin jetzt eigentlich die Ernährerin meiner Familie“, sagt sie. Nach Kenia zurückkehren möchte sie nicht dauerhaft. „Ich vermisse mein Land nicht“, sagt sie. Die politische und wirtschaftliche Lage habe sich weiter verschlechtert. Eine Rückkehr könne sie sich zurzeit höchstens für einen Besuch vorstellen – aber dafür fehlt momentan noch das Geld.
Wichtige Unterstützung fand sie durch afrikanische Netzwerke vor Ort: „Wenn jemand hört, dass in seinem Restaurant Personal gesucht wird, sagt er es weiter.“ So entstehen informelle Vermittlungsketten. Der Kontakt zu anderen Nationalitäten sei schwieriger – man lebe oft in getrennten Wohngegenden. Sie berichtet, dass es in Dubai klare gesellschaftliche Trennlinien zwischen den verschiedenen Nationalitäten gibt – sie bezweifelt etwa, jemals überhaupt mit gebürtigen Emiratis Kontakt gehabt zu haben, die an der Spitze der multinationalen Hierarchie stünden.
Ihre Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung sind vielfältig. „Es gibt Momente, in denen ich merke, dass die Menschen mich nur als billige Arbeitskraft sehen“, sagt sie. „Will ich in einem Laden zum Beispiel etwas Teures kaufen, werde ich misstrauisch beäugt – und im Bus ist es mir bereits passiert, dass Sitznachbar*innen sich sichtlich die Nase zuhielten, wenn ich mich neben sie setzte.“
Trotz dieser Erfahrungen verfolgt sie ihre Pläne: „Ich möchte nicht für immer Kellnerin sein. Mein Ziel ist es, genug Geld zu sparen, um in Kenia ein Haus zu bauen und ein eigenes Geschäft zu starten – vielleicht im Bereich Mode.“ Auch eine Arbeit auf einem Kreuzfahrtschiff könne sie sich vorstellen: „Ich habe Kenia nicht nur des Geldes wegen verlassen –
ich mag es, zu reisen und neue Länder zu entdecken.“
Joseph
Joseph, ein 25-jähriger Kenianer, arbeitet in Doha, Katar – ebenfalls im Gastgewerbe, genauer gesagt in einem Café. Auch er hat eine berufliche Qualifikation: ein IT-Studium, das er bisher jedoch nicht in seine Arbeit einbringen konnte. Die Migration in den Golfstaat sei für ihn ein Versuch gewesen, die eigene berufliche Zukunft neu zu gestalten – und seine Familie finanziell zu unterstützen.
„Ich will meinen Geschwistern helfen und meine Eltern entlasten“, erklärt er. Die Unterschiede zwischen Kenia und Katar seien groß – nicht nur in Bezug auf wirtschaftliche Chancen, sondern auch kulturell. Die Einhaltung religiöser Vorschriften und die allgemeinen Lebensregeln in Katar hätten ihn anfangs gefordert. Auch die langen Arbeitszeiten seien belastend, ebenso wie der mentale Druck, möglichst viel zu verdienen und zu sparen.
Möglich wurde seine Ausreise durch einen Freund in Kenia, der ihn beim Visaprozess unterstützte. Joseph fordert mehr Transparenz über Visa- und Bewerbungsverfahren. „Viele werden von Agenturen betrogen“, sagt er. Netzwerke habe er in Katar anfangs keine gehabt, er sei auf sich allein gestellt gewesen. Erst nach einigen Fehlschlägen, unter anderem bei Vorstellungsgesprächen für nicht existente Jobs, habe er eine feste Stelle gefunden.
Ob er zurückkehren möchte, lässt Joseph offen. „Kenia ist immer mein Zuhause, und wenn ich an meine Familie denke, werde ich schon emotional“, sagt er. „Ich habe sie seit drei Jahren nicht mehr gesehen.“ Aber das Leben im Ausland habe ihn auch verändert. Eine Rückkehr sei nur dann sinnvoll, wenn er dort eine Perspektive sehe.
Auch Joseph wünscht sich beruflichen Aufstieg – möglicherweise in Richtung Management im Gastgewerbe. Langfristig aber möchte er seine IT-Kenntnisse wieder aufgreifen oder ein eigenes Projekt starten. Die Golfstaaten sind für ihn, ähnlich wie für Felicitas, vor allem ein Ort, um zu sparen und sich auf den nächsten Schritt vorzubereiten.
Sowohl Felicitas als auch Joseph betonen: Die Bezahlung in Katar und den VAE sei ungerecht verteilt. Mitarbeitende aus Afrika erhielten deutlich niedrigere Löhne als Kolleg*innen anderer Kontinente – bei gleicher oder sogar höherer Qualifikation. „Wir sprechen nicht offen darüber, aber der Unterschied ist gewaltig“, sagt Felicitas.
Die Namen wurden von der Redaktion geändert.
Alba Nakuwa ist freie Journalistin aus dem Südsudan. Sie lebt in Nairobi.
albanakwa@gmail.com
Katharina Wilhelm Otieno ist Redakteurin bei E+Z und arbeitet zeitweise in Nairobi.
euz.editor@dandc.eu