Bildung
Aufgeklärter Mediengebrauch
Bildung besteht nicht nur aus Prüfungen und Zensuren, sagt Rosa-Maria Torres del Castillo. Die Leiterin des Instituto Fronesis in Ecuador findet es viel wichtiger, „Staatsbürger des 21. Jahrhunderts heranzuziehen“. Kinder und Jugendliche sollten Rechte und Pflichten erkennen, ein Gefühl der Gemeinschaftszugehörigkeit entwickeln, lernen, das öffentliche Gut zu achten und später fähig werden, sich auch dafür einzusetzen. Schulen allein, meint Torres del Castillo, seien damit überfordert. Ebenso wichtige Beiträge müssten Behörden, Familien, Gemeinschaften und die Medien leisten.
Torres del Castillo bezweifelt, dass alle Akteure diesem Anspruch gerecht werden. Denn weltweit steige die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen, während das Vertrauen in Politik und Wirtschaft schwinde. Immer mehr Bildungsstätten würden versuchen, ihre Schüler den Bedürfnissen der globalen Wirtschaft anzupassen, obwohl es eigentlich darauf ankäme, ihnen demokratische Werte und politisches Verantwortungsgefühl zu vermitteln. Armen Familien lasse sich nur schwer verständlich machen, worum es gehe, meint Torres del Castillo. Sie seien mit Schulen, selbst wenn diese wenig leisten, schnell zufrieden.
Torres del Castillo wollte in Ecuador die Verhältnisse ändern. Sie wurde Kolumnistin einer Zeitung. Ihre wiederkehrenden Beiträge in El Comercio wurden von Eltern und Lehrern gelesen, wie sie berichtet, und führten zum Anstieg der Sonntagsauflage. Eltern, die sonst vieles als gegeben akzeptierten, fassten den Mut, Schulleiter auf Missstände anzusprechen, wenn in der Zeitung darüber berichtet wurde. Gleichzeitig lasen Lehrer die Bildungskolumne, um sich beruflich zu informieren. Trotz ihres publizistischen Erfolgs stellte Torres del Castillo im Laufe der Jahre ernüchtert fest, dass die gleichen Fragen ständig wiederkehrten.
Über Bildungsthemen zu schreiben ist nicht das einzige Rezept, mit dem kritische Journalisten helfen können, Zustände zu verbessern, meint Aralynn Abare McMane. Die Vertreterin des Weltverbandes für Herausgeber von Print- und Online-Nachrichten WAN-IFRI sagt, dass Medien auch im Klassenzimmer nützlich sind. Wenn Schüler mehrere Zeitungen vergleichen, werde kritisches Denken geweckt. An jugendlichen Lesern sind Verlage natürlich besonders interessiert, wie sie einräumt, denn sie sind die potenziellen Käufer von morgen.
Viele deutsche Zeitungen kooperieren deshalb mit Schulen. Davon berichtete im März der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Werner D’Inka, bei einer Tagung, die sein Blatt in Kooperation mit dem Internationalen Institut für Journalismus der GIZ in Berlin organisierte. F.A.Z.-Redakteure unterrichten an verschiedenen Gymnasien, damit Schüler lernen, wie Medien funktionieren – und wie man sie richtig nutzt.
Auf noch andere Weise helfen in Südafrika Medien der Bildung nach. Rayhana Rassool vom Soul City Institute betreibt Gesundheitsaufklärung in Unterhaltungsformaten. Hör- und Fernsehspiele dienen dazu, über HIV/Aids aufzuklären, wenn sie ein Massenpublikum erreichen, dessen Kultur und Alltagsleben sie widerspiegeln. Sendungen von Soul City seien beliebt, sagt Rassool, und erreichten kommerziellen Shows vergleichbare Einschaltquoten.
Zu kommerzielle Ausrichtung kann allerdings auch nach hinten losgehen, weiß Ajoa Yeboah-Afari vom Ghana Media Standards Improvement Project. Aus ihrer Sicht sind Community-Radios geeignet, Menschen auf der lokalen Ebene zu erreichen. Nicht jeder Sender strahle jedoch erstklassige Inhalte aus, schränkt sie ein. Schielen Programmchefs zu sehr auf Werbeeinkünfte, sagt Yeboah-Afari, kann der Radiokanal kippen und mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften – etwa wenn er Fremdenhass schürt. Die Risiken sind bei ungebildeten Menschen besonders groß. In Ghana fehlten rund 60 000 Lehrer, ergänzt Yeboah-Afari. Umso wichtiger sei die Rolle von Medien bei der Information der Öffentlichkeit.
Je mehr Menschen online gehen können, desto häufiger geben auch Internet-Medien den Ton an. Dass Aktivisten sich im Web organisieren können, belegen die Aufstände in der arabischen Welt. Dabei fällt es zunehmend schwer, zwischen Anbietern oder Nutzern zu unterscheiden. Roland Gerschermann, Geschäftsführer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, begrüßt diese neue, digitale Vielfalt, sieht anspruchsvolle Medien aber vor einer pädagogischen Großaufgabe: „Die wahre Herausforderung ist, unsere professionellen Standards und ihre Relevanz einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln.“ Dass ohne freie Medien keine Demokratie überlebt, sei trivial: „Mir geht es darum, dass Demokratie vom aufgeklärten Medienkonsum abhängt.“ Deshalb müsse der Umgang mit Medien auch an Schulen unterrichtet werden.
Hans Dembowski