Armutsbekämpfung
„Im Prisma der Millenniumsziele“
[ Von Hugh Williamson ]
Bosane Damessa ist stolz auf ihren kleinen Garten. Die 24-jährige Bäuerin aus Sodo, einem Dorf 100 Kilometer westlich der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, zeigt Besuchern begeistert Knoblauch, Getreide und Heilpflanzen, die neben ihrer kleinen runden Lehmhütte wachsen. „Hoffentlich wird meine Ernte dieses Jahr gut“, sagt sie. „Das Leben ist nicht leicht, aber ich versuche, das Beste daraus zu machen.“
Leicht ist Bosanes Leben sicherlich nicht. Seit ihr Mann sie vor einigen Jahren verlassen hat, sorgt sie allein für ihre beiden Kinder. Nachts nimmt sie ihre vier Kühe mit in die Hütte, damit sie nicht gestohlen werden.
Regassa Bekele ist Projektmitarbeiter der nichtstaatlichen Organisation Community Development Service Ethiopia (CDSE) und kennt Bosane. Seiner Einschätzung nach gehört sie zu den „Ärmsten der Armen“. Dabei sei ihre Situation keine Ausnahme. Die Bauern in der Region verdienen mit ihrer Ernte jährlich nur 50 bis 100 Euro. Es gebe kaum eine Chance, der Armut wirklich zu entkommen.
Äthiopien ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es steht auf Platz 170 von 177 Ländern auf dem Human Development Index des UNDP. „Die Länder mit noch schlechteren Ergebnissen sind meist Konfliktstaaten“, sagt Joachim Schwarz, Projektmitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe in Äthiopien, einer nichtstaatlichen Hilfsorganisation, die mit CDSE zusammenarbeitet. Die Welthungerhilfe fördert in Äthiopien unter anderem Nahrungssicherheit, Wasser und Fluthilfe.
Sodo ist eine Ansammlung verstreut liegender Lehm- und Strohhütten zwischen sanft hügeligen Feldern. Für die Welthungerhilfe hat diese arme Siedlung dennoch besondere Bedeutung. Die NGO wählte sie als eines ihrer 15 „Millenniumsdörfer“. Am Beispiel dieser Dörfer will die Welthungerhilfe zeigen, wie der Weg zu den UN-Millenniumsentwicklungszielen (MDG) der Armutsbekämpfung, Verbesserung von Gesundheitsversorgung und Bildung bis 2015 zu schaffen ist.
Die Welthungerhilfe unterstützt ländliche Entwicklungsprogramme in den 15 ausgewählten Dörfern in Afrika, Asien und Lateinamerika seit vielen Jahren. Aber seit Anfang 2006 sind die Dörfer Mittelpunkt eines ausgefeilten Monitoringsystems, das den Fortschritt hin zu den MDG messen soll. Das Programm ist in allen Dörfern angelaufen – mit Ausnahme eines Dorfes in Afghanistan, wo die angespannte Sicherheitslage den Start verzögert.
Graswurzelperspektive
Laut Jens Martens, dem Leiter des Bonner Büros des Global Policy Forum, einer internationalen NGO, ist die Initiative der Welthungerhilfe „international einzigartig“. Das Millenniumsdorfprogramm ziele darauf ab, Einsichten in die Herausforderungen auf Graswurzelebene auf dem Weg zu den UN-Zielen zu gewinnen.
Anfangs bildete die Welthungerhilfe mit ihren Partnern in einem Zehntageskurs Leute aus den Dörfern zu Interviewern aus. Zudem nahmen 30 vor Ort ausgewählte Dorfvertreter an einem Workshop teil, um die Prioritäten für das Programm zu setzen, etwa festzulegen, welche der Millenniumsziele am wichtigsten für das Dorf sind. „Das weckt auch ein Bewusstsein für die MDGs, von denen die Menschen in den Dörfern meist noch nie etwas gehört haben“, berichtet Florian Wieneke, Monitoring-Experte der Welthungerhilfe.
Die von der Welthungerhilfe ausgewählten Dörfer bilden Gegenpole zu ihren bekannteren Namensvettern, den zwölf Millenniumsdörfern, die unter der Schirmherrschaft der UN von Entwicklungsökonom Jeffrey Sachs und seinem Earth Institute an der New Yorker Columbia-Universität betreut werden. Die UN-Dörfer befinden sich alle im südlichen Afrika.
Das Sachs-Programm ist darauf angelegt beispielhaft zu zeigen, dass eine deutliche Erhöhung der Entwicklungshilfe aus reichen Ländern Armutsprobleme lösen kann. Die Dörfer sollen „demonstrieren, wie die acht MDGs (…) innerhalb von fünf Jahren durch von der Gemeinde ausgehende Entwicklung erreicht werden können“, heißt es auf der Website. Finanzielle Hilfen von internationalen Gebern in Höhe von 250 000 Dollar pro Dorf plus ähnliche Beträge von lokalen und nationalen Regierungen und anderen sollen zeigen, dass die Dörfer „einen Weg sich selbst erhaltender ökonomischer Entwicklung einschlagen können“.
Der Ansatz der Welthungerhilfe unterscheide sich davon grundsätzlich, erklärt Florian Wieneke. Die Organisation sammelt seit 40 Jahren Erfahrung mit auf Mitbestimmung basierenden ländlichen Entwicklungsprogrammen. Sie will herausfinden, welche Rolle dieser „bottom-up“-Ansatz für die Erreichung der Entwicklungsziele spielt. „Zusätzlich zum gewöhnlichen Projekt-Monitoring betrachten wir die Dörfer durch das Prisma der MDGs, um den Fortschritt hin zu den UN-Zielen zu bemessen“, erklärt Wieneke, der am Aufbau des Monitoringsystems für die Millenniumsdörfer der Welthungerhilfe mitgearbeitet hat. Im Gegensatz dazu sei der Ansatz des UN-Projekts, „sehr viel Geld in ein Dorf zu pumpen, etwas zu entwickeln, was für ein effektives Modell gehalten wird, und zu prüfen, ob es andernorts übertragen werden kann“.
Das Monitoring beruht auf quantitativen Daten, die mit detaillierten Fragebögen erhoben werden, und qualitativen Aussagen, die in Kooperation mit Vertretern der Dorfbevölkerung getroffen werden. Das Verfahren stößt auf das Interesse von anderen Entwicklungsinitiativen und Regierungsstellen, die sich mit der MDG-Agenda beschäftigen, weil es in der Tat sehr schwierig ist, auf der Makroebene die Erreichung der UN-Ziele präzise zu verfolgen und abzubindlen. Selbst das Earth Institute hat schon Neugier bekundet, wie Wieneke berichtet.
In einem kürzlich veröffentlichten Bericht sieht Jens Martens (2007) auf halbem Weg zum Stichtag im Jahr 2015 nur wenige Anzeichen dafür, dass die MDGs vollständig erfüllt werden. Und er bestätigt, dass es ernsthafte Überprüfungsprobleme gibt. Zwar habe das UNDP eine neue Website mit regelmäßigen Aktualisierungen zum Fortschritt hin zu den MDGs, aber die Informationslücken auf der Website zeigten, dass insbesondere für viele afrikanische Länder die Basisdaten fehlen, um Monitoring möglich zu machen.
Fortschritt in Sodo
In Sodo führt NGO-Fachmann Regassa durch das neue Community Centre und Vorzeigegemüsegärten im Dorf. Er erklärt, dass die Millenniumsdorf-Initiative auch die Kommunikation unter den Dorfbewohnern fördern soll, etwa über Getreideanbau. „Die Bauern behalten häufig Informationen für sich“, sagt er.
Im CDSE-Büro zeigt er Charts, auf denen steht, wie viele Bauern an den verschiedenen Projekten der Gruppe teilgenommen haben, etwa dem Anbau ertragreicheren Getreides oder der Einführung alternativer Tierrassen. Über hundert Haushalte haben sich eingetragen, um Getreide anzubauen, das viermal so viel Ertrag verspricht wie Teff, die traditionell in der äthiopischen Küche benutzte Hirse. „Dieser Prozess braucht Zeit“, erklärt er, da Teff in Äthiopien sowohl kulturelle als auch landwirtschaftliche Bedeutung habe: „Die Menschen brauchen Zeit, um sich umzustellen.“
Die vollen Ergebnisse wird die Welthungerhilfe veröffentlichen, wenn die Millenniumsdorfinitiative 2010 endet. Aber Vorsitzende Ingeborg Schäuble sagte bereits im Herbst, die Organisation könne „erste Erfolge“ ihrer anhaltenden ländlichen Entwicklungsarbeit in den Dörfern präsentieren. In Sodo mit 480 Haushalten etwa liegt der Anteil der Kinder mit Unterernährung bei den Jungen bei 18, bei den Mädchen bei 25 Prozent, weit unter dem Landesschnitt von 38 Prozent. Ähnlich sterben hier nur 2,5 von 100 Kindern im Kleinkindalter, verglichen mit 16,6 von 100 in ganz Äthiopien.