Bekleidungsindustrie

Marktgesetze vor Menschenrechten

Beim Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch im April 2013 starben mehr als 1 100 Menschen. In Reaktion auf das Unglück forderte die internationale Gemeinschaft Verbesserungen im Bereich der Menschenrechte und Gebäudesicherheit in der Bekleidungsindustrie. Drei internationale Initiativen entstanden mit dem Ziel, Reformen in Bangladesch umzusetzen. Bisher haben sie jedoch wenig erreicht. Das gilt ähnlich auch für das Textilbündnis des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Gedenkzeremonie am dritten Jahrestag des Rana-Plaza-Einsturzes. picture-alliance/dpa Gedenkzeremonie am dritten Jahrestag des Rana-Plaza-Einsturzes.

Das Rana-Plaza-Unglück war kein Einzelfall. Es steht in einer langen Reihe von Fabrikeinstürzen, Bränden und schweren Arbeitsunfällen in den textilproduzierenden Ländern Asiens. Mit mehr als 1 100 Toten war es jedoch das bisher größte Unglück. Es zog drei Initiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie Bangladeschs nach sich:

  • die Alliance for Bangladesh worker safety, bei der hauptsächlich nordamerikanische Bekleidungsfirmen mitmachen,
  • den Accord on fire and building safety in Bangladesh, einen Zusammenschluss europäischer Kleidungshersteller und globaler sowie nationaler Gewerkschaften, und
  • ein Projekt der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) mit der Regierung Bangladeschs mit dem Titel Improving working conditions in the ready-made garment sector in Bangladesh.

Die Initiativen verfolgen das Ziel, die Gebäudesicherheit und den Brandschutz durch Fabrikinspektionen und Schulungen der Arbeiter zu verbessern. Die ILO-Bemühungen erstrecken sich zudem auf die Stärkung der Arbeitnehmerrechte. Doch trotz finanzieller Zusagen in dreistelliger Millionenhöhe wurde bisher wenig erreicht.

In den ersten zwei Jahren nach der Tragödie wurden einige Dutzend Fabriken geschlossen. Es fanden Inspektionen in der Hälfte aller Produktionsstätten in Bangladesch statt. Laut der 2015 veröffentlichten Studie „Beyond the tip of the iceberg: Bangladesh’s forgotton apparel workers“ der New York University behoben allerdings nur acht der mehr als 3 400 inspizierten Fabriken alle Mängel.

Zudem arbeiten hunderttausende Menschen in Fabriken, die von den drei Bündnissen gar nicht erfasst werden. Auch westliche Firmen, die Mitglieder der Bündnisse sind, beziehen über Zulieferer und Subunternehmen Produkte von dort. Lange und intransparente Lieferketten erschweren Kontrollen.

Auch im sozialen Bereich gab es erst wenige Verbesserungen. Zwar hat die Regierung Bangladeschs den Mindestlohn für Näher von $ 37 auf $ 68 im Monat angehoben. Doch ein Großteil der Fabriken zahlt diesen Lohn noch nicht. Zudem war die Anhebung unzureichend: Nach Angaben des Netzwerks Clean Cloth Campaign müsste ein Lohn, der die Lebenshaltungskosten der Näher und ihrer Familienangehörigen deckt, vier- bis fünfmal höher sein.

Ähnlich dürftig sehen die Fortschritte bei dem Anteil der gewerkschaftlich organisierten Belegschaftsmitglieder aus. Er hat sich seit dem Rana-Plaza-Einsturz zwar verdoppelt, aber lediglich von 2,5 auf fünf Prozent. Human Rights Watch berichtet von Entlassungen und Gewalt gegen Gewerkschaftsmitglieder.

Problematisch ist auch der Interessenkonflikt, der sich aus den Verstrickungen von Politik und Wirtschaft ergibt. Einige Parlamentsabgeordnete sind gleichzeitig Fabrikeigentümer. Sie werden kaum für stärkere Regulierung und eine Verbesserung der Menschenrechtssituation stimmen, wenn ihrer Fabrik dadurch Kosten entstehen und ihre Profite sinken. Auch wird die Regierung keine Maßnahmen umsetzen, die zu einer Verlagerung der Textilproduktion in Nachbarländer führen.


Scheitern freiwilliger Selbstverpflichtungen

Die oben genannten Initiativen drohen ihre Ziele zu verfehlen, da es kaum unabhängige Kontrollmechanismen und wirksame Rechtsmittel gibt. In der Alliance for Bangladesh worker safety kontrollieren sich die Firmen nur gegenseitig, und ihre Verpflichtungen sind rechtlich nicht verbindlich. Die europäische Accord-Initiative stellt zwar einen rechtlich verbindlichen Rahmen dar, hat aber nur eine Laufzeit von fünf Jahren.

Theoretisch könnten die gewerkschaftlichen Teilnehmer, falls es zwischen ihnen und den Unternehmen zu Unstimmigkeiten über die Implementierung des Accords kommt, einen Schiedsspruch vor einem Gericht erwirken. Konkret müsste sich beispielsweise ein deutsches Unternehmen vor einem deutschen Gericht verantworten, wenn es den Accord nur unzureichend umsetzt. Beklagte Unternehmen könnten sich jedoch auf den Standpunkt zurückziehen, dass in den bisher verstrichenen drei Jahren keine größeren Fortschritte zu erzielen waren. Und wenn die Vereinbarung in zwei Jahren ausläuft, stehen die Unternehmen nicht mehr in der Verantwortung.

Die Unzulänglichkeit freiwilliger Standards zeigt sich auch in der deutschen Politik. Ende 2014 startete Entwicklungsminister Gerd Müller zusammen mit deutschen Bekleidungsunternehmen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen das deutsche Textilbündnis. Es ging darum, die „drängendsten Herausforderungen der Textilbranche wie eine verbesserte Transparenz der Lieferkette, den sachgemäßen Gebrauch von Chemikalien, existenzsichernde Löhne und Vereinigungsfreiheit“ anzugehen.

Kritiker bemängeln jedoch, dass Müller die Standards des Bündnisses nach Kritik aus Reihen der Modeindustrie verwässert habe und es nicht reiche, auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen zu setzen. Ohne Haftungsrisiken für Firmen bleibe die Wirkung des Bündnisses begrenzt.

Ein international gültiger Vertrag zur Wahrung der Menschenrechte bei wirtschaftlichem Handeln könnte die unverbindliche Freiwilligkeit beenden. Ecuador beantragte die Verhandlung eines solchen Vertrags im September 2013 im UN-Menschenrechtsrat. Trotz Gegenstimmen von USA, EU, Japan und anderen wurde der Antrag im Juni 2014 angenommen. Seitdem verhandelt eine UN-Expertengruppe darüber.

Experten sind jedoch skeptisch. Um Rechtsbrüche durch Unternehmen weltweit abzudecken, müssten alle Staaten den Vertrag unterzeichnen. Lehnt ein Land mit billigen Arbeitskräften die Unterzeichnung ab, dann besteht die Gefahr, dass Unternehmen aus Unterzeichnerstaaten – wo Sozial- und Umweltstandards und damit die Produktionskosten steigen würden – dorthin abwandern. Derartige Bewegungen globaler Modeunternehmen gibt es schon heute, zum Beispiel nach Myanmar und in einige afrikanische Staaten, wo die Standards noch niedriger sind und noch weniger beachtet werden als in Bangladesch.

Viele Staaten, die offiziell den Vorschlag Ecuadors unterstützen, tun bisher wenig dafür, die bestehenden UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umzusetzen. Dies ist ein Indiz dafür, dass Staaten Wettbewerbsnachteile fürchten. Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, wie ernst es Ecuador und andere Regierungen mit einem internationalen Vertrag meinen.

Um die Arbeits- und Menschenrechtssituation in den Herstellerländern zu verbessern, braucht es neben staatlichen Bemühungen dauerhaften öffentlichen Druck und mehr kritische Verbraucher (siehe Kasten). Letztlich sind global gültige Mindestlöhne und Produktionsstandards in der Textilproduktion erforderlich. Nur dann konkurrieren Staaten nicht mehr auf Kosten der Arbeiter um internationale Inves­titionen.

Dieser externe Druck und global gültige Standards sind umso wichtiger, da es im ländlichen Raum Bangladeschs und anderer „Textilländer“ extreme Armut gibt. Viele junge Frauen haben gar keine andere Chance, als in Textilfabriken zu arbeiten. Die hohe Anzahl potenzieller Arbeiterinnen erschwert es, dass sie sich gewerkschaftlich organisieren und selbst bessere Arbeitsbedingungen einfordern, da jedes Gewerkschaftsmitglied durch eine nicht organisierte Arbeiterin ersetzt werden kann.
 

Nico Beckert ist freier Journalist.
nico.beckert@gmx.net
Blog: www.zebralogs.wordpress.com


Links

Alliance for Bangladesh Worker Safety:
http://www.bangladeshworkersafety.org/who-we-are/about-the-alliance

Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh:
http://bangladeshaccord.org/

ILO-Programme Improving Working Conditions in the Ready-Made Garment Sector in Bangladesh (RMGP Programme):
http://www.ilo.org/dhaka/Whatwedo/Projects/safer-garment-industry-in-bangladesh/lang--en/index.htm

Study: Beyond the tip of the iceberg: Bangladesh’s forgotten apparel workers.
http://static1.squarespace.com/static/547df270e4b0ba184dfc490e/t/5672d01f841aba57760d628a/1450364959693/Beyond+the+Tip+of+the+Iceberg+Report.pdf

Information on the Calculation of Living Wages:
http://www.cleanclothes.org/livingwage/calculating-a-living-wage

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