Nachhaltige Wirtschaft

Weshalb das EU-Lieferkettengesetz wichtig ist

Eigentlich hatten sich Europäische Kommission, Rat und Parlament bereits im Dezember 2023 auf ein EU-Lieferkettengesetz geeinigt. Doch wegen einer kurzfristigen Kehrtwende des marktliberalen Koalitionspartners FDP will sich die Bundesregierung nun im Rat enthalten. Sollte das Gesetz deshalb scheitern, wäre das ein schwerer Rückschlag für nachhaltige Entwicklung weltweit – und für das internationale Ansehen Deutschlands.
Gewerkschaftsfreiheit ist wichtig: Arbeitnehmerinnen protestieren im November 2023 in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. picture alliance / NurPhoto / STR Gewerkschaftsfreiheit ist wichtig: Arbeitnehmerinnen protestieren im November 2023 in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Christoph Hoffmann sagt, das EU-Lieferkettengesetz werde zum Rückzug europäischer Unternehmen aus ärmeren Ländern führen und diesen schaden. Grundlage für diese These ist eine Einschätzung, die im Auftrag des Wirtschaftsverbands Gesamtmetall entstand. Sie besagt, für deutsche Unternehmen würden pro Lieferanten zusätzliche Fixkosten sowie diffuse juristische Risiken entstehen. 

Das ist sachlich falsch. Tatsächlich sollen Firmen verpflichtet werden, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in ihren Lieferketten zu identifizieren und ihnen vorzubeugen. Priorität hätten wahrscheinliche, schwere und unumkehrbare Schäden. Es würde also nicht jede zuliefernde Firma umfassend geprüft.   

Entsprechend moderat schätzte eine Studie der London School of Economics die Umsetzungskosten menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten ein. Große Unternehmen müssten durchschnittlich 0,005 Prozent ihrer Umsätze aufwenden. Auch die juristischen Risiken sind keineswegs diffus. Zivilrechtlich haften würden Unternehmen nach der EU-Richtlinie nur, wenn durch Verstoß gegen klar definierte Sorgfaltspflichten ein Schaden entsteht. 

Verbesserungen bei Umweltschutz, Menschenrechten und Arbeitsrechten

Fachleuten zufolge werden das deutsche wie auch das EU-Gesetz höchstens in seltenen Fällen zum Rückzug von Firmen aus ärmeren Ländern führen. Das Angebot an Rohstoffen ist knapp und häufig standortgebunden, die Nachfrage zudem hoch. Zu erwarten sind stattdessen Verbesserungen bei Umweltschutz, Menschenrechten und Arbeitsrechten. Die Umsetzungskosten können Gewinnmargen reduzieren. Sie verhindern aber Umweltschäden und machen die Einkommensverteilung gerechter. 

Auch im Fertigungsbereich, etwa in der Textilbranche, ist eine Rückverlagerung der Produktion in Hocheinkommensländer nicht zu erwarten, sondern eine stärkere Süd-Süd-Konkurrenz mit Blick auf Nachhaltigkeit. So würde das EU-Lieferkettengesetz dem gegenwärtigen Trend entgegenwirken, Produktionsstätten in die Länder mit den niedrigsten Kosten zu verlagern. Er unterhöhlt Löhne, Sozialleistungen und Arbeitssicherheit. Das Gesetz würde die Gewerkschaftsfreiheit und Verhandlungsmacht von Beschäftigten sowie anderen Gruppen stärken.   

Grundsätzlich folgt das geplante EU-Lieferkettengesetz dem Ansatz „Befähigung vor Rückzug“. Das Ende einer Geschäftsbeziehung wäre die letzte Notfalloption nach Ausschöpfung aller Einflussmöglichkeiten. Explizit würde es europäische Unternehmen zur fairen Vertragsgestaltung und Einkaufspolitik verpflichten, damit Zulieferer existenzsichernde Löhne zahlen und sonstige menschenrechtliche und umweltbezogene Anforderungen erfüllen können. Es verpflichtet sie zu Schulungen und sonstigen Unterstützungsleistungen besonders gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen. Es verbietet explizit die Abwälzung von Sorgfaltspflichten auf Geschäftspartner. Entwicklungspolitische Maßnahmen könnten Unternehmen zusätzlich unterstützen. 

Irreführende Marktorthodoxie

Deutlich zu hinterfragen ist die marktorthodoxe Grundannahme, dass jegliche Integration in globale Wertschöpfungsketten per se die wirtschaftliche Entwicklung und Wohlfahrt in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen fördere. Wirtschaftlicher Aufstieg misslingt, wenn transnationale Konzerne aus reicheren Ländern eine oligopolistische Machtstellung ausnutzen, um Preise zu drücken und den Anteil der Wertschöpfung in ärmeren Ländern zu minimieren. Und sozialer Aufstieg gelingt nicht, wenn weder nationale noch internationale Regeln für existenzsichernde Löhne, Gewerkschaftsfreiheit, Menschenrechte und Umweltschutz sorgen.  

Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Vertreibung, Repression von Gewerkschaften, Umweltzerstörung und Klimaschädigung sind das Gegenteil von nachhaltiger Entwicklung. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), bezeichnet die deutsche Enthaltung beim EU-Lieferkettengesetz daher zurecht als „moralisches Versagen“. Ein Scheitern des Gesetzes würde dem Ansehen des Wirtschaftsstandorts Deutschland schaden. 

Armin Paasch ist Referent für Verantwortliches Wirtschaften und Menschenrechte beim bischöflichen Hilfswerk Misereor. 
armin.paasch@misereor.de