Nachhaltigkeit

„Ich hoffe das Beste“

Peru muss sich den Auswirkungen der globalen Erwärmung ­stellen. Vor dem UN-Klimagipfel in Katar im Dezember hat Hans Dembowski darüber mit Gabriel Quijandría Acosta, dem stellver­tretenden peruanischen Umweltminister gesprochen.

Interview mit Gabriel Quijandría Acosta

Ihr Land ist vom Treibhauseffekt besonders betroffen. Gletscher in den Anden, auf denen die Wasserversorgung von Millionen Menschen beruht, schmelzen. Viele werden in den nächsten zehn Jahren ganz verschwinden. Braucht Peru Geld von Gebern, um mit den Folgen des Klimawandels fertig zu werden?
Es ist wirklich dramatisch. Sie hätten noch ergänzen können, dass der Meeresspiegel für uns wichtig ist, weil wir 3000 Kilometer Pazifikküste haben, oder dass wir tatsächlich mehr und heftigere Dürren und Fluten erleben. Wir sind auch immer noch ein armes Land. Geld wäre willkommen, aber es muss mit unseren eigenen Mitteln ergänzt werden. Wir müssen jetzt handeln, denn die Angelegenheit ist dringend. Wenn wir zögern, wird für die Bevölkerung alles nur noch schlimmer. Außerdem müssen wir die reiche Artenvielfalt schützen – sowohl in den Bergen als auch im Regenwald.

Geld für Anpassung wäre keine Entwicklungshilfe. Reiche Nationen haben den Klimawandel verursacht und sollten die Schäden begleichen. Besteht Ihre Regierung nicht darauf?
Doch, aber wir sind realistisch. Ein umfassendes Klima-Abkommen soll laut den Beschlüssen von Kopenhagen im Jahr 2009 erst 2015 geschlossen und dann 2020 in Kraft treten. Wir können uns nicht leisten, so lange zu warten und nur die entsprechenden Zahlungen einzufordern.

Aber haben Sie das Geld, das Sie brauchen?
In den vergangenen Jahren hatte Peru ein solides Wirtschaftswachstum, nicht zuletzt aufgrund hoher Rohstoffpreise. Das makroökonomische Management war gut, unser Haushalt ist gesund. Der Staat kann also etwas für den Umweltschutz tun. Per Gesetz stehen 17 Prozent unseres Territoriums unter Naturschutz. Es gibt verschiedene Nationalparks und Schutzgebiete. Sie sind wichtig für Artenvielfalt und Klima, denn das unmittelbare biologische Milieu prägt das Mikroklima.

Haben Sie genug ausgebildetes Personal, um auf 17 Prozent des Staatsgebiets strengen Naturschutz durchzusetzen?
Wir haben gute Leute, aber nicht genug. Und die werden wir wohl nie haben. 17 Prozent bedeutet sehr viel Land. Wir müssen lokale Gemeinschaften involvieren. Wenn die etwas davon haben, helfen sie uns, Nationalparks und Reservate zu schützen. Ein Beispiel ist die Reserva Nacional Salinas y Aguada Blanca in der Nähe der Stadt Arequipa. Dort gibt es 4300 Meter über dem Meeresspiegel auf einer Hochebene Seen, die sich aus Regenwasser speisen. Die Vegetation ist sehr karg, doch sie reicht, um Lamas und Alpakas zu halten. Etwa 8000 Indigene leben in der Reserva. Sie sind arm, aber sie verdienen genug, um zu überleben. Ein Teil ihres Einkommens hängt von wild lebenden Tieren ab, den Vicuñas. Diese sind mit Lamas und Alpakas verwandt, lassen sich aber nicht domestizieren. Ihre Wolle ist sehr wertvoll, sie kostet mehrere hundert Dollar pro Kilo. Die lokale Bevölkerung hat das exklusive Recht, Vicuñas einmal im Jahr mit Fischnetzen zu fangen, sie zu scheren und dann wieder frei zu lassen. Und nur sie darf Lamas und Alpakas auf der Hochebene grasen lassen. Diese ökonomischen Anreize hat sie zu Wächtern der Reserva gemacht.

Hat das eine Wirkung über das Naturschutzgebiet hinaus?
Ja, unbedingt. Die Wasserversorgung von Arequipa mit 1,2 Millionen Einwohnern hängt von der Reserva ab, und die Feuchtgebiete dort oben brauchen eine intakte Vegetation. Die Reserva braucht Schutz, damit Leute von außerhalb nicht kommen und die Pflanzen als Brennstoff verwenden. Das Ökosystem wäre schnell zerstört.

Dieses Modell ist ortsspezifisch. Sie können es woanders nicht kopieren, denn im Regenwald gibt es beispielsweise keine Vicuñas. Oft ist für Umweltschutz eine Art ökonomische Kompensation nötig. Kann Ökotourismus zum Beispiel genug einbringen, um die illegale Goldgewinnung im Regenwald einzudämmen?
Auf kurze Sicht sorgt illegaler Bergbau eindeutig für höhere Einnahmen. Ich bezweifle auch, dass Ökotourismus allein jemals genug Geld einbringen wird, um Naturschutz zu finanzieren. Wir müssen kreativ sein und Wege finden, wie wir Waldressourcen nachhaltig nutzen können. Damit wird zwar niemand schnell reich, aber langfristig ist es kein Nullsummenspiel. Im Gegensatz zur illegalen Rohstoffausbeute ist ein nachhaltiger Lebensstil nicht konfliktträchtig. Niemand hätte mehr Angst vor Polizei und Justiz. Die Polizei muss selbstverständlich für strikte Einhaltung der Gesetze sorgen, um illegale Aktivitäten zu unterbinden. Wir schränken diese aber auch ein, indem wir die Voraussetzungen dafür behindern, es beispielsweise erschweren, an nötige Hilfsmittel wie Quecksilber zu kommen. Gleichermaßen behalten wir die Transparenz der Finanzströme im Blick. Wir wollen an die Mittelsmänner herankommen, die am meisten vom illegalen Geschäft profitieren, aber nichts für die Menschen oder die Umwelt tun. Aber trotz alledem ist es wahr, dass die meisten illegalen Goldschürfer sehr arm sind. Wir müssen ihnen Alternativen bieten.

Auch der reguläre Bergbau kann umweltschädlich und nicht sozialverträglich sein. Auf diesen Sektor stützt sich aber Perus Ökonomie.
Das stimmt, und wir packen die Probleme an. Wir haben gerade neue Nachhaltigkeitsrichtlinien für die Rohstoffwirtschaft verabschiedet. An der Ausarbeitung waren neun Ministerien beteiligt und der Prozess war nicht leicht. Wir haben aber echte Fortschritte gemacht. Beispielsweise hat das Umweltministerium jetzt das letzte Wort bei Umweltverträglichkeitsprüfungen. Früher waren dafür die Fachministerien für Energie und Bergbau, Landwirtschaft, Produktion oder Transport zuständig, und deren Priorität war nicht Naturschutz, sondern Wachstum im jeweiligen Sektor.

Was ist noch neu?
Die Regierung muss anders auf Leute zugehen, die von neuen Minen betroffen sind. Früher kam da jemand vom Bergbauministerium vorbei und sagte, sie müssten umziehen, weil sie ihr Heim bald verlieren würden. In Zukunft wollen wir zuerst Kompensationen und Rehabilita­tion klären. Die Regierung muss dafür soziale Verantwortung übernehmen. In den neuen Richtlinien geht es aber auch um den effizienten Gebrauch von Wasser und andere Dinge.

Ist Peru der internationalen Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) beigetreten, die vorsieht, Daten über Erlöse mit Bodenschätzen zu veröffentlichen?
Ja, Peru macht bei EITI mit.

Zurück zum Naturschutz: Wer die Situation von Menschen verbessern will, für die der Wald die Lebensgrundlage bietet, muss ein Interesse an einem UN-Abkommen über REDD+ haben. Das Kürzel steht für Reducing Emissions from Forest Destruction and Degradation (Reduzierung der Emissionen aus Waldzerstörung und -verschlechterung). Es geht darum, Forstschutz mit handelbaren CO2-Zertifikaten zu belohnen. Hier scheinen die internationalen Klimaverhandlungen etwas voranzu­kommen.
Zunächst einmal sind in unseren Augen Wälder mehr als bloße CO2-Speicher. Sie beherbergen viele Spezies von Tieren und Pflanzen. Sie haben ökonomische und soziale Bedeutung. Wer darüber verhandelt, muss die Sache umfassend und holistisch betrachten. Aber natürlich ist jede zusätzliche Einnahmequelle willkommen.

Bis jetzt gibt es eine ganze Reihe bilateraler REDD+-Aktivitäten, aber kein multilaterales Abkommen als Grundlage für einen internationalen Emissionshandel.
Nein, dieser Markt existiert noch nicht, und ihn zu schaffen wird dauern. Die Sache ist ziemlich komplex. Wir brauchen Basisdaten. Wir müssen genau beurteilen, ob ein bestimmter Wald zusätzliches CO2 bindet oder nicht. Und noch einmal: Wir müssen auch andere Dinge wie die Biodiversität berücksichtigen. Es wäre zudem falsch, bilaterale Verträge geringzuschätzen. Wir werden auf diese Weise immerhin in den nächsten fünf Jahren insgesamt 300 bis 400 Millionen Dollar an internationalen Mitteln für unsere Wälder erhalten. Bilaterale Abkommen helfen uns, uns auf REDD+ vorzubereiten. In einer Kooperation mit Deutschland beispielsweise beschäftigen wir uns mit einem nationalen REDD+-Register und anderen Naturschutzaufgaben.

Seit Jahren gibt es kaum Fortschritte bei internationalen Klimaverhandlungen. Es gibt im Rahmen des Kyoto-Protokolls keine neuen Verpflichtungen, CO2 zu reduzieren, so dass der Clean Development Mechanism im internationalen Emissionshandel blockiert ist. Glauben Sie tatsächlich, dass 2015 ein umfassender Klimavertrag zustande kommt?
Es ist offensichtlich, dass das nicht leicht wird. Andererseits werden die wissenschaftlichen Belege immer erdrückender. Die Folgen des Klimawandels werden heftiger und sie sind auf der ganzen Welt zu spüren. Also hoffe ich das Beste.

_______________________________________

E+Z/D+C: Echo aus unserer Leserschaft:

Papier ist geduldig

Die Aussagen des peruanischen stellvertretenden Umweltministers zeichnen ein zu positives Bild. Das peruanische Parlament hat zwar die ILO-Konvention 169 zur Vorabkonsultation der Bevölkerung bei größeren Projekten, beispielsweise im Regenwald, beschlossen, es gibt aber noch keine Umsetzung. Die Umweltgefährdung in Peru ist drastisch: Über 60 Prozent des peruanischen Regenwaldes und über 50 Prozent des Andengebietes sind als Konzessionen an Konzerne vergeben für mögliche Produktion von Erdöl, Erdgas, Holzeinschlag, Gold, Kupferabbau et cetera. Das ist überlebensbedrohlich. Ein -kleines Beispiel: Am Ufer des Titicaca-Sees hat seit 1994 eine -staatliche russische Firma die Genehmigung, nach Erdöl zu bohren. Die Bevölkerung dort ist in großer Sorge. Informiert wurde sie nicht. Die Vorstellung der peruanischen Regierung, durch das Abkommen für einen internationalen Emissionshandel (REDD+) gäbe es Geld für die Inwert-setzung der Wälder und somit einen Schutz derselben, ist von den indigenen Organisationen Perus (AIDESEP) stark kritisiert worden. Sie haben Angst, mit diesem Programm vertrieben zu werden, da ihnen verboten wird, wie gewohnt zu fischen und kleine Felder zu bestellen. Papier ist geduldig, auch in Peru. Das große Thema -einer effektiven Raumordnung wird nicht angegangen. Heinz Schulze, Informationsstelle Peru e. V., Freiburg