Restitution

Geschichten zurückgeben

Afrika hat eine uralte Tradition der münd­lichen Überlieferungen. Davon ausgehend, haben vor allem Missionare Texte niedergeschrieben. Diese sind – wenn überhaupt – in Europa, aber kaum in ihren Ursprungsländern veröffentlicht worden.
Bücher enthalten immaterielle Schätze. Bibliothek der Universität von Zululand in Südafrika. picture-alliance/africamediaonline/John Robinson Bücher enthalten immaterielle Schätze. Bibliothek der Universität von Zululand in Südafrika.

Die Rückgabe der Benin-Bronzen nach Nigeria hat die Diskussion um materielle Restitution verstärkt. Bekanntlich fordern afrikanische Länder seit Längerem die Rückgabe von unrechtmäßig erworbenen Kulturgütern. Deren Verbleib in Europa beraubt sie um Teile ihrer Identität und Geschichte und legitimiert die koloniale Vergangenheit. Die Restitution ist eine Chance für Europa und die Herkunftsländer, den Kolonialismus aufzuarbeiten und eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.

In diesem Zusammenhang sollte auch der immateriellen Restitution durch Rückgabe von historischen Dokumenten und Texten der vielfältigen Oralliteratur sowie deren Publikation vor allem in den Ursprungsländern größere Beachtung geschenkt werden. In den Jahren 1998 und 2001 wurden bereits mit Unterstützung durch die deutsche Botschaft in Windhoek Bücher mit Texten in den namibischen Sprachen Ndonga und Kwangali publiziert. Diese Texte wurden unter anderem 1957 und 1975 in Deutschland, aber nicht im damaligen Südwestafrika veröffentlicht.

Von 1902 bis 1906 sammelte der deutsche Missionar Julius Augustiny kenianische Märchen der Kamba, die in den 1920er-Jahren in Kikamba in der „Zeitschrift für Eingeborenen-Sprachen“ vorgestellt wurden. 2012 wurden sie auf Kikamba mit pa­ralleler Kiswahili-Übersetzung in dem Buch „VAU TENE…“ („Es war einmal…“) in Tansania veröffentlicht.

Kikamba ist weitverbreitet in Kenia, wo die meisten der etwa 4,5 Millionen Kamba im zentralkenianischen Machakos County leben. Die Sprache wird auch in Tansania von etwa 12 000 Personen im Westen der Morogoro-Region gesprochen. Die zusätzliche Kiswahili-Übersetzung ermöglicht eine Verbreitung der Texte in ganz Ostafrika.

Rückgabe nach über 100 Jahren

Der ehemalige Rektor der Hubert Kairuki Memorial University in Daressalam, Keto Mshigeni, setzt sich nun für die Rückgabe eines Buches aus der deutschen Kolonialzeit über die ethnische Gemeinschaft der Pare ein. Im Jahr 1922 veröffentlichte der deutsche Missionar Ernst Kotz „Im Banne der Furcht“. Das Buch dokumentiert eine kaum bekannte Periode der regionalen Geschichte. Mshigeni bezeichnet Kotz‘ Buch, das zwischen 1905 und 1917 im Pare-Gebiet im damaligen Deutsch-Ostafrika entstanden ist, als ein wertvolles historisches Zeugnis. Es schließt sich an die Dokumente und Veröffentlichungen des prominenten tansanischen Historikers Isaria Kimambo an. Dieser hatte in den 1960er-Jahren durch Befragungen von Pare deren Geschichte bis zum 19. Jahrhundert rekonstruiert. Die deutsche Kolonialzeit hatte er jedoch nicht erfasst. Heute leben etwa 530 000 Pare (auch als Asu bekannt) in der Kilimanjaro-Region, vor allem in den Distrikten Same und Mwanga, und in den Regionen Manyara und Tanga.

Aufwendige Digitalisierung

Im Rahmen der immateriellen Restitution sollte die Digitalisierung der 223 Seiten Buchtext in Frakturschrift sowie dessen Übersetzung ins Englische und in die tansanische Nationalsprache Kiswahili durch deutsche Fördermittel ermöglicht werden. Deutsche Sponsoren konnten bislang nicht gefunden werden.

Die Übersetzung von „Im Banne der Furcht“ sowie die Herausgabe einer englischen und Kiswahili-Version wäre ein wichtiger Beitrag der immateriellen Restitution, um der Pare-Gemeinschaft und anderen Tansanier*innen eine bislang unzugängliche Periode ihrer Geschichte zu erschließen.

Karsten Legère ist emeritierter Professor für afrikanische Sprachen der Universität Göteborg.
karsten.legere@sprak.gu.se

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