Sexuell übertragbare Krankheiten
HIV/Aids plagt Südafrika weiterhin
Die Einführung der sogenannten antiretroviralen Medikamente (ARV) im Jahr 2004 hat die Aids-Situation in Südafrika erheblich verbessert. Ernst bleibt sie dennoch: Heute lebt etwa jede*r siebte Südafrikaner*in mit dem HI-Virus. Das ist die höchste Rate weltweit, auch wenn früher noch fast jede*r fünfte betroffen war. Knapp zwei Drittel der Infizierten werden mittlerweile mit ARV-Medikamenten behandelt, die den Ausbruch der gefährlichen Immunschwäche unterdrücken. Betroffene können so ein weitgehend normales Leben führen.
Neue Studien zeigen, dass die Infektionsrate bei Menschen über 40 Jahre überdurchschnittlich hoch ist (Mann-Goehler et al., 2024). In dieser Altersgruppe ist jede*r Vierte betroffen – und rund 37 Prozent von ihnen bekommen keine ARV-Medikamente. Besonders ernst ist die Lage in armen ländlichen Regionen mit oft geringem Bildungsniveau und starken traditionellen Normen.
Laut Wade Ngoza, Arzt am Mamelodi Regional Hospital in Pretoria, weisen die Forschungsergebnisse auf zwei miteinander verknüpfte Punkte hin: Positiv sei zum einen, dass 63 Prozent der älteren Patient*innen die benötigte medizinische Versorgung erhalten. Ngoza begrüßt auch, dass HIV-Infektionen landesweit zurückgehen, immer mehr Menschen ihren HIV-Status kennen und ARV-Medikamente weiterhin gut zum Einsatz kommen.
Andererseits stünden noch immer zu viele Patient*innen ohne ausreichende Versorgung da. Außerdem seien ältere Menschen besonders betroffen. Ngoza besorgt, dass die Dunkelziffer hoch sein könnte: „Wir wissen nicht, wie viele Ältere mit HIV leben, ohne es zu wissen und ohne sich getestet zu haben“, sagt er und fordert, Senior*innen nicht länger zu vernachlässigen.
Im Kampf gegen Aids lag der Fokus in Südafrika lange auf jungen Menschen. Kostenlose ARV-Behandlungen wurden 2004 eingeführt, zunächst nur für Personen unter 40 Jahren. Diese Altersklasse war auch Hauptzielgruppe für Aufklärungskampagnen zu Behandlung und Prävention.
Die Idee dahinter: Jüngere sind sexuell am aktivsten. „Durch Konzerte, Plakatwände, Zeitungsanzeigen, Festivals und Theateraufführungen wurde HIV verkürzt als Gefahr für junge Menschen in Südafrika dargestellt“, sagt der Sozialarbeiter Bromley Naka. Die Regierung nahm an, dass ältere Menschen kein riskantes Sexualverhalten zeigen und keine Drogen nehmen – und dass die Übertragung auch in anderen Altersgruppen aufhören würde, wenn HIV unter den 14- bis 24-Jährigen gestoppt würde.
Daten von UNAIDS zeigen, dass rund 30 Prozent aller Neuinfizierten in Südafrika im Jahr 2017 zwischen 14 und 24 Jahre alt waren und dass diese Altersgruppe somit am stärksten gefährdet ist. Das bedeutet aber auch: 70 Prozent der Neuinfektionen betreffen andere Altersgruppen, was unbedingt mehr beachtet werden sollte.
Altersbedingte Stigmatisierung
Es sei schon immer falsch gewesen zu glauben, ältere Menschen lebten nach höheren moralischen Standards als jüngere, sagt Naka. Eine Nebenwirkung: Das Stigma einer HIV-Infektion nahm mit dem Alter zu. Laut dem Sozialarbeiter wurden viele Senior*innen aus Scham nicht vorstellig und „starben zu Hause einen unnötigen Tod“.
Naka sagt, er kenne mehrere Fälle von Senior*innen, die berichten, sie seien von ihren Kindern verlassen worden, als ihre HIV-Infektion ans Licht kam und sich verschlechterte. Die darauffolgende Einsamkeit habe ihr Leid noch verschlimmert.
Eine Ursache dafür: Vielerorts werden Probleme eher vertuscht als angegangen. Der 63-jährige Pfarrer und HIV-Aktivist Welele Sikhosana erinnert sich: „Bei Beerdigungen älterer Menschen haben die Prediger*innen oft vorgegaukelt, die Todesursache sei Malaria – obwohl wir wussten, dass sie an einer unbehandelten HIV-Infektion gestorben sind.“ Er fügt hinzu, dass sich eine 65-jährige Großmutter schämen würde, wenn sie ihren Kindern und Enkelkindern erzählen müsse, sie benötige ARV-Medikamente, weil sie sich frisch mit HIV infiziert habe. Die Familie würde dies als moralisches Versagen betrachten. „Wir haben eine Lüge gelebt“, meint Sikhosana.
Eine ehemalige Sexarbeiterin klärt auf
Thembi Malaika (Name geändert) hat sich wahrscheinlich Ende 40 oder Anfang 50 mit HIV infiziert. Die pensionierte Sexarbeiterin ist heute 70 und lebt in Johannesburg. Sie sagt, HIV-Programme in Südafrika hätten „ältere Menschen von Anfang an schwer im Stich gelassen“. Schließlich sei offensichtlich gewesen, dass Prostituierte ein erhöhtes Risiko hätten und dass nicht alle von ihnen jung seien. Malaika zufolge hat sie bereits 33 Senior*innen, die älter als 59 waren, geholfen, mit ihren Familien offen über ihre HIV-Infektion zu sprechen.
Heute ist sie stolz darauf, dass sich auch ihretwegen langsam etwas geändert hat. „Es war ein harter Kampf“, erinnert sie sich. „Wir lagen im Sterben, haben uns geoutet und die Regierung damit konfrontiert.“ Heute sieht man auf Plakatwänden und in der Fernsehwerbung ältere Bürger*innen, die offen über ihre Infektion sprechen und dazu ermutigen, sich testen zu lassen und eine Krankenversicherung abzuschließen.
Doch auch wenn sich die Lage allmählich verbessert, besteht das Stigma weiter. Wenn sich 70-Jährige auf HIV testen lassen, müssen sie mit abfälligen Bemerkungen vom Gesundheitspersonal rechnen. Malaika sagt, sie kenne auch 70-Jährige, die die Medikamente heimlich einnehmen aus Sorge, von ihren Enkelkindern abgelehnt zu werden.
Nebenwirkungen der Armut
Auch Armut hat einen großen Einfluss. Senior*innen sind landesweit mit am stärksten von Hunger, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit betroffen, berichtet Brenda Wandiswa, die als Sozialarbeiterin für die Regierung von Gauteng arbeitet, der reichsten Provinz des Landes. Im Jahr 2019 hatten schätzungsweise 30 Prozent der älteren Bevölkerung nicht ausreichend Nahrung. Medien berichten von Senior*innen auf dem Land in der ärmsten Provinz Eastern Cape, die still und leise in ihren Hütten verhungern.
Am schlimmsten ist die Situation für jene, die zwar alt, aber jünger als 61 Jahre sind. Erst ab 61 Jahren hat man in Südafrika Anspruch auf eine kleine staatliche Rente, die bei umgerechnet 60 Dollar pro Monat beginnt. Für jene, die weder Rente beziehen noch anderweitig ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ist eine kontinuierliche ARV-Behandlung besonders schwierig. Wer Tag für Tag improvisieren muss, tut sich mit Routinen schwer. Die Medikamente sind zwar kostenlos, aber gerade in ländlichen Gebieten ist teils schon die Fahrt zur Klinik zu teuer.
Altersdiskriminierung und Stigmatisierung sollten einer ARV-Behandlung nicht länger im Weg stehen. Südafrika macht zwar Fortschritte, hat aber noch einen weiten Weg vor sich.
Link
Mann-Goehler, J., et al., 2024: HIV among older South Africans in rural areas.
https://theconversation.com/hiv-among-older-south-africans-in-rural-areas-big-study-shows-theres-a-problem-thats-being-neglected-222954
Michael Moyo ist ein afrikanischer Journalist, der nicht möchte, dass dieser Beitrag unter seinem echten Namen veröffentlicht wird.
euz.editor@dandc.eu