Armutsbekämpfung

Togos temporäres Grundeinkommen per SMS

Unter Krisen leiden arme Menschen, die von informeller Erwerbstätigkeit abhängen, besonders. Togo hat in der Corona-Pandemie zeitweilig ein innovatives Grundeinkommen per SMS eingeführt. Das ist der richtige Weg, um verwundbare Bevölkerungsgruppen vor ökonomischen Schocks zu schützen.
Straßenhändler in Lomé: Zeitweilig gab es in der Pandemie soziale Sicherung. picture-alliance/photothek/Ute Grabowsky Straßenhändler in Lomé: Zeitweilig gab es in der Pandemie soziale Sicherung.

Fortschritt und Moderne werden sichtbar, wenn Menschen rasend schnell um den Globus reisen, den Weltraum erforschen oder digital kommunizieren. Derweil berichtet das UN-Entwicklungsprogramm, dass 1,2 Milliarden Menschen in akuter Armut leben.

Die soziale Schere klafft weltweit immer weiter auseinander. Globale Trends wie Klimawandel, Inflation oder die anhaltenden Folgen von Covid-19 tragen dazu bei. Soziale Ungleichheit wächst in allen Ländern. In Entwicklungsländern fehlt es oft an grundlegenden Dingen wie dem Zugang zu sicherem Trinkwasser und Strom. Trotz allen technischen Fortschritts sind Gesundheitsversorgung und Lebensunterhalt aber auch in wohlhabenderen Nationen vielfach nicht gewährleistet.

Das muss nicht so sein. Es gibt Lösungen. Während der Corona-Pandemie führte die Regierung von Togo ein Grundeinkommen ein, zu dem bedürftige Menschen Zugang hatten.

Die Herausforderung einer Gesundheitskrise

Jede Krise birgt bekanntlich Chancen. Das bestätigte sich in der Covid-19-Krise. Der Schutz der Bevölkerung wurde zur politischen Priorität. Weltweit mussten Entscheidungsträger in Staat und Wirtschaft erfinderisch sein, um die Ausbreitung der Pandemie zu bremsen und die weitere Verarmung der Bevölkerung zu verhindern.

Länder mit hohen Einkommen erreichten das durch Subventionen für Unternehmen und den etablierten Methoden der Sozialpolitik. In vielen Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen war das so nicht möglich, weil ein Großteil der wirtschaftlichen Aktivität informell ist.

In Westafrika beispielsweise hängen über 80 Prozent der Bevölkerung von informeller Beschäftigung ab – ob an Marktständen, in kleinen Werkstätten oder auf den Feldern. Die Betriebe sind nicht registriert, und über die Arbeitsplätze gibt es keine zuverlässigen Daten. Die informelle Wirtschaft findet ohne staatliche Aufsicht, aber nicht im Verborgenen statt. Sie ist nicht illegal, nur weitgehend unreguliert.

Es werden weder Lohn- noch Unternehmenssteuern erhoben. Auch Sozialabgaben, mit denen Länder mit hohen Einkommen ihre Sicherungssysteme finanzieren, werden nicht entrichtet. Der Staat hat also weder Finanzmittel für umfassende Sozialpolitik noch die Daten, die nötig wären, um das Geld sinnvoll zu verteilen. In manchen Ländern gibt es allerdings inzwischen Krankenkassen, die als Versicherungsvereine auf Wechselseitigkeit funktionieren.

10 Euro pro Woche

Togo testete auf dem Höhepunkt der Corona-Krise im April 2020 eine neue Idee. Der Staat richtete ein Geldtransferprogramm mit dem Namen „Novissi“ ein. Das Wort bedeutet auf Ewe, einer in Togo weit verbreiteten Sprache, „Solidarität“.

Mit diversen Cash-Transfer-Programmen wird in manchen afrikanischen Ländern seit längerem ländliche Armut bekämpft. Der Vorteil ist, dass Empfänger eigenverantwortlich entscheiden können, wie sie das Geld am besten nutzen. Das ist effizienter, als Individuen, Haushalten oder Gemeinschaften bestimmte Sach- oder Dienstleistungen zukommen zu lassen.

Novissi war besonders ehrgeizig, weil es landesweit angeboten wurde und informell Tätige sowohl in ländlichen als auch städtischen Gebieten erreichte, sofern sie SMS senden und empfangen konnten. Dafür reicht ein Mobiltelefon der ersten Generation. Solche Geräte sind heute weit verbreitet. Fast alle haben heute ein Handy.

Wer Zugang zu Novissi haben wollte, musste sich mit der Nummer des Personalausweises oder des Wählerausweises identifizieren und die jeweilige informelle Tätigkeit angeben. Die Dokumentnummer wurde dann mit den staatlichen Datenbanken abgeglichen. Mit intelligenten, selbstlernenden Computerprogrammen ermittelte Novissi die ärmsten Gegenden und die am stärksten betroffenen Personen. Technische Unterstützung kam von der Weltbank und zwei US-Universitäten.

Wer als notleidende Person im informellen Sektor anerkannt wurde, erhielt dann per SMS einen Code zugeschickt, mit dem sich an Relaisstellen Bargeld abheben ließ. Das System war so einfach, dass auch Menschen ohne Zugang zu anderen Finanzdienstleistungen es nutzen konnten.

Je nach Geschlecht bekamen die Menschen unterschiedlich viel Geld. Frauen erhielten pro Transfer alle zwei Wochen 12 500 CFA-Francs (20 €), während Männer nur 10 500 CFA-Francs (16 €) erhielten. Der Grund für diese positive Diskriminierung war, dass Frauen in Togo überwiegend die tägliche Haushaltsführung leisten.

Anfang Februar 2023 waren laut der Novissi-Website 17 Prozent der Bevölkerung (1.6 Millionen Personen) registriert, und das Programm hatte an 820 000 Bedürftige umgerechnet rund 20 Millionen Euro ausgezahlt.

Die Kosten überfordern Togo

Anfang 2021 reduzierte die Regierung den Umfang des Programms wegen der hohen Kosten. Es war unter anderem von der Weltbank, der französischen Geberinstitution AFD und privaten Spendern über die Plattform Give Directly unterstützt worden. Zur kompletten Fortführung wären mehr internationale Mittel nötig gewesen. Togo hat keinen Mechanismus, um solch ein Sozialprogramm für alle bedürftigen Menschen auf Dauer allein zu stemmen.

Um Armut zu beseitigen, wie es die Entwicklungsziele der UN versprechen, brauchen alle Länder nachhaltige soziale Sicherung. Da ökonomische Schocks zunehmend auf globalen Trends wie ökologischem Wandel oder Inflation beruhen, brauchen wir globale Solidarität. Kleine Länder mit niedrigen Einkommen haben diese Probleme nicht verursacht, sind ihnen aber auf sich gestellt nicht gewachsen.

Link
Novissi:
https://novissi.gouv.tg/

Samir Abi ist Ökonom und leitet in Togo die zivilgesellschaftliche Organisation Visions Solidaires.
samirvstg@gmail.com

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