Landrückgabe

Unrecht wiedergutmachen

Fast 30 Jahre nach Beginn der Landreform ist der Besitz an Grund und Boden in Namibia noch immer ungleich verteilt – ein Erbe der Kolonialzeit. Es ist höchste Zeit, enteigneten Gemeinschaften Land zurückzugeben. Deutschland sollte das als ehemalige Kolonialmacht, die viel Blutvergießen zu verantworten hat, unterstützen.
Das meiste kommerziell genutzte Land besitzen weiterhin weiße Farmer. Remsberg Inc/picture-alliance/Design Pics Das meiste kommerziell genutzte Land besitzen weiterhin weiße Farmer.

Amtliche Statistiken dokumentieren die ungleiche Verteilung des Landbesitzes in Namibia: Weniger als 5000 (meist weiße) kommerzielle Farmer besitzen 48 Prozent des Landes. 35 Prozent sind für indigene Gemeinschaften reserviert, und von diesen Flächen hängen über 70 Prozent der Bevölkerung ab. Die übrigen 17 Prozent des Landes gehören dem Staat.

Diese Verteilung entspricht nicht den offiziellen Politikzielen. Die Regierung will eigentlich Land an die Nachkommen der in der Kolonialzeit Enteigneten übertragen. Auf der Agenda stehen die Umsiedlung der indigenen Bevölkerung sowie die freiwillige Abtretung von kommerziell genutztem Agrarland. Passiert ist bisher nicht viel. Land besitzen wie eh und je wenige Privilegierte, zu denen mittlerweile auch Mitglieder der politischen Klasse gehören (siehe Box).

Als ehemalige Kolonialmacht hat Deutschland die Verantwortung, zur Behebung dieses Missverhältnisses beizutragen. Die Machtausübung in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika war äußerst brutal (1884 bis 1915). Weiße wurden ermutigt, Farmen auf indigenem Land zu errichten. Der Widerstand der lokalen Ovaherero- und Nama-Gemeinschaften gegen Zwangsvertreibungen löste den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts aus, der von 1904 bis 1908 andauerte (siehe Joshua Kwesi Aikins im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Paper 2017/11). Die Damara waren ebenfalls betroffen. Überlebende wurden in Lager gesteckt und in Reservate gezwungen. Weiße Grundbesitzer eliminierten auch systematisch die San (Buschleute).

Der Landraub ging weiter, als 1915 Südafrika das Territorium besetzte und 1919 offiziell die Macht übernahm. Afrikaans sprechende weiße Farmer zogen in die „fünfte Provinz“. Bis in die 1960er Jahre wurden indigene Gemeinschaften unter der südafrikanischen Bantustan-Politik vertrieben und umgesiedelt. Für bestimmte ethnische Gruppen gab es euphemistisch als „Stammesgebiete“ bezeichnete Reservate.

Mit der Unabhängigkeit sollte die Würde der schwarzen Gemeinschaften wiederhergestellt werden. 1990 bildete die Befreiungsbewegung South-West Africa People’s Organisation (SWAPO) die neue Regierung einer souveränen Nation. Die Nationale Landkonferenz 1991 war ein vielversprechender Start, änderte aber am Landbesitz wenig. Die geplante Rückgabe an Enteignete scheiterte kläglich. Das Verfahren war langsam und begünstigte oft Akteure mit politischen Kontakten, aber ohne angestammte Ansprüche.

Wegen des Scheiterns gab es im Oktober 2018 eine zweite Landkonferenz, die stärker auf angestammte Ansprüche ausgerichtet war. Im Februar 2019 wurde eine 15-köpfige Kommission für Ahnenland ernannt. Sie empfahl im Dezember 2019, den Enteigneten Vorrang zu geben. Sie hielt fest: „Der Kolonialismus hat die Menschen ihrer Würde, ihrer kulturellen und sonstigen Grundrechte beraubt, und das erfordert dringend systematische Wiedergutmachung.“ Die Kommission schlug vor, „Reparationen der ehemaligen Kolonialmächte“ zu nutzen, um die Landreform zu unterstützen und soziale Gerechtigkeit wiederherzustellen.


Deutschlands Rolle

Die ehemaligen Kolonialmächte sind Deutschland und Südafrika. Sie haben riesigen Schaden angerichtet. Südafrikas Regierung ist allerdings selbst aus einem Freiheitskampf hervorgegangen und übernimmt keine Verpflichtung für das Handeln des früheren Apartheidregime. Das mindert aber selbstverständlich Deutschlands Verantwortung überhaupt nicht.

Von Journalisten gelöchert, räumte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes Mitte 2015 ein, dass die deutsche Kriegsführung in Namibia einem Völkermord gleichgekommen sei. Seitdem verhandeln Deutschland und Namibia über die Aufarbeitung dieses Unrechts. Die Bundesregierung hat keinen Reparationen zugestimmt und vermeidet sogar den Begriff „Reparationen“.

Dennoch verdient der Vorschlag der namibischen Kommission Beachtung. Tatsächlich könnte Deutschland für die Landrückgabe Mittel bereitstellen, die als Kompensationen für Farmer, die ihr Land nicht verkaufen wollen, dienen könnten.

Eine Rechtsgrundlage für eine solche Landumverteilung besteht. Zwar sind laut Namibias Verfassung alle Eigentumstitel, die zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit bestanden, geschützt. Aber Artikel 16 besagt klar: „Der Staat oder eine durch Gesetz ermächtigte zuständige Stelle oder ein durch Gesetz ermächtigtes Organ kann Eigentum im öffentlichen Interesse enteignen, sofern eine gerechte Entschädigung gezahlt wird, wobei Bedingungen und Vorgehen per Parlamentsbeschluss festlegt werden.“ Derartige Gesetze und Vorschriften bestehen, und 2008 legte der Oberste Gerichtshof Richtlinien zur Durchsetzung fest.

Die Finanzierung solch einer Umverteilungs- und Enteignungspolitik wäre ein vernünftiger erster Schritt. Darüber hinaus sollte Deutschland Investitionen in die ländliche Infrastruktur sowie in Agrar-Beratung mitfinanzieren, um die lokalen Gemeinschaften in die Lage zu versetzen, voll von der Umsiedlung zu profitieren. Die namibische Regierung müsste derweil gewährleisten, dass nur Nachkommen der Enteigneten und nicht politische Eliten von der Umverteilung profitieren.

Die Regierungen beider Länder wären gut beraten, solch eine Politik zu vereinbaren. Das würde nicht nur der Aussöhnung Deutschlands und Namibias dienen, sondern auch innerhalb Namibias Versöhnung fördern – zwischen den wirklich Entrechteten und denen, die nur vorgeben, es zu sein. Für Namibia würde das einen Neuanfang bedeuten, der das de­struktive Erbe des ungleichen Landbesitzes überwindet.

Der Begriff „Reparationen“ sollte niemanden abschrecken. Die deutsche Bundesregierung mag sich davor scheuen, weil das als Präzedenzfall für andere ehemalige Kolonialmächte verstanden werden könnte – und diese wollen keine Wiedergutmachung für vergangene Verbrechen zahlen (siehe Kehinde Andrews im Schwerpunkt des E+Z/E+C e-Paper 2017/11). Wie die namibische Ahnenland-Kommission aber richtig konstatiert, wird der Begriff „Reparation“ im internationalen Recht „in einem weiten Sinne verwendet“. Er kann für alles stehen, was dazu dient, „die verschiedenen Arten von Schäden, die Opfer erlitten haben, wiedergutzumachen“.

Land ist Identität, gestohlenes Land ist gestohlene Identität. Eigentumsrechte, die ein nach der kolonialen Landnahme institutionalisiertes Rechtssystem gewährt, mögen zwar gültig sein – aber unfair sind sie in jedem Fall. Das Unrecht der Vergangenheit muss korrigiert werden. Die Gespräche zwischen Deutschland und Namibia bieten dazu eine historische Chance.


Henning Melber ist emeritierter Direktor der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala, Schweden, und außerordentlicher Professor an der University of Pretoria und der University of the Free State in Bloemfontein. Er ist seit 1974 Mitglied der SWAPO (South West African People’s Organisation).
henning.melber@nai.uu.se

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