Agrarwende
Landwirtschaft ohne Emissionen
Der Ernährungssektor generiert mit allen vor- und nachgelagerten Bereichen laut Weltagrarbericht bis zu 37 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Methan- und Stickoxid-Emissionen stammen mit 44 beziehungsweise 82 Prozent vorrangig aus der Landwirtschaft.
Zuverlässige Berechnungen sind in diesem Sektor sehr schwierig. Genaue Zahlenangaben sind für diesen Beitrag aber gar nicht nötig. Wichtig ist Grundlagenwissen.
Einerseits binden Photosynthese und die organische Masse im Boden potenziell riesige Mengen an CO2 (negative Emissionen), andererseits können diese Emissionen durch das Ernten und Pflügen, die Abholzung, die Düngung und die Verdauung jederzeit wieder frei werden (Emissionen). Manche Bewirtschaftungsmodi maximieren negative Emissionen langfristig durch Humusaufbau oder in Holz. Das ist wünschenswert und unterscheidet industrielle von klimaschonender Bewirtschaftung.
Ein humusreicher Boden oder ein Wald können jahrhundertelang bestehen. Sie sind dauerhafte CO2-Senken. Dieser Mechanismus sollte unter anderem genutzt werden, um die Zeit zu gewinnen, die nötig ist, um die gesamte Weltwirtschaft auf null Emissionen umzustellen (zum IPCC-Sonderbericht Klimawandel und Landsysteme siehe auch Katja Dombrowski in E+Z/D+C e-Paper 2019/09, Monitor).
Die Umwandlung von Wald- und Naturflächen in Ackerland verursacht bislang die meisten agrarischen Klimaemissionen. An zweiter Stelle stehen die Methangasemissionen durch die Rinderhaltung und den Nassreisanbau. Im Pflanzenbau dominieren dagegen Emissionen durch mineralische Stickstoffdüngung und deren Herstellung. Eine weitere wichtige Rolle spielen die organischen Dünger. Für das Pflanzenwachstum genutzt, erzeugen die Exkremente negative Emissionen, da sie deren Nährstoffversorgung sichern und den Boden mit organischem Material anreichern und Mineraldünger gespart wird. Ungenutzt emittieren sie dagegen durch Verflüchtigung, Auswaschung und Zersetzung Kohlenstoff und Stickstoff.
Um die Emissionen durch Flächenumwandlungen zu begrenzen, ist folgende Grundorientierung wichtig:
- Es müssen möglichst viele Wälder und andere Ökosysteme als CO2-Senken erhalten bleiben und andere Kernfunktionen weiter erfüllen. Daraus folgt, dass die gegebenen landwirtschaftlichen Flächen nicht nur nachhaltig, sondern auch möglichst produktiv bewirtschaftet werden müssen.
- Auf Ackerflächen wachsen entweder Nahrungsmittel für Menschen oder Futter für Tiere und Rohstoffe für Bioenergie. Dieses Konkurrenzverhältnis nimmt zu. Da die Weltbevölkerung wächst, können wir es uns klimapolitisch nicht leisten, den Fleischkonsum der Menschheit unbegrenzt ansteigen zu lassen.
Die Forderung nach hoher landwirtschaftlicher Produktivität bedeutet nicht, dass immer mehr Input gebraucht würde. Es gibt an zahlreichen Stellen große Einsparpotenziale. Für die Transformation der Landwirtschaft zur Nachhaltigkeit gelten folgende Ziele und Prinzipien:
- Es ist möglich und nötig, alle ausreichend und gesund zu ernähren.
- Negative Emissionen müssen verstärkt werden (Humus, Leguminosen, Agroforst).
- Nährstoffkreisläufe müssen geschlossen werden, Synergien erzeugt werden.
- Klimagerechtigkeit erfordert bessere Wachstumschancen für die afrikanische Landwirtschaft – und daher müssten für sie Düngemittelbudgets bereitgestellt werden.
- Technische, institutionelle und soziale Innovationen müssen zur nachhaltigen Effizienzsteigerung der Landwirtschaft beitragen.
Transformation des Pflanzenbaus und der Flächennutzung
Fangen wir mit dem Stickstoff an. Er ist nach Wasser der wichtigste Wachstumsfaktor. Deshalb wird immer mehr Mineraldünger eingesetzt. Seine Produktion und Applikation erzeugen hohe Emissionen. Der Einsatz könnte halbiert werden, wenn:
- die Applikation gezielt wäre,
- gute Mistwirtschaft betrieben würde, und
- Leguminosen, die Stickstoff aus der Luft binden, stärker in der Fruchtfolge verwendet würden.
Leguminosen sind sogenannte Eiweißpflanzen wie Erbsen, Bohnen, Soja, Erdnüsse, Klee sowie zahlreiche Strauch-, Baum- und Algenarten. Sie sind ein wichtiger Teil der Problemlösung. Diese Pflanzen tragen Knöllchenbakterien an ihren Wurzeln (Rhizobien) und sind dadurch in der Lage, Luftstickstoff zu fixieren und damit ihren eigenen Bedarf prinzipiell zu decken – mit positiver Wirkung auf die Nachfolge- oder Mischkultur. Würde dieser natürliche Mechanismus stärker genutzt, könnten relevante Stickstoffmengen durch negative Emissionen erzeugt werden. Es gibt Synergien für Ernährung und Bodenqualität. Eiweißpflanzen tragen zu einer gesunden Ernährung bei, und die Erweiterung der Fruchtfolge reduziert den Krankheits- und Schädlingsbefall. Richtige Bewirtschaftung, etwa mit Nutzung der pflanzlichen Biomasse als Mulch, kann dank Leguminosen die natürliche Bodenfruchtbarkeit verbessern und die Humusbildung anregen.
Leider steigt aber der Einsatz von Mineraldünger weltweit an. Die große Ausnahme bildet dabei Afrika. Auf diesem Kontinent wird lediglich ein Bruchteil der Mengen pro Hektar des Weltdurchschnitts ausgebracht. Gründe sind der hohe Preis und die geringe Verfügbarkeit. Die meisten afrikanischen Länder müssen Mineraldünger importieren, da sie selbst kaum Dünger produzieren. Deshalb – und wegen der hohen Transportkosten – ist Dünger in Afrika teurer als in anderen Weltgegenden. In der Regel können afrikanische Kleinbauern sich keinen Mineraldünger leisten – jedenfalls nicht über die kleinen, staatlich subventionierten Mengen hinaus.
Ganz ohne zusätzlichen Mineraldünger ist jedoch die Produktivitätssteigerung, die Afrika dringend braucht, kaum denkbar. Deshalb braucht die afrikanische Landwirtschaft Zugang zu günstigen Mineraldüngemitteln, um die Produktivität steigern zu können. Das bedeutet, dass anderswo der Einsatz reduziert werden muss, um zusätzliche Klimagasemissionen zu vermeiden. Mit anderen Worten: der Einsatz von Mineraldünger muss weltweit budgetiert werden. Die Umverteilung zugunsten Afrikas ist nicht zuletzt deshalb nötig, weil die Bevölkerung dort schnell wächst – und die landwirtschaftliche Produktivität mithalten muss.
Im Gegenzug müssen der globale Norden und manche Schwellenländer ihren hohen Mineraldüngemitteleinsatz reduzieren. Dazu würde zum Beispiel die Verteuerung des Düngers durch Stickstoff-Besteuerung beitragen. Das könnte eine Wende hin zu mehr Leguminosenanbau, Mulchen und organischer Düngung mit tierischen Exkrementen (inklusive Mist) einleiten. Hinzu käme die Verwendung vorgereinigter Abwässer aus der Siedlungswasserwirtschaft als übersektoraler Ansatz, mit dessen Hilfe Nährstoffkreisläufe geschlossen und Synergien erzeugt werden können.
Mehr Früchte und Nüsse
Heute produziert die Menschheit laut Pablo Tittonell, Professor für Agrarökologie, 40 Prozent mehr Getreide, als für eine sichere und gesunde Ernährung eigentlich benötigt wird. Es ist zwar wichtig, Getreidereserven für Katastrophenfälle zu haben, aber 40 Prozent des jährlichen Gesamtbedarfs sind sicherlich zu viel. Der Getreideanteil könnte also zugunsten des Anbaus diverser anderer Kulturarten zurückgefahren werden.
Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht würde die Menschheit laut Tittonell außerdem mit einer Halbierung der Rinderbestände auskommen. Das würde auch zu gesünderer Ernährung führen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Hier geht es nicht um afrikanische Kleinbauern, die ihre wenigen Tiere in der Regel unbedingt brauchen, um wirtschaften zu können. Es geht um die industriellen Mastbetriebe in Europa, Lateinamerika und anderswo, die zu einem Übermaß an Emissionen sowie zur Über- und Fehlernährung einer großen Anzahl von Menschen führen.
Um die Menschheit gesünder zu ernähren, wären mehr Früchte und Nüsse nützlicher als die Expansion der industriellen Rindermast. Eine solche Ernährung hätte zudem den Effekt, dass die Bäume und Sträucher, an denen Nüsse und Früchte wachsen, CO2 binden würden. Die Lösung ist im Kern ganz einfach: Ein Gutteil der heutigen Futterflächen für Rinder müsste mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt werden. Dadurch würden die Methan-Emissionen drastisch reduziert und CO2 gebunden.
Solch eine Transformation braucht Zeit – und vor allem kluge Politik und kompetente Aufklärung. Die Lenkungsinstrumente und Anreize müssten so gesetzt werden, dass sich diese Transformation ihren Weg selbst bahnt, ganz ohne Verbote und letztlich mit wenig Verzicht.
Der Nassreisanbau ist ein sehr wichtiger Bereich der Nahrungsmittelproduktion, der wegen seiner Methangas-Emissionen ebenfalls klimarelevant ist. Eine Möglichkeit zur Senkung der Emissionen ist ein effizienterer Anbau durch die Kombination mit Azolla (einer Schwimmalge und Leguminose) und mit der Fischproduktion. Zudem können durch die Reis- oder Wurzelintensivierung Emissionen reduziert werden, denn mit geringeren Mengen an Saatgut können hiermit höhere Erträge erzielt werden. Der Methanausstoß pro Kilogramm Reis kann so gesenkt werden. Derzeit wird außerdem intensiv an Sorten mit geringerem Methanausstoß geforscht.
Der Boden als CO2-Senke
Ein zentraler Aspekt für eine klimaneutrale Landwirtschaft ist weiterhin die Umstellung der Bodenbewirtschaftung. Neben weniger Mineraldüngung müssen Bauern die strohlose Gülleapplikation unterlassen und stattdessen Mist ausbringen. Hierdurch können Emissionen sowie Auswaschungen reduziert werden. Ziel ist dabei, einen humosen, fruchtbaren Ackerboden zu schaffen, der reich an organischer Masse sowie dem dazugehörigen Bodenleben ist. Solch ein Boden ist gleichzeitig eine CO2-Senke. Ein wichtiges Politikinstrument, um dies zu erreichen, ist die Wiedereinführung einer flächengebundenen Tierhaltung. Dabei wird die Anzahl der zulässigen Tiere an die Größe der Betriebsfläche gebunden, die damit sorgenfrei organisch gedüngt werden kann. Diese Politik macht Fleisch teurer.
Ein organisch gesättigter Boden sollte zudem nicht gepflügt werden, denn der gebundene Kohlenstoff kann dadurch wieder frei werden. Darüber hinaus ist ein Boden immer vor Wind und Wetter zu schützen, damit er weder austrocknet noch erodiert. Konservierende Landwirtschaft (Conservation Agriculture – CA) erfüllt alle diese Bedingungen. CA ist in den USA und Lateinamerika schon weit verbreitet, jedoch wird sie dort in Kombination mit Glyphosat zur Unkrautbekämpfung durchgeführt. Unkräuter sind die große Herausforderung des CA-Ansatzes, denn bei einer pfluglosen Wirtschaft werden sie nicht mehr untergepflügt. Der Einsatz von Glyphosat ist jedoch keineswegs zwingend, wie die Praxis in Afrika zeigt. Einziger Nachteil: CA ist arbeits- und wissensintensiv. Mit Hilfe technischer Innovationen und Ausbildung dürfte dieses Problem jedoch zu lösen sein.
Nährstoffkreisläufe schließen
Eine emissionsfreie Landwirtschaft erfordert zudem den Einsatz von behandelten Siedlungsabwässern und andere sektorübergreifende Ansätze, die nichtagrarische Praktiken mit betreffen. Siedlungsabwässer enthalten Stickstoff und Phosphate. Werden sie für das Pflanzenwachstum genutzt, werden Nährstoffkreisläufe geschlossen.
Solche übergreifenden Ansätze können auch gesellschaftliche Dimensionen haben. Zum Beispiel könnten im Sahel Viehzüchter und Landwirte zusammenarbeiten, indem Landwirte den Dung nutzen und Viehzüchter die Erntereste ihrem Vieh geben. Solche Win-win-Konstellationen waren traditionell verankert, gingen aber verloren. Sie sollten wiederbelebt werden.
All diese Maßnahmen zum Klimaschutz erzeugen positive Synergien. (Weitere standortgerechte Möglichkeiten hat Michaela Schaller unter dem Stichwort Climate-Smart-Agriculture in der Tribüne des E+Z/D+C e-Papers 2017/11 dargestellt.)
Wirksame politische Rahmensetzungen verbunden mit gesellschaftlicher Aufbruchstimmung könnten diese Änderungen weltweit erreichen. Dies würde zur Klimaneutralität oder sogar zu negativen Gesamtemissionen im Sektor führen und gleichzeitig eine ausreichende und gesündere Ernährung ermöglichen.
Fehlender politischer Wille
Wichtigster Treiber für eine klimaneutrale Landwirtschaft ist die gesellschaftliche Bewusstwerdung und der politische Wille. Effektive Anreize, Steuern und die Umverteilung der Subventionen, zum Beispiel von der Flächensubvention der Landwirtschaft hin zur Bezahlung von Umweltdienstleistungen, sind die Voraussetzung dafür, dass auch die Privatwirtschaft umschwenkt. Sie muss die Wende mitvollziehen und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Innovationen kreieren.
Der globale Norden, der den Klimawandel bisher weitgehend verschuldet hat, muss große Anteile der Agrarwende bezahlen. Wenn sich dadurch im globalen Süden eine Chance für Menschen auf dem Land ergäbe, wäre der Nutzen immens: Das Leben auf dem Land böte wieder Perspektiven. Dies wäre dann auch eine tatsächliche Fluchtursachenbekämpfung.
Links
Weltagrarbericht:
https://www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichts/klima-und-energie.html
Pablo Tittonells TED-Talk „Feeding the World with Agroecology“:
https://www.youtube.com/watch?v=wvxi4mN-Za0
Susanne Neubert ist Agrarökonomin und Ökologin und Leiterin des Seminars für Ländliche Entwicklung (SLE) an der Humboldt Universität zu Berlin. Seit dem 1. November 2019 arbeitet die Autorin im Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU) am Hauptgutachten Klimawandel und Landnutzung mit.
susanne.neubert@agrar.hu-berlin.de