Extremwetter
Die Klimafolgen verschärfen Pakistans bestehende Probleme
Die Überschwemmungen in Pakistan diesen Sommer haben viel zerstört. Bis Mitte Oktober beliefen sich die Schäden auf mehr als 30 Milliarden US-Dollar, es gab mindestens 1700 Tote. Die Landesregierung schätzt, dass 2,3 Millionen Häuser und mehr als 13 000 Kilometer Straße weggespült oder beschädigt wurden. Laut UN wurden mindestens 7,9 Millionen Menschen vertrieben.
Auch die Landwirtschaft traf es landesweit hart, sodass weniger Gemüse, Obst und Getreide zur Verfügung stehen. Wegen steigender Preise können sich viele Menschen das Nötigste nicht mehr leisten. Wie die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) berichtet, sind etwa 2,6 Millionen Hektar Kulturland betroffen – etwas mehr als ein Drittel der Agrarnutzfläche des Landes. Auch die Baumwollproduktion, die vielen das Überleben sichert, ist beeinträchtigt (siehe hierzu meinen Beitrag auf www.dandc.eu).
Teils standen Äcker noch Anfang Oktober unter Wasser, sodass dort keine Feldfrüchte für die nächste Saison gesät werden konnten. Die Fluten zerstörten vielerorts auch Bewässerungsinfrastruktur, Maschinen sowie Saatgut- und Düngemittelvorräte, deshalb wird die Produktivität mancher Agrarbetriebe sinken. Der FAO nach müssen die Prognosen für die Produktion von Reis, Mais, Sorghum und Hirse nach unten korrigiert werden.
Viehbestand geht zurück
Auch 1,2 Millionen Nutztiere sind verendet. Milch und Fleisch sind knapper geworden, was die Ernährungsprobleme verschärft. Das geringere Angebot führt zu einem Preisanstieg bei eiweißreichen Lebensmitteln und steigert so die Inflation, die schon vor der Katastrophe ein Problem war.
Es war nicht das erste Extremwetterereignis in diesem Jahr. Laut Abid Qaiyum Suleri vom unabhängigen Thinktank Sustainable Development Policy Institute (SDPI) mit Sitz in Islamabad hatten zuvor bereits Hitzewellen die erwartbare Weizenernte um 30 Prozent gesenkt.
Er meint, die Überflutungen hätten der Wirtschaft das Genick gebrochen und insbesondere die Ernährungssicherheit beeinträchtigt. Wie Suleri betont, hängt diese ab von:
- einem ausreichenden Angebot,
- einer ausreichenden Kaufkraft der Bevölkerung und
- davon, inwiefern die Menschen körperlich dazu in der Lage sind, Nahrung aufzunehmen.
Die Klimakrise wirke sich auf alle drei Bereiche aus, sagt er. Durch schlechtere Ernten sinkt das Angebot, sodass steigende Preise die Kaufkraft der Menschen beeinträchtigen. In vielen Flutgebieten verderben sich die Menschen zudem ihr Verdauungssystem durch den Mangel an frischem Trinkwasser, was wiederum ihre Nahrungsaufnahme beeinträchtigt. In der bevölkerungsreichen südlichen Provinz Sindh werde der Zugang zu sauberem Trinkwasser voraussichtlich erst in fünf Monaten wieder hergestellt sein, schätzt Suleri.
Gesundheitssystem in der Krise
Durch Wasser übertragene Krankheiten haben sich rasant ausgebreitet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzte im Oktober, dass rund 8 Millionen Menschen medizinische Hilfe benötigten. Moskitos konnten in stehendem Wasser und mangelhaften sanitären Einrichtungen gut brüten. Von Juli bis Oktober gab es laut Richard Brennan von der WHO mehr als 540 000 gemeldete Malariafälle. Auch Durchfallerkrankungen sind ein großes Risiko. Es gab auch Ausbrüche von Denguefieber, Masern und Diphtherie. Besorgt ist Brennan zudem über die hohe Zahl akut unterernährter Menschen. Unter solchen Folgen von Katastrophen leiden besonders Frauen und Mädchen (siehe Sundus Saleemi auf www.dandc.eu).
Das US-Agrarministerium schätzt, dass 2021 knapp 40 Prozent der Menschen unter Ernährungsunsicherheit litten. Regierungsangaben zufolge lebten zu Jahresbeginn etwa 55 Millionen Menschen in Pakistan unterhalb der Armutsgrenze. Die Weltbank geht davon aus, dass diese Zahl durch die Flutkatastrophe um weitere 9 Millionen ansteigen könnte.
Schlechte Regierungsführung ist seit langem ein Problem in Pakistan. Es wurde schlicht zu wenig getan, um das Land auf die Klimakrise vorzubereiten (siehe meinen Beitrag hierzu auf www.dandc.eu). Obwohl Pakistan nur wenig zur globalen Erwärmung beigetragen hat, verschärfen die Folgen nun alle bereits bestehenden Probleme (siehe Sundus Saleemi auf www.dandc.eu).
Etliche große Herausforderungen
Die Mehrfachkrise ist entmutigend. Die pakistanische Mehrparteienregierung ist schwach, und der von ihr zu Jahresbeginn demokratisch abgesetzte populistische Premierminister Imran Khan wurde kürzlich bei einem Anschlag verwundet. Die politische Lage ist angespannt, die Verschuldung schwierig. Die Klimakrise, zu der Pakistan kaum beigetragen hat, verschlimmert alles.
Die makroökonomische Stabilität ist fragil. Die Inflation liegt im zweistelligen Bereich, dazu tragen internationale Entwicklungen bei, etwa der starke Dollar, hohe Ölpreise und steigende Lebensmittelpreise. Auch die Staatsverschuldung ist ein wichtiges Thema. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat im August ein Kreditprogramm wieder aufgenommen, aber auch dieses Geld wird zurückgezahlt werden müssen.
Anfang Oktober setzte die Ratingagentur Moody’s Pakistans Kreditwürdigkeit um eine Stufe herab – wegen erhöhter Risiken aufgrund der mangelnden Liquidität der Regierung, der Anfälligkeit gegenüber externen Faktoren und der mangelnden Fähigkeit, aufgenommene Schulden zu schultern. Die Regierung hat das angefochten. Sie schätzte die wirtschaftlichen Verluste durch die Überflutung auf 30 Milliarden US-Dollar.
Im Oktober erhöhten die UN ihren Hilfsappell für Pakistan von 160 Millionen auf 816 Millionen US-Dollar. Die Angst vor wachsendem Hunger steigt. Das Land ist jetzt dringend auf Hilfe angewiesen.
Imran Mukhtar ist Journalist in Islamabad.
imranmukhtar@live.com
Twitter: @imranmukhtar