Editorial
Sozialer Aufstieg
Von Hans Dembowski
2011 veröffentlichte das Paar das Buch „Poor Economics“. Es greift interessante Themen auf. Auf empirischer Basis wird zum Beispiel ausgeführt, dass Mikrokredite einerseits armen Menschen helfen, ihre knappen Mittel zu managen, dass Mikrofinanzprogramme aber nicht risikofreundlich genug konzipiert sind, um das Entstehen starker mittelständischer Firmen zu fördern. Banerjee und Duflo meinen, die eigentliche Herausforderung sei heute, Finanzkonzepte zu finden, die mehr als Mikrounternehmungen ermöglichen. Das ist plausibler als die Lobhudelei, die lange Zeit Mikrokredite als Allheilmittel gegen Armut pries – und plausibler als die vernichtenden Urteile, die nach dem Ausbruch der Mikrofinanzkrise in Indien vor zwei Jahren üblich wurden.
Wissenschaftler müssen sich auf ihr Gebiet konzentrieren. Die beiden MIT-Professoren haben denn auch wenig zu Makroökonomie, Justizreform oder Klimawandel zu sagen. Sie müssen auch nicht auf alles eine Antwort haben, um exzellente Wissenschaftler zu sein. Ihre Arbeit ist in vieler Hinsicht vorbildlich:
– Sie beruht auf empirischen Daten und verbessert bestehende Theorien.
– Sie führt zu neuen Einsichten über menschliches Leben.
– Sie bietet Rat für Regierungen, Unternehmen und Zivilgesellschaft.
– Sie untersucht soziale Probleme ohne an nationalen Grenzen Halt zu machen.
– Sie stützt sich auf ein weltweites Forschungsnetzwerk unter Einschluss vieler Institute in Entwicklungsländern.
– Sie stellt gewohntes Wissen in Frage und lädt zu kritischem Denken ein.
Aus diesen Gründen ist Wissenschaft für Entwicklung relevant. Akademische Freiheit ist die Wurzel der Bürgerrechte, denn demokratische Entscheidungsfindung braucht den rationalen Diskurs, der nirgends so systematisch gepflegt wird wie an Hochschulen. Es ist kein Zufall, dass soziale Bewegungen oft von Universitäten ausgehen und meist intellektuell kompetente Führungspersönlichkeiten brauchen.
Es geht um noch mehr. Aufstiegschancen haben in den reichen Nationen seit mehr als 100 Jahren viel mit Hochschulbildung zu tun. Im großen Stil begann das, als wissenschaftsbasierte Industriezweige wie Chemie und Elektrotechnik Ende des 19. Jahrhunderts zu den wichtigsten Branchen aufstiegen. Die Bedeutung akademischen Lernens nimmt im Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft derweil weiter zu.
Auch in den Entwicklungsländern wissen die Menschen, dass Berufs- und Karrierechancen vom Ausbildungsniveau abhängen. Viele sind bereit, Studiengebühren zu zahlen. Noch mehr sind dafür zu arm. Deshalb protestieren Studenten in Chile und anderen Ländern Lateinamerikas seit einiger Zeit für freien oder zumindest leichteren Zugang zu Hochschulen. Der Staat muss für breiten Zugang zu den Hochschulen sorgen – aber nicht zulasten der Qualität.