Gewässerschutz
Justiz springt im Umweltschutz zu kurz
2016 beklagte ein Zeitungsartikel den traurigen Zustand des Turag am Stadtrand von Dhaka. Umweltverschmutzung, Sandentnahme und Bebauung hatten ihm zugesetzt. Eine regierungsunabhängige Organisation zog deswegen vor Gericht, was in Südasien häufig passiert (siehe Artikel von Arpeeta S. Mizan und mir im Schwerpunkt von E+Z/D+C e-Paper 2017/11).
Die Aktivisten sagten vor Gericht, die Zerstörung des Flusses gefährde Menschenleben. Bangladesch liegt im Delta von Ganges und Brahmaputra, und das dichtbevölkerte Land erlebt oft Überschwemmungen. Im Zuge der Klimakrise nehmen aber auch Probleme mit der Wasserversorgung zu.
Juristische Verfahren dauern lang. 2016 ordneten die Richter den Abriss der illegalen Uferbebauung an, und 2017 zählte dann ein vom Gericht eingesetzter Berichterstatter 30 solcher Strukturen. In früheren Urteilen hatten Richter die lebenswichtige Relevanz von Flüssen anerkannt und Zerstörung für illegal erklärt, Unternehmer hatten aber dagegengehalten, ihre Betriebe seien legal und durch Grundrechte gesichert.
Deshalb entschied die High-Court-Abteilung des Supreme Court 2019, alle Flüsse seien mit Blick auf Ökofragen als Rechtspersonen zu betrachten. Anders sei der Turag nicht zu retten. Das Urteil machte Bangladesch zum ersten Land, das all seinen Flüssen Rechte zusprach. Der Schritt war interessanter und innovativ.
Die Idee, Wäldern, Ozeanen und anderen Ökosystemen Rechtsansprüche zu geben, kam in den 1970er Jahren auf, blieb aber lange reine Theorie. Erst in diesem Jahrtausend wurden entsprechende Gesetze verabschiedet – und zwar in Ecuador, Bolivien, Neuseeland und einigen US-Staaten.
Ein indischer High Court gab 2017 zwei Flüssen – Ganges und Yamuna – den Status von Rechtspersonen. Das Urteil trat aber nicht in Kraft, nachdem eine Landesregierung wissen wollte, was denn zu tun sei, falls Hochwassergeschädigte vom Fluss Schadenersatz fordern sollten.
Diese Frage – und wichtige andere – bleiben auch in Bangladesch ungeklärt. Ein Fluss mag Rechte haben, kann sie aber nicht reklamieren. Die Existenz von Flüssen muss gewahrt werden, wofür aber Menschen sorgen müssen.
Das 283 Seiten lange Urteil des Gerichts in Dhaka gilt vielen als historisch. Eine Berufung wurde auch bereits abgewiesen. Dennoch bleiben viele Dinge unklar. Bangladeschis mag gefallen, wie das Urteil ein bekanntes Sprichwort zitiert, nachdem Wasser „ein anderer Name von ‚Leben‘ ist“, oder den „Beitrag“ der Flüsse im Befreiungskrieg von 1971 lobt. Derlei hilft auch sicherlich, öffentliches Problembewusstsein schaffen. Im Alltag hat es aber keine unmittelbaren Folgen.
Aus gutem Grund haben die Richter die Regierung aufgefordert, die bestehende Gewässerschutzbehörde unabhängig und effizient zu machen. Das ist sinnvoll. Grundsätzlich müssen staatliche Behörden verantwortlich und transparent agieren. Es ist in diesem Zusammenhang sinnvoll, Klagen zivilgesellschaftlicher Organisationen gegen staatliche Akteure zuzulassen, wenn Letztere ihre Pflichten nicht erfüllen. Dafür braucht aber kein Fluss den Status einer Rechtsperson.
Das Urteil bekam viel Lob, aber als weltweit richtungsweisend erwies es sich nicht. Wirksamer Natur- und Umweltschutz erfordert starke Behörden mit klarem Auftrag. Die Richter haben Schritte in diese Richtung unternommen, hätten aber mehr tun können. Flüsse zu Rechtspersonen zu erklären ist hübsch, doch letztlich nur symbolisch. Leider bleibt der Zustand vieler Flüsse in Bangladesch, einschließlich auch des Turag, deprimierend.
Ridwanul Hoque ist Juraprofessor an der University of Dhaka und zurzeit Gastprofessor an der Charles Darwin University in Australien.
ridwandulaw@gmail.com
Korrektur, 25.11.2020, 10:00 MEZ: Die Jahreszahle des Befreiungskriegs von Bangladesh wurde auf Grund eines von der Redaktions zu verantwortenden Fehlers mit 1991 statt 1971 angegeben. Ridwanul Hoque hat uns jetzt darauf hingewiesen und das Manuskript wurde entsprechend korrigiert.