Afrika

Programmierte Katastrophen

In Entwicklungsländern können sich arme Menschen Arbeitslosigkeit nicht leisten. Sie müssen Geld verdienen – egal, wie prekär ihre Jobs auch sein mögen –, weil die soziale Sicherung schwach oder nicht existent ist. Im informellen Sektor werden Menschen massenhaft ausgebeutet. Sie sind unterbeschäftigt, weil sie nicht angemessen bezahlt werden und international anerkannte Arbeitnehmerrechte für sie nicht gelten.
Nur ein kleiner Teil der afrikanischen Jugend fühlt sich von religiösem Fanatismus angezogen, doch dessen gewalttätige Milizen scheinen zu wachsen: Al-Shabab-Kämpfer in Somalia 2008. picture-alliance / dpa Nur ein kleiner Teil der afrikanischen Jugend fühlt sich von religiösem Fanatismus angezogen, doch dessen gewalttätige Milizen scheinen zu wachsen: Al-Shabab-Kämpfer in Somalia 2008.

Entsprechend ist Arbeitslosigkeit in Afrika ein Phänomen der gebildeten, städtischen Mittelschichtsjugend. Sie verbindet mit den Unterbeschäftigten aber, dass sie keine Chance haben, sich selbst eine erstrebenswerte Zukunft zu schaffen. Auch ihnen mangelt es an sicheren Einkommen. Auch sie fühlen sich marginalisiert.

Die Strukturanpassungen, die der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Gebergemeinschaft Afrika in den 1980er und 90er Jahren auferlegten, haben zu mehr informeller Beschäftigung und Arbeitslosigkeit geführt. Viele Angestellte im öffentlichen Sektor wurden entlassen. Danach stellten die Behörden keine neuen Leute mehr ein. Die formale Beschäftigung blieb schwach. In den vergangenen Jahren gab es zwar beachtliches Wachstum, aber neue Stellen entstanden nicht. Von den Jobs, die in Senegal in den Jahren 2001 bis 2010 – dem wachstumsstärksten Jahrzehnt seit der Kolonialherrschaft – geschaffen wurden, waren 99 Prozent informell.

Perspektivlosigkeit verursacht Frustration und Wut. Jugendliche sind besonders betroffen. Sie machen in vielen Ländern mehr als 60 Prozent der Bevölkerung aus. Strukturanpassungen haben geholfen, Militär- und Ein-Parteien-Regime zu überwinden, denn enttäuschte Menschen wollten Wandel. Das zeigte sich auch im arabischen Frühling. In Tunesien, Ägypten und anderen arabischen Ländern fühlen sich viele Jugendliche aber immer noch ausgegrenzt. Es ist ein Riesenproblem, dass die Wirtschaftspolitik gewählter Regierungen in jungen Mehr-Parteien-Demokratien nicht mehr und bessere Arbeitsplätze gebracht hat.

Leider reagieren afrikanische Jugendliche nicht nur mit demokratischem Engagement auf Perspektivlosigkeit. Verbreitet sind auch Migration – einschließlich der irregulären Abwanderung nach Europa – sowie Kriminalität und religiöser Fanatismus.

Verbrechen sind in Gesellschaften, die große Ungleichheit auszeichnet, besonders verbreitet. Wo es wenig reguläre Arbeitsplätze gibt, ist die Kluft zwischen den wenigen Gutsituierten und den Massen der Armen riesig. Das lässt Kriminalität vom kleinen Diebstahl bis hin zum Mord gedeihen. Derzeit steigen die Verbrechensarten überall in Afrika. So passen sich Menschen an ungerechte Gesellschaften an – und zu den Profiteuren gehören durchaus auch Wohlhabende.

Die kulturellen und politischen Prinzipien, auf denen afrikanische Staaten derzeit beruhen, stellt dagegen in Frage, wer sich religiösem Extremismus zuwendet. Militante Fundamentalisten behaupten, das herrschende System müsse mit Gewalt gestürzt und eine neue Ordnung nach Maßgabe von Glaubensdoktrinen geschaffen werden. Mörderische Terroranschläge plagen viele Länder – unter anderen Nigeria, Niger, Tschad, Mali, Libyen, Somalia und Kenia.

Nur ein kleiner Teil der afrikanischen Jugend fühlt sich bislang von religiösem Fanatismus angezogen. Dennoch scheinen dessen gewalttätige Milizen zu wachsen. Zweifellos profitieren sie vom weit verbreiteten Gefühl der Verzweiflung.

Auf sich gestellt, bekommen Polizei und Militär weder Kriminalität noch Terrorismus in den Griff. Strategisch wichtig sind Erfolge bezüglich Bildung und Arbeitsmarkt. Afrikas Regierungen müssen dafür sorgen, dass junge Menschen gut ausgebildet werden und reguläre Beschäftigung finden. In 41 Ländern südlich der Sahara wird sich die Zahl der erwerbsfähigen Personen bis 2050 verdoppeln. Erschwerend kommt hinzu, dass die Technikentwicklung menschliche Arbeit tendenziell überflüssig macht.

Afrika braucht ein neues Paradigma, damit ökonomische Chancen für seine Jugend entstehen. Gelingt das nicht, lautet die Konsequenz: mehr Unruhe, mehr Abwanderung, mehr Kriminalität und mehr religiöser Extremismus.


Ndongo Samba Sylla ist Programm- und Forschungsmanager im Westafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar.
n.sylla@rosalux.sn