Unsere Sicht

Wenn Sicherheitskräfte versagen

König Philippe von Belgien hat tiefstes Bedauern über Gewaltverbrechen der Kolonialzeit im Kongobecken ausgedrückt. Ein Gremium der Universität Oxford hat dafür gestimmt, die Statue des Imperialisten Cecil Rhodes zu entfernen. Der Landtag von Mississippi hat beschlossen, die Symbole der Sklaverei verteidigenden Konföderation aus der Staatsflagge zu tilgen.
Protest gegen Polizeigewalt in Nairobi. Sigwe/picture-alliance/Zumapress Protest gegen Polizeigewalt in Nairobi.

Weltweit wird das Erbe von Kolonialismus und Sklavenhandel neu betrachtet, seit Polizisten in Minneapolis den Afroamerikaner George Floyd töteten. Proteste dort weiteten sich schnell über ganz Nordamerika und dann rund um den Globus aus.

Ich denke, US-Präsident Donald Trumps bornierte Haltung hat der Bewegung Black Lives Matter (BLM – schwarze Leben sind wichtig) zusätzlich Schwung verliehen. Er setzt Demonstranten mit Gewalttätern gleich, bezeichnet Gegner als Terroristen und droht, mit dem Militär für Ruhe zu sorgen. Andererseits interessiert er sich nicht für das Kopfgeld, das Russland für die Tötung amerikanischer Soldaten zahlt, und lehnt jegliche Verantwortung für die Eindämmung von Covid-19 ab. Diese Krankheit trifft benachteiligte Menschen besonders hart – also auch viele Schwarze.

Laut Meinungsumfragen unterstützen fast zwei Drittel der US-Bevölkerung BLM. Trump hat dazu beigetragen. Bemerkenswerterweise richten sich die internationalen Proteste nicht gegen die USA. Viele Menschen ärgern sich über Polizeigewalt und Rassismus im eigenen Land, wo viele Symptome ähnlich oder vielleicht noch schlimmer sind.

Oft heißt es, in den USA habe sich seit der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre nichts geändert. Das stimmt nicht. Ich habe als Kind in den USA gelebt und erinnere mich daran, dass es in den 60er Jahren eine bemerkenswerte Ausnahme war, dass der Bürgermeister der kleinen Stadt Gary in Indiana ein – wie es damals hieß – „Negro“ war. Heute ist das nichts Besonderes mehr, denn viele US-Metropolen haben oder hatten schwarze Bürgermeister. Es herrscht kein Mangel an Afroamerikanern in Führungspositionen, obwohl sie weiterhin unterrepräsentiert sind. Es hat sich einiges geändert – aber noch längst nicht genug. Im Schnitt sind Schwarze in den USA immer noch ärmer, haben schlechtere Chancen und erleiden eher Polizeigewalt.

Das Gespür für Rassismus ist indessen dort sehr viel feiner ausgeprägt als beispielsweise in Deutschland, wo viele immer noch nicht wahrhaben wollen, dass Institutionen Migranten systematisch benachteiligen. Wer hinschaut, weiß, dass dem so ist. Die Terroranschläge der NSU-Neonazis wurden erst türkischen Gangs angelastet und konnten dann wegen der Verstrickungen des Verfassungsschutzes in das Umfeld der Täter nicht komplett aufgeklärt werden. Migrantenkinder tun sich laut OECD im deutschen Schulsystem besonders schwer - und die betroffen Jugendlichen berichten, sie fühlten sich von der Polizei diskriminiert.

Leider gibt es unakzeptable soziale Gräben nicht nur in Ländern mit hohen Einkommen. Vorurteile, Gruppendenken und Ausgrenzung prägen auch viele andere Länder. Vor einigen Jahren erzählte mir eine Praktikantin mit kenianischem Vater, dass ein Luo – Barack Obama – in den USA zum Präsidenten gewählt wurde, wohingegen einem anderen Luo – Raila Odinga – in Kenia der Wahlerfolg gestohlen wurde.

Teile-und-herrsche-Strategien, die auf Identitätspolitik aufbauen, gehen oft auf die Kolonialzeit zurück. Zu Recht wirft die indische Autorin Paroma Soni Landsleuten Heuchelei vor, wenn sie sich mit BLM solidarisieren, aber zu Menschenrechtsverletzungen an Angehörigen religiöser Minderheiten und niedriger Kasten durch staatliche Sicherheitskräfte im eigenen Land schweigen.

Die Polizei ist in den USA oft brutaler als in Europa, aber in vielen Entwicklungsländern ist die Lage noch schlimmer. Amtlichen Angaben zufolge töteten kenianische Polizisten bei der Durchsetzung von Covid-19-Einschränkungen bis Anfang Juni 15 Menschen. Dabei hat Stammesdünkel wohl keine Rolle gespielt, aber ein dortiger Kollege sagt mir, die Polizei gehe wie zu Zeiten der Kolonialherrschaft mit großer Härte gegen arme Menschen vor. Mich bedrücken jedenfalls Fotos von Protestierenden in Nairobi. Sie ahmen Demonstranten in den USA nach, indem sie ein Knie auf den Boden setzen und die Faust in die Luft strecken. Auf eine Weise, die Trump sicherlich nicht gefällt, setzt zivilgesellschaftliches Engagement in seinem Land weltweit Maßstäbe.


Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@dandc.eu