Interview
„Schritt in die richtige Richtung“
Vor einem Jahr sollte in Kopenhagen eigentlich ein Weltklima-Abkommen abgeschlossen werden. Jetzt hat der Folgegipfel in Cacún diesen Schritt auf das nächste Spitzentreffen in einem Jahr in Durban in Südafrika vertagt. Laufen wir der Zeit nicht hoffungslos hinterher?
Ja, es wurde und wird viel Zeit verloren. Die Wissenschaft sagt uns, dass in den nächsten zehn bis zwölf Jahren der Scheitelpunkt der weltweiten CO2-Emissionen erreicht werden muss, weil sonst das zwei-Grad-Ziel nicht haltbar sein wird. Das heißt, es muss sofort und entschieden gehandelt werden. Wir brauchen weltweit die Wende zu einer CO2-freien Wirtschaftsweise. Konkrete Schritte dorthin hat der Gipfel in Cancún aber nicht beschlossen. Es wurden die großen Streitfragen ausgeklammert. Die wichtigste davon ist: Wie sieht der „fair share“ aus? Wer muss bis wann wie viel Emissionen einsparen? Hätte das auf der Tagesordnung gestanden, wäre Cancún gescheitert. Diese Kernfrage wird aber auf dem Weg nach Durban immer wieder aufflackern.
Ist das Zwei-Grad-Versprechen von Cancún dann ernst zu nehmen?
Ich werte es als eine Verbeugung vor der Wissenschaft. Auch Länder wie China oder die USA, die bisher zu den Bremsern zählen, zeigen so, dass sie wissen, wie ernst die Lage ist. Seit der industriellen Revolution sind die Temperaturen weltweit im Schnitt um 0,8 Prozent gestiegen. Was Unwetter, Stürme und Dürren heute schon anrichten, ist bekannt. Fest steht, dass die globale Erwärmung weiter fortschreiten wird. Es wird leider immer unwahrscheinlicher, den Treibhauseffekt auf zwei Grad zu beschränken. Realisten müssen davon ausgehen, dass die Temperaturen stärker steigen werden.
War der Gipfel dann nicht doch ein Fehlschlag?
Nein, denn die multilaterale Klimapolitik geht weiter, und ohne sie ist das Zwei-Grad-Ziel bestimmt nicht zu schaffen. Die großen Kombattanten – allen voran die USA und China, aber auch Länder wie Kanada, Japan oder Indien – halten sich zwar weiterhin gegenseitig in Schach, aber sie müssen sich bewegen, wenn nicht der internationale Verhandlungsprozess komplett scheitern soll. China hat angedeutet, dass es bereit sein wird, seine Selbstverpflichtungen im eigenen Land internationalen Kontrollen zu öffnen. Auch die Vereinbarung, einen Green Climate Fund einzurichten, der partitätisch von Entwicklungs- und Industrienationen geführt wird, ist eine gute Nachricht.
Die Rede ist von 100 Milliarden Dollar, die der Green Climate Fund von 2020 an verteilen soll. Offen blieb aber, woher das Geld kommt. Ist das nicht ein leeres Versprechen?
Jedenfalls stimmt die Richtung. Die Vereinbarung über den Fonds ist ein wichtiger Schritt hin zu einer verlässlicheren Klimafinanzierung und einer tragfähigen Klimafinanzarchitektur. Dass die Weltbank, bei der die Industrienationen dominieren, diesen Fonds zunächst treuhänderisch verwalten soll, wird natürlich ein gewisses Misstrauen wecken. Und es ist leider auch wahr, dass in der Klimafinanzierung immer wieder mit Luftbuchungen gearbeitet wird. In Kopenhagen wurden 30 Milliarden Dollar „fast-track money“ versprochen, um bis 2012 armen Ländern zu helfen, sich an den Klimawandel anzupassen. Diese Summe wurde jetzt wieder genannt. Ein Jahr ist vergangen, aber das zugesagte Geld fließt nicht wie versprochen.
Was folgt daraus?
Es wird Streit darüber geben, wer wieviel zahlen muss. Außerdem blieb vage, wofür der Fonds sein Geld verwenden soll. Es wird für die Vermeidung von Emissionen gebraucht, aber auch für die Anpassung an den Klimawandel. Besonders viele Mittel werden vermutlich in die Vermeidung von CO2-Emissionen gehen – also etwa in die Effizienzsteigerung im Energiesektor in Schwellenländern. Auf diesem Feld sind schnell erhebliche Investitionen möglich, die den Ausstoß von Treibhausgasen begrenzen, zugleich aber das Wirtschaftswachstum beschleunigen und obendrein Technikanbietern aus reichen Ländern zugute kommen.
Das klingt wie die perfekte Win-win-win-Situation.
Der Haken daran ist, dass die armen und ärmsten Länder, die der Treibhauseffekt am härtesten trifft, davon nichts haben. Sie brauchen sofort Geld, um sich auf den unvermeidbaren Wandel einzustellen. Sie müssen handeln, bevor der Wandel eintritt. Ihre Interessen drohen übergangen zu werden.
Für die Anpassung an den Klimawandel gibt es aber doch den Adaptation Fund.
Ja, aber der Adaptation Fund wird finanziell ausgetrocknet. Die Weltbank hat jede Menge Konkurrenzfonds gegründet. Insgesamt gibt es eine neue Unübersichtlichkeit all der neu gestarteten bi- und multilateralen Fonds. Deshalb ist die Entscheidung für einen zentralen Fonds auch so wichtig, wenn sich in der Klimafinanzierung nicht massive neue Abstimmungs- und Kohärenzprobleme der verschiedenen Geber vermehren sollen.Die Tendenz eher weniger in die Anpassung an den Klimawandel zu investieren, besorgt vor allem die ärmeren Entwicklungsländer und die kleinen armen Inselstaaten. Sie haben Mühe mit ihren dringenden Anliegen Gehör und Finanzen zu finden. Bei REDD, der Reduktion von Emissionen aus Waldvernichtung und –degradierung ist in Cancún ein großer Schritt nach vorne getan worden. Aber wir haben dafür immer noch keine konkreten Spielregeln, so bleibt die Einbeziehung des Emissionshandels weiterhin unklar.
Was halten Sie von der Verhandlungsführung der mexikanischen Außenministerin Patricia Espinosa? Am Schluss nahm sie den Einspruch Boliviens, der als Veto gedacht war, zu Protokoll und stellte den Konsens der UN-Mitglieder fest.
Frau Espionsa hat klug gehandelt und ich sehe nicht, dass sie damit das Konsensprinzip der UN ausgehöhlt hätte. Es kann nicht sein, dass ein einzelnes Land die Weltgemeinschaft blockiert, wenn deren Wille, es weiter mit Kooperation zu versuchen, so deutlich wird, wie in Cancún der Fall. Die Handlungsfähigkeit der UN ist ein hohes Gut. In Cancún hat die UN die Deutungshoheit in Klimafragen erst einmal zurück gewonnen, und das ist auch im Interesse Boliviens. Die Debatte, dass die UN für dieses wichtige Thema zu ineffizient sei, hatte schon vor Kopenhagen begonnen. Gerade die ärmsten Länder haben aber nichts davon, wenn Entscheidungen im kleineren Kreis – etwa der G20 – fallen.