Gender-Beziehungen

Hausangestellte sind in vielen Ländern informell beschäftigt

Ein Motto der europäischen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert lautete: „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Erholung und acht Stunden Ruhe“. Es bezieht sich auf den grundlegenden menschlichen Wunsch nach einem Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit. Heute haben eher Männer eine gute Balance als Frauen.
Frauen auf dem Land in Kenia: Wasserholen kann dauern – und möglicherweise ist es nicht trinkbar. Ton Koene / Lineair Frauen auf dem Land in Kenia: Wasserholen kann dauern – und möglicherweise ist es nicht trinkbar.

Menschen streben danach, verschiedene physische und psychische Bedürfnisse zu befriedigen. Nahrung, Unterkunft und Bekleidung sind Grundbedürfnisse – Ruhe, Freizeit und soziale Teilhabe ebenso. Auch Unterhaltung und Hobbys sind wichtig. Für ein gutes Leben braucht es ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Zeit, die man arbeitet, und Zeit, die man für außerberufliche Aktivitäten hat.

Heute ist der Achtstundentag besonders in Ländern mit hohem Einkommen für formell Beschäftigte normal. Die meisten verdienen genug, um davon zu leben. Dies trifft aber nicht auf jene zu, die in unregelmäßigen Beschäftigungsverhältnissen oder im informellen Sektor arbeiten. Wenn acht Stunden Arbeit an fünf Tagen in der Woche nicht für die grundlegenden physischen Bedürfnisse reichen, müssen Menschen mehr arbeiten. Sie leiden unter so genannter „Zeitarmut“.

Zeitarmut ist nicht mit der Entscheidung zu verwechseln, für die Karriere Überstunden zu machen. Es ist für manche erstrebenswert, eine Führungsposition zu erreichen oder reich zu werden – aber es ist per Definition kein Grundbedürfnis.

Zeitarmut und Einkommensarmut hängen eng zusammen. Beide prägen informelle Unternehmen, kleinbäuerliche Betriebe und Subsistenzlandwirtschaft. Geringe Produktivität bedeutet meist niedriges Einkommen. Urlaub und Ferien sind Ausnahmen, Arbeitsgesetze gelten nicht oder werden nicht durchgesetzt.

Viele Kinder arbeiten auf Bauernhöfen und in Familienunternehmen in erheblichem Maße mit. Auch sie leiden unter Zeitarmut – oft mit drastischen Folgen für ihre Bildung. Dies trifft vor allem Mädchen. Für die Emanzipation von Frauen ist ein Schulabschluss aber unverzichtbar (siehe meinen Beitrag auf www.dandc.eu).

Die Not der Frauen

Einkommensarmut ist wie Zeitarmut geschlechtsspezifisch. Beides betrifft Frauen sehr viel mehr als Männer – vor allem, weil Frauen durch traditionelle Geschlechterrollen eine unverhältnismäßig große Last der Hausarbeit zukommt. Als informelle Arbeit ist diese nicht geregelt und gilt als Privatangelegenheit mit geringer öffentlicher Bedeutung. Oft wird diese Art von Arbeit als „reproduktive Arbeit“, „Heimarbeit“ oder „unbezahlte Betreuungs- und Hausarbeit“ bezeichnet. Dazu zählt

  • Einkauf und Zubereitung von Nahrung,
  • Betreuung von Kindern sowie älteren oder kranken Angehörigen,
  • Wohnungsputzen und Wäschewaschen sowie
  • in armen Haushalten in Entwicklungs- und Schwellenländern das Wasser- und Brennholz-Holen.

Jüngste Studien haben gezeigt (Charmes, 2019), dass weltweit mehr als zwei Drittel der unbezahlten Betreuungsarbeit von Frauen geleistet wird. Besonders im globalen Süden sind es deutlich mehr. Dieselbe Studie belegt: je mehr Zeit eine Frau mit unbezahlter Arbeit verbringt, desto weniger Zeit hat sie für bezahlte Arbeit.

Schlechte Infrastruktur erschwert die Lage zudem, etwa in Haushalten ohne Wasseranschluss. Je weiter eine Frau laufen muss, um Wasser zu holen, desto mehr Zeit braucht sie. Gibt es in ihrem Haus weder Strom noch Gaskanister, braucht sie zudem Zeit, um Brennholz zu sammeln. In einer informellen Siedlung zu leben, bedeutet also mehr Zeitarmut, besonders für Frauen.

All das wirkt sich massiv auf Wirtschaft und Entwicklung aus. Wenn ein Mensch viele Stunden wenig produktiv arbeitet, mindert das seine Gesamtproduktivität. Eine Frau etwa, die eine Stunde zum Wasserholen braucht, hat eine Stunde weniger Zeit, um Geld zu verdienen. Auf dem Land und in ungeplanten städtischen Siedlungen wird sie eher einer arbeitsintensiven informellen Arbeit nachgehen und wenig verdienen.

Zunehmender Wohlstand ermöglicht es Haushalten, Staubsauger, Waschmaschinen, Geschirrspüler und andere Geräte zur Entlastung anzuschaffen. Frauen in wohlhabenden Ländern verdanken es solch technischen Errungenschaften, bezahlter formeller Arbeit nachgehen zu können.

Es gibt aber auch einen Bumerang-Effekt: Weil derartige Geräte verfügbar sind, sind auch die Erwartungen höher. So ziehen sich Menschen häufiger saubere Kleidung an als früher, bevor es Waschmaschinen gab. Der Bumerang-Effekt bedeutet mehr Arbeit im Haushalt.

Ausgebeutete Dienstmädchen

In Entwicklungsländern verlassen sich reiche Haushalte eher auf bezahlte Haushaltshilfen als auf Haushaltsgeräte. Die Hilfen haben selten formelle Arbeitsverträge, aber es wird von ihnen erwartet, dass sie sehr lange arbeiten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie morgens das Frühstück vorbereiten und erst gehen dürfen, wenn das Geschirr vom Abendessen gespült ist. Auch minderjährige Mädchen verrichten diese zeitraubende Arbeit.

Hausangestellte verdienen wenig, und sie haben wenig persönliche Autonomie. Meist sind sie ungebildet, einige sind vom Land in die Stadt oder sogar ins Ausland gegangen (siehe auch Mona Naggar auf www.dandc.eu). Viele der betroffenen Frauen haben keinen Kontakt zu ihren Familien und sind komplett schutzlos. Sexueller Missbrauch ist gang und gebe. Während der Corona-Pandemie verloren viele plötzlich ihre Arbeit und gerieten in große finanzielle Not.

Diese Art der informellen Arbeit ist auch in Ländern mit hohem Einkommen nicht unüblich. In Deutschland lassen selbst Haushalte der Mittelschicht oft osteuropäische Frauen ohne Papiere bei sich putzen. Diese Migrantinnen bekommen meist keinen schriftlichen Vertrag, keinen bezahlten Urlaub und kommen nicht in den Genuss der deutschen Sozialleistungen. Viele leben in ständiger Angst, entdeckt zu werden, und trauen sich daher nicht, zur Polizei zu gehen, auch wenn sie betrogen oder anderweitig missbraucht werden.

Gesundheit, Bildung, Qualifikation, Ernährung

Zeitarmut ist nicht nur eine Frage von mangelnder Erholung und Entspannung. Sie prägt das Familienleben. Unter Zeitmangel leidende Frauen in Entwicklungsländern sind oft auf die Unterstützung ihrer Kinder – meist der Töchter – angewiesen, um ihre Aufgaben im Haushalt zu erfüllen. Heranwachsende Mädchen müssen jüngere Geschwister versorgen. Etliche brechen die Schule ohne Abschluss ab. Auch Wasserholen und Brennholzsammeln kann Aufgabe von Jungen und Mädchen sein. Sie haben diese Zeit dann nicht für den Schulbesuch und Schulaufgaben.

Noch elementarer ist, dass Wohlergehen und Entwicklung der Kinder von der elterlichen Aufmerksamkeit abhängen. Aufgrund traditioneller Geschlechterrollen wird von Müttern erwartet, dass sie dieser Verantwortung gerecht werden. Frauen, die unter Zeitarmut leiden, können eher kein gesundes, nahrhaftes Essen für ihre Kinder zubereiten. Finanzielle Armut verschlimmert das Problem. Auch Hygiene und sanitäre Verhältnisse spielen eine Rolle: Wenn die Mütter keinen angemessenen Standard aufrechterhalten können, kann es passieren, dass ihre Kinder wiederholt Durchfall, Würmer oder andere Krankheiten bekommen, die ihre Ernährung und damit körperliche und kognitive Entwicklung beeinträchtigen.

Keine Daten, kein Problem?

Empirische Untersuchungen, die potenzielle Folgen von mütterlichem Zeitmangel auf die Chancen der Kinder quantifizieren, fehlen. Dafür gibt es viele Gründe. Ein Problem ist, dass unregulierte und nicht registrierte Tätigkeiten generell undokumentiert bleiben. Selbst in wohlhabenden Ländern mit hochentwickelten statistischen Systemen gibt es keine zuverlässigen Daten darüber, wie viele illegale Personen wie viel Hausarbeit für welchen Lohn in Privathaushalten verrichten.

Es ist ein Trugschluss zu glauben, es gebe kein Problem, nur weil es in den Statistiken nicht auftaucht. Einiges spricht dafür, dass mehr geforscht und in Technik und Dienstleistungen investiert werden sollte, die Frauen in Entwicklungs- und Schwellenländern zeitlich entlasten. Auch eine umsichtige Regulierung und Durchsetzung von Gesetzen wäre hilfreich – nicht zuletzt, um tiefsitzende Einstellungen zu Geschlechterrollen zu ändern.


Literatur
Charmes, J. (2019). The Unpaid Care Work and the Labour Market.  Geneva: ILO.


Sundus Saleemi ist Wissenschaftlerin am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn.
sundus.saleemi@gmail.com