Infrastruktur
Eisenbahn ins Nirgendwo
Kenias neue Überland-Eisenbahn soll mit ihren schnellen, modernen Zügen und glänzenden Bahnhöfen zeigen, dass das Land selbstbestimmt und ohne kolonialistische Einflüsse eine erfolgreiche Wirtschaft aufbauen kann. Das Projekt, bekannt als „das SGR“ (standard-gauge railway – Normalspurbahn), erfährt jedoch heftigen Gegenwind.
Im Herbst hat die Regierung einen neuen Abschnitt der Eisenbahnlinie eingeweiht. Die 120 Kilometer lange Strecke verbindet Nairobi mit der Stadt Naivasha nördlich der Hauptstadt. Sie verlängert eine bestehende 485 Kilometer lange SGR-Linie zwischen Nairobi und der Hafenstadt Mombasa, die von China finanziert und 2017 eröffnet wurde.
Der neue Abschnitt wurde mit großem Tamtam in einem Festakt eröffnet. Doch finanzielle Schwierigkeiten dämpften die Freude: Im April vergangenen Jahres erklärte die chinesische Regierung, dass sie die dritte Phase des Projektes weder finanzieren noch bauen würde. Diese sollte Naivasha mit dem 350 Kilometer nordwestlich gelegenen Malaba an der ugandischen Grenze verbinden.
Die kenianische Regierung will die dritte Phase dennoch bauen. Die Modernisierung eines Teils der alten Eisenbahn aus Kolonialzeiten will sie mit ihren eigenen begrenzten Mitteln finanzieren. Vorerst endet die Bahnstrecke in Naivasha, wo die Regierung zur Förderung des Eisenbahngüterverkehrs einen Industriepark errichten will. Bisher ist das noch nicht geschehen.
Naivasha ist eine kleine Stadt ohne nennenswerte Industrie oder andere Verkehrsverbindungen, und deshalb wird die Bahn spöttisch „Eisenbahn ins Nirgendwo“ genannt. Unklar ist auch, ob der ursprüngliche Masterplan, der die Erweiterung der Bahnlinie über Uganda hinaus bis nach Ruanda und in die Demokratische Republik Kongo vorsieht, jemals umgesetzt werden kann.
Anlass der Kontroverse
Nicht nur die verkürzte Streckenplanung ist umstritten. Kritiker halten die Bahnstrecke für unrentabel. Sie war hauptsächlich als Frachtweg gedacht, aber Unternehmer nutzen sie nicht. Ihnen sind die Kosten im Vergleich zum Straßentransport zu hoch. Kenianische Spediteure beklagen, dass die Regierung sie zur Nutzung der Schiene zu zwingen versucht, auch wenn dies unrentabel für sie sei.
Auch die Wahl der Route ist umstritten. Der Streckenabschnitt Mombasa–Nairobi der alten Eisenbahnlinie aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft endete in der Innenstadt Nairobis. Die neue, von Chinesen gebaute Strecke endet in Syokimau, fast 20 Kilometer südöstlich des zentralen Geschäftsviertels von Nairobi. Für Passagiere und Speditionen, die in die Innenstadt hinein- oder herauswollen, erhöht das die Kosten.
Besonders kritisch gesehen werden die Kosten der Bahnstrecke, über die öffentlich wenig bekannt ist. Abgesehen von Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, seinen leitenden Beamten sowie der chinesischen Botschaft in Nairobi kennen nur wenige Menschen in Kenia die Gesamtkosten und Vertragsbedingungen der Bahnlinie.
Ein Großteil der 1,5 Milliarden US-Dollar (1,35 Milliarden Euro) für den Bau der neuen Strecke von Nairobi nach Naivasha wurde durch Darlehen der chinesischen Regierung finanziert. Ebenso die geschätzten 3,2 Milliarden US-Dollar für den Bau der ersten Phase der Strecke von Mombasa nach Nairobi.
Diese Summen sind jedoch nur Schätzungen. Gesamtkosten und detaillierte Aufschlüsselungen sind nicht öffentlich. Als kenianische Journalisten auf weitere Einzelheiten drängten, antwortete Präsident Kenyatta: „Sie wollen den Vertrag? Ich werde ihn Ihnen morgen geben.“ Dies ist jedoch bis heute nicht geschehen. Versuche, Kenias „Gesetz zum Informationszugang“ anzuwenden, sind bisher gescheitert (siehe Kasten).
Zudem klagen Kritiker über Korruption. 2018 verhafteten die Behörden den Vorsitzenden der nationalen Landkommission sowie hochrangige Beamte der staatlichen Eisenbahn wegen verdächtiger Landzuteilungen und der Höhe der gezahlten Entschädigungen für das Land.
Trotzdem ist die neue Bahnlinie theoretisch ein Schritt in die richtige Richtung, um Kenias – und Afrikas – Infrastrukturlücke zu schließen. Afrikanische Regierungen müssen in Infrastruktur investieren und neue Straßen und Bahnstrecken großflächig erschließen, um produktive Volkswirtschaften zu entwickeln. Initiativen wie Kenias Vision 2030 – der nationale Entwicklungsplan von 2008–2030 – und Afrikas Agenda 2063, die Zukunftsvision der Afrikanischen Union für den Kontinent, erfordern solche Großprojekte.
Infrastruktur ist kostspielig. Regierungen mit begrenzten Budgets müssen einen Großteil der Investitionssummen leihen und hoffen, dass die Infrastruktur Arbeitsplätze schafft. Transportminister James Macharia drückt es so aus: „Wir müssen positiv und patriotisch denken.“
Trotz aller Kritik am Bahn-Projekt können Passagiere jetzt in vier statt acht Stunden von Mombasa nach Nairobi reisen. Der Frachttransport dauert genauso lang. Präsident Kenyatta betont, dass über 100 Jahre nach dem Bau der britischen Bahn eine moderne Eisenbahn entsteht, unter kenianischer Leitung und Kontrolle.
Befürworter sind sich sicher, dass die Überland-Bahnstrecke Kenia neue Perspektiven für den Außenhandel eröffnet. Der ursprüngliche Masterplan von 2007 sieht eine Eisenbahnstrecke von Mombasa über Nairobi nach Uganda und dann weiter in südwestlicher Richtung nach Ruanda und in die Demokratische Republik Kongo vor. Eine weitere Linie soll Kenia mit dem Südsudan im Norden verbinden. „Das SGR-Projekt wird nicht beendet sein, bevor wir diese Länder erreichen“, sagt Transportminister Macharia.
Die neue Infrastruktur werde Handel und Industrie vorantreiben, auch wenn die Bahnstrecke in naher Zukunft nicht profitabel sei, sagen Behördensprecher. Kenias wirtschaftlich entwickelte Regionen befinden sich meist in einem Radius von 100 Meilen beidseitig der alten kolonialen Eisenbahn.
Investitionen in Infrastruktur sind nicht immer profitabel, jedenfalls in Bezug auf ihre Rendite. Ein Beispiel ist die Tansania-Sambia-Eisenbahn, eine mehrere Jahrzehnte alte, 1860 Kilometer lange Eisenbahn zwischen Daressalam in Tansania und New Kapiri Mposhi in Sambia, die von Chinesen gebaut wurde. Der Betreiber erhielt im Oktober eine Finanzspritze von seinen staatlichen Eigentümern, nachdem Gewinne kontinuierlich ausblieben.
Kritiker des kenianischen Bahn-Projekts sehen in der mangelnden Rentabilität der Tansania-Sambia-Eisenbahn eine Warnung. In Kenia wird weiter diskutiert, sowohl über die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Eisenbahn – der bereits fertiggestellten und noch zu bauenden Abschnitte – als auch über die zu erwartenden Multiplikatoreneffekte für das Wirtschaftswachstum. Beides lässt sich wahrscheinlich nicht abschließend klären. Mehr Offenheit der Regierung über die Finanzierung und Bedingungen des Projekts würde jedoch Vertrauen schaffen.
Alphonce Shiundu ist ein kenianischer Journalist und Faktenchecker, der in Nairobi lebt.
Twitter: @shiundu