Flüchtlinge

Besser als Lager

Die beste Lösung sei, Flüchtlinge im Alltagsleben zu integrieren, meint das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Wenn Neuankömmlinge Arbeit finden und Geld verdienen, könnten sie sogar die Wirtschaft ihres Gastlandes ankurbeln.
Refugee camps do not offer adequate prospects: Zataari in Jordan is near the Syrian border. Jutrczenka / picture-alliance / dpa Refugee camps do not offer adequate prospects: Zataari in Jordan is near the Syrian border.

Acht Monate nachdem der syrische Student Dschihad in Berlin angekommen ist, sucht er nach Arbeit. Er spricht gut Englisch, sein Deutsch wird besser, und er hat Erfahrung: Der ehrgeizige Journalist hat fünf Jahre für die UN gearbeitet und im Flüchtlingslager Jarmuk in Damaskus Lebensmittel verteilt.

Bevor Jarmuk im Bürgerkrieg zerstört wurde, war das seit Jahrzehnten bestehende Lager ein florierender Stadtteil mit eigenen Schulen, Kliniken und Geschäften für 100 000 palästinensische Einwohner. Nach schweren Gefechten zwischen Regierungsarmee, Rebellen und ISIS-Milizen ist die Bevölkerung auf nun 20 000 Menschen geschrumpft. In Deutschland hat der junge Syrer Dschihad einen Studienplatz und eine Arbeitserlaubnis, aber es ist schwer, einen Job zu finden und Geld zu verdienen.

Laut UN gab es 2014 weltweit 19,5 Millionen Flüchtlinge. Vier von zehn Flüchtlingen leben in Lagern, aber das UNHCR braucht Alternativen. Täglich verlassen rund 42 000 Menschen ihre Heimat. Paul Spiegel vom UNHCR meint, Integration biete Win-win-Lösungen für alle Seiten, sofern das Gastland nicht sehr arm ist.

Flüchtlingslager sind ihm zufolge in der Regel weder für Flüchtlinge noch für die Gastländer gut. Einmal entstanden, ließen sie sich kaum wieder schließen, aber die Bewohner seien gewöhnlich auf Hilfe von außen angewiesen. Auch relativ gut funktionierende Lager, wie Jarmuk einmal war, bleiben laut Spiegel separiert und marginalisiert. Solche Ghettos könnten nur vermieden werden, wenn die ansässige Bevölkerung Neuankömmlinge in die Gesellschaft aufnehme.

„Viele Leute halten Flüchtlinge für hilfsbedürftig und abhängig, aber das stimmt nicht”, erklärte Spiegel im Oktober in Berlin in der Hertie School of Governance. „Sie haben viele Kenntnisse, aber bekommen nicht immer die Chance, produktiv zu sein.“ Das UNHCR arbeitet mit Ökonomen und Entwicklungsorganisationen zusammen, um Daten zu sammeln und innovative Lösungen zu finden. Sinnvoll wäre, informelle Arbeit zu formalisieren, den Zugang zu Finanzdienstleistungen zu verbessern und staatliche Krankenversicherung und Sozialleistungen bereitzustellen.

Libanon, Jordanien und die Türkei haben bisher die meisten syrischen Flüchtlinge aufgenommen. „Sie werden immer ärmer“, sagt Spiegel. Zwei Drittel der Flüchtlinge in Jordanien leben nun unter der dortigen Armutsgrenze. Ihre handwerklichen und beruflichen Fähigkeiten sollten genutzt werden, aber das ist in Lagern kaum möglich.  

Finanzielle Hilfe ist auch wichtig. Bargeld ist aus UN-Sicht besser als Sachleistungen, denn dann kaufen sich Flüchtlinge selbst, was sie brauchen. „Das hat einen Multiplikator-Effekt auf die lokale Wirtschaft“, sagt Spiegel. „Statt dass wir entscheiden, suchen sie selbst aus, was sie kaufen. Das gibt ihnen mehr Würde.“

Spiegel findet es besonders wichtig, Flüchtlinge in nationale Systeme für soziale Sicherung und Bildung einzubeziehen. Parallelstrukturen aufzubauen, sei viel teurer. Das gelte auch, weil viele Flüchtlinge komplizierte Gesundheitsprobleme hätten, die teure Behandlung erforderten.

Spiegel lobte den Iran, der hunderttausende Afghanen aufgenommen habe, als eines der großzügigsten Länder der Welt. Die Flüchtlinge sollen in das dortige Gesundheitssystem integriert werden. Das UNHCR, die iranische Regierung und die Flüchtlinge selbst werden die Beiträge bezahlen, erklärt Spiegel.

Eine große Frage ist, wie das alles zu schaffen ist, ohne die Gastländer über Gebühr zu belasten. Der UNHCR-Experte weiß die Antwort: „Wenn die Flüchtlinge arbeiten dürfen, können sie das System stützen und stärker machen.“

Der syrische Student Dschihad sagt, dass es ihm am meisten helfen würde, wenn er wie jeder andere behandelt würde. Die Vorurteile von Beamten und Bürgern zu überwinden, sei eine großes Herausforderung. Selbst sein Name sei in Deuschland eine Hürde, weil er mit Terror und Radikalismus verbunden werde. Dabei bedeutet das Wort „Dschihad“ im Arabischen nur, „sich sehr für eine lohnenswerte Sache anzustrengen“, erklärt der Student. „Wo ich herkomme, geben sowohl Christen als auch Muslime ihren Kindern diesen Namen.“  

Ellen Thalman